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Berliner Zeitung 20.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 92 · 2 0./21./22. April 2019 – S eite 26<br />

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Sport<br />

Alles außer<br />

Tierarzt<br />

Nur noch fünf Spiele, dann endetet eine einzigartige<br />

Fußballgeschichte –vorerst.<br />

Unser Autor erinnert sich an die über zwanzigjährige<br />

Beziehung zwischen Hertha BSC und Pal Dardai<br />

VonMichael Jahn<br />

PalDardai freute sich am 13. Oktober 1999 über das 3:2 nach Verlängerung im DFB-Pokal gegen Tennis Borussia. Im selben Jahr schloss er einen lukrativen Vertrag mit Hertha BSC ab.<br />

IMAGO IMAGES/HÖHNE<br />

Da stand er nun. Ein<br />

schmächtiger, junger<br />

Mann, gerade mal zwanzig<br />

Jahre alt. Kräftige<br />

Oberschenkel hatte er schon und einige<br />

Brocken Deutsch im Repertoire.<br />

Pal Dardai –der Winterzugang aus<br />

Budapest. Ein ebenso schmächtiger<br />

Dolmetscher war vorOrt.<br />

An einem Januartag 1997 hatte<br />

Herthas Trainer Jürgen Röber sein<br />

Zweitligateam auf dem windigen<br />

Maifeld versammelt. Der Rückrundenauftakt<br />

für die Saison stand an,<br />

an deren Ende unbedingt der Aufstieg<br />

in die Bundesliga stehen sollte.<br />

Dardai, den Röber als „eines der<br />

größten Talente des ungarischen<br />

Fußballs“ ankündigte, hatte zuvor<br />

einige geheime Trainingseinheiten<br />

mit Bravour bestanden, war für<br />

500 000 D-Mark aus seinem Vertrag<br />

bei BVSC Budapest herausgekauft<br />

und mit einem Kontrakt bis 1999<br />

ausgestattet worden. Wir standen<br />

am Maifeld, froren und freuten uns<br />

über jeden neuen Spieler.<br />

Manfred Sangel vom Fanradio<br />

Hertha-Echo führte damals ein erstes<br />

Interview. Ich stand daneben.<br />

„Haben Sie inUngarn schon etwas<br />

vonHertha BSC gehört?“ fragte Sangel.<br />

Dardai ließ übersetzen: „Ja, freilich.<br />

Hertha hat eine große Geschichte<br />

und mit ZoltanVargaspielte<br />

1971 schon einmal ein Ungar in Berlin.“<br />

Auf die Nachfrage, ob er ein<br />

Problem damit habe,als Jungstar angekündigt<br />

worden zu sein, sagte Dardai:<br />

„Nein, aber ich muss in Berlin<br />

bei null anfangen und erst zeigen,<br />

was ich kann.“<br />

Ein gewaltiger Zeitsprung sei erlaubt.<br />

Im Jahr 2019 hat das Hertha-<br />

Echo nach dreißig Jahren seinen<br />

Sendebetrieb eingestellt, Nachfolger<br />

für Sangel und seine Mitstreiter gibt<br />

es nicht. In der hektischen Fußballwelt<br />

ist kaum noch Platz für solch engagierte<br />

Freizeitreporter.Auch Cheftrainer<br />

Pal Dardai, den einige Funktionäre<br />

als zu „old school“ für den<br />

Klub befanden, wird esbei Hertha<br />

bald nicht mehr geben. Nur noch<br />

fünf Spiele. Ein wenig Wehmut<br />

macht sich schon breit bei mir.<br />

Ich rufe Jürgen Röber in Brügge<br />

an. Derinzwischen 65-Jährige arbeitet<br />

noch bis Saisonende als Sportdirektor<br />

beim belgischen Erstligisten<br />

Royal Mouscron. Zusammen mit<br />

Bernd Storck, den Röber als Retter<br />

geholt hatte, haben die beiden ehemaligen<br />

Hertha-Trainer den Klassenerhalt<br />

geschafft. Storck war es,<br />

der Dardai 1996 bei einem U21-Länderspiel<br />

entdeckte. Röber sagt: „Ich<br />

