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Berliner Zeitung 20.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 92 · 2 0./21./22. April 2019 3· ·<br />

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Report<br />

STERNEKÜCHE<br />

In anderen Ländernsieht es prinzipiell<br />

nicht viel anders aus als in Deutschland. Es gibt<br />

„Viele Frauen trauen<br />

sich den Schritt nach<br />

ganz oben nicht zu.<br />

Sie haben eher ihr gesamtes<br />

Leben im Blick.<br />

Männer sind<br />

fokussierter, wenn sie<br />

etwas wirklich wollen.“<br />

Sonja Frühsammer,<br />

Sterne-Köchin<br />

zwar vonFall zu Fall in absoluten Zahlen<br />

mehr Küchenchefinnen, aber in Relation<br />

zur Gesamtzahl der Sterne-Restaurants ist die<br />

Situation vergleichbar.<br />

So stehen in Frankreich mit seinen<br />

632 Sterne-Restaurants nur 18 Küchen<br />

unter der Leitung vonFrauen.<br />

Eine Besonderheit gibt es: Die Köchin<br />

Anne-Sophie Pic verantwortetzwei<br />

Restaurants, eines mitdrei Sternen und eines<br />

miteinem Stern. In Spanien und Portugal<br />

sind es bei 232 Sterne-Restaurants<br />

19 Küchenchefinnen. Etwas höher ist der<br />

Frauenanteil in Italien: Hier sind43 von<br />

367 Sternerestaurants<br />

weiblich geführt.<br />

Sonja Frühsammer in ihrem Restaurant FrühsammersinSchmargendorf<br />

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER, AKUD/LARS REIMANN<br />

musste.Nicht nur vonunwilligem Personal –<br />

auch von den Gästen. Einer fragte Dalad<br />

Kambhu, ob sie ihm ein Wasser bringen<br />

könne.Auf die Idee,sie könne hier etwas anderes<br />

sein als die Kellnerin, am Ende gar die<br />

Küchenchefin und Restaurant-Inhaberin,<br />

wäreernie gekommen.<br />

Schon in ihrer NewYorker Zeit, als sie Internationalen<br />

Handel und Marketing studierte<br />

und nebenbei modelte, hätte sie viel<br />

lieber in guten Restaurants kochen gelernt.<br />

Doch man stellte sie immer wieder an den<br />

Empfang oder ließ sie servieren: Wermöchte<br />

ein Mannequin schon hinter dem Herd verstecken?<br />

Dabei war der Model-Job für<br />

Kambhu nie mehr als ein Broterwerb –wenn<br />

man sie darauf anspricht, will sie schnell das<br />

Thema wechseln. Und viel lieber über ihre<br />

Leidenschaft für gutes Essen reden.<br />

Die wurde geweckt, als Dalad Kambhu