wollte Pal unbedingt haben. Zu Beginn<br />

war er zurückhaltend, ist von<br />

den älteren Spielern oft hart attackiert<br />

worden. Als er mal unserem<br />

beinharten Verteidiger Hendrik HerzogimTraining<br />

auch mächtig auf die<br />

Socken gab, dachte ich: Er ist soweit!“<br />

EinSteckbrief von1997<br />

Röber behielt recht. Aus Dardai<br />

wurde bald ein wichtiger Profi im<br />

Mittelfeld, rustikal und kampfstark.<br />

Später stieg er zum Führungsspieler<br />

auf und machte sich unter acht Trainernbeinahe<br />

unentbehrlich. Zuraktuellen<br />

Trennung vonDardai am Saisonende<br />

wollte sich Röber aus der<br />

Distanz nicht äußern. Nur so viel:<br />

„Vielleicht ist ein wenig die Luft raus<br />

und es gibt Abnutzungserscheinungen.“<br />

Beim Kramen fiel mir ein Steckbrief<br />

aus dem August 1997 in die<br />

Hände,der im Magazin WirHerthaner<br />

erschien. Der Klub war mit Röber<br />

gerade aufgestiegen. Dort sagte<br />

Dardai, damals 21, über sich: „Herthas<br />

Aufstieg war … super. Mein<br />

Traumjob als kleiner Junge war …<br />

Tierarzt. Dasschönste Stadion steht<br />

in …Berlin mit dem Olympiastadion.<br />

Mein Lieblingsessen/Getränk<br />

ist …Gulasch/Rotwein. Ich ärgere<br />

mich besonders wenn … wir am<br />

Teufelsberg laufen müssen. Die<br />

Fans sind für mich …alles,denn sie<br />

sind eine große Unterstützung für<br />

mich und die Mannschaft. Das<br />

Wichtigste im Leben ist …Gesundheit<br />

und Liebe.“<br />

SeinWunsch ging in Erfüllung. Bis<br />

auf einige längere Verletzungen ist<br />

Dardai gesundgeblieben und die<br />

Liebe hatte er mit seiner Monika gefunden.<br />

Der Spieler Dardai erlebte<br />

viel mit Hertha –den Aufstieg in die<br />

Bundesliga, den Einzug in die Champions<br />

League, Krisen unter Huub<br />

Stevens und Falko Götz, die Fast-<br />

Meisterschaft unter Lucien Favre,<br />

den folgenden dramatischen Abstieg<br />

und den Wiederaufstieg mit Markus<br />

Babbel. Es war ein pralles Fußballerleben,<br />

das ich hautnah verfolgen<br />

konnte.<br />

1997 kam er mit seiner damaligen<br />

Verlobten Monika nach Berlin, heiratete<br />

die ehemalige ungarische<br />

Handballerin im Sommer 1997 und<br />

bekam mit ihr drei Söhne. Palko,<br />

heute 19, Marton, 17, und Bence,13,<br />

spielen alle für Hertha.<br />

Als die Familie von ihrer ersten<br />

Wohnung nahe am Schillertheater<br />

ins beschauliche Seeburg bei Spandau<br />

umgezogen war, durfte ich sie<br />

für ein Interview besuchen. Im Garten<br />

tobten die Jungs und spielten auf<br />

Minitore. Es gab ungarischen Wein<br />

und Gulasch. Pals Vater,der auch Pal<br />

hieß und 2017 mit 66 Jahren starb,<br />

war zu Gast. Einsehr sympathischer<br />

Mann, einst Rekordspieler bei MSC<br />

Pecs in der ungarischen Oberliga<br />

und erster Trainer seines Sohnes.<br />

Lange war er Pals wichtigster Ratgeber.<br />

Später kam es im Garten zu einem<br />

Duell der noch kleinen Dardai-<br />

Jungs gegen die Kinder aus dem<br />

Nachbarhaus. Letztere verloren und<br />

mussten einmal den Rasen bei den<br />

Dardais pflegen.<br />

„Uli, ich habe eine schlechte Nachricht<br />

für dich: Dardai hat bei mir für vier Jahre<br />

unterschrieben!“<br />

Dieter Hoeneß, von 1997 bis 2009 Manager bei Hertha BSC, setzte sich beim Werben<br />

um Dardai einst gegen seinen Bruder durch.<br />

Es war die Zeit, als man als Reporter<br />

in Trainingslagern noch im<br />

Mannschaftshotel wohnen durfte<br />

und am freien Tagder Profis –ungesehen<br />

vom Trainer –auch ein Bier<br />

zusammen trinken konnte. Dardai<br />

war für mich immer ein gut gelaunter<br />

und ehrlicher Gesprächspartner.<br />

Er stellte sich auch nach heftigen<br />

Niederlagen und nahm kein Blatt vor<br />

den Mund. Nur fair wollte er behandelt<br />

und beurteilt werden. Das war<br />

ihm wichtig.<br />

Beinahe aber hätte es den Rekordspieler<br />

Dardai bei Hertha nicht<br />

gegeben. 1999 lockte ihn UliHoeneß<br />

mit einem sehr lukrativen Angebot.<br />

Der Bayern-Manager rief seinen<br />

Bruder Dieter in Berlin an und sagte:<br />

„Ich habe eine schlechte Nachricht<br />

für dich: Dardai unterschreibt bei<br />

mir!“ Einige Tage später rief Dieter<br />

Hoeneß in München an und triumphierte:<br />

„Uli, ich habe eine schlechte<br />

Nachricht für dich: Dardai hat bei<br />

mir für vier Jahre unterschrieben!“<br />

Diese Vereinstreue bescherte dem<br />

nimmermüden Mittelfeldmann einen<br />

sehr guten VertraginBerlin.<br />

Tragischer Unfall 2002<br />

Es gab auch tragische Momente in<br />

dieser oft aufregenden Zeit, in der<br />

Hertha sogar die Großen der Branche<br />

angriff. Im Trainingslager in Österreich<br />

im Juli 2002 wurde Dardai<br />

während eines Testspiels in Wörgl<br />

gegen Fenerbahce Istanbul plötzlich<br />

vomRasen geholt. Manager Hoeneß<br />

nahm ihn in seine Arme. Ermusste<br />

Pal die schreckliche Nachricht vom<br />

Todseines fünf Jahre jüngeren Bruders<br />

Balasz überbringen. Derwar bei<br />

einem Fußballspiel mit einem Gegenspieler<br />

zusammengeprallt und<br />

auf tragische Weise gestorben. Alle –<br />

Trainer,Spieler und auch wir Journalisten<br />

–standen unter Schock. Dardai<br />

hat lange gebraucht, diesen Verlust<br />

zu verarbeiten. Hertha gab ihm<br />

die Zeit.<br />

Als Pal Dardai in den Jahren danach<br />

immer näher an den langjährigen<br />

Rekordspieler des Vereins, den<br />

Verteidiger Michael Sziedat (280<br />

Bundesligaspiele zwischen 1971 und<br />

1980) heranrückte, war das ein großes<br />

Medienthema.<br />

Palaber zählte seine Spiele selbst<br />

nicht akribisch. „Das könnt ihr Presseleute<br />

tun“, sagte er stets. Als er an<br />

Sziedat vorbeigezogen war, freute er<br />

sich. Eitel war eraber nicht. Später<br />

erzählte er: „Wichtiger ist mir, dass<br />

ich die meisten Europacupspiele für<br />

Hertha absolviert und die meisten<br />

Siege geschafft habe.“<br />

Noch einen Rekord kann er verbuchen:<br />

Bei seinem Abschiedsspiel<br />

im Mai 2011 sahen in der Zweiten<br />

Liga 77 116 Zuschauer das 2:1 von<br />

Aufsteiger Hertha gegen den Mitaufsteiger<br />

FC Augsburg. Zusatztribünen<br />

am Marathontor machten diese<br />

prächtige Kulisse möglich. Es flossen<br />

viele Tränen unten auf dem Rasen<br />

undobenauf den Tribünen. Danach<br />

trafen wir uns in seinem noch neuen<br />

Zuhause in Westend, wohin die Dardais<br />

vonSeeburgaus gezogen waren.<br />

Er wirkte sehr zufrieden. Minitore<br />

gab es noch immer im gepflegten<br />

Garten. Eine Nachbarin aber hatte<br />

etliche Fußbälle zerschnitten, die die<br />

Söhne über den Zaun geballert hatten.<br />

Pallud die ältereDame zum Kaffee<br />

ein und alles war fortan gut. Das<br />

Besondere: Im Hause Dardai gibt es<br />

einen wunderschönen kleinen<br />

Weinkeller, den der Ungar gern für<br />

Gästeöffnet.<br />

Später, als Cheftrainer, habe ich<br />

Pal nur noch aus der Distanz beobachtet:<br />

bei den Heimspielen, bei Pressekonferenzen<br />

oder im Fernsehen.<br />

Meine aktive Reporterlaufbahn hatte<br />

ich beendet. Die Begegnungen wurden<br />

seltener und kürzer. Ichsah auch,<br />

dass er dünnhäutiger geworden war<br />

und ungerechter gegenüber manchem<br />

Fragesteller.Nach der jüngsten<br />

Niederlagenserie ist die Geschichte<br />

als Cheftrainer der Hertha vorerst beendet.<br />

Die bislang einzigartige Kombination<br />

mit Manager Michael<br />

Preetz, dem Rekordtorschützen des<br />

Vereins,und PalDardai, dem Rekordspieler,<br />

ist ohne Krönung geblieben.<br />

Das ist schade. Hertha jedenfalls hat<br />

sein Gesicht verloren.<br />

Michael Jahn<br />

hat alle Höhen und Tiefen<br />

Dardais miterlebt.

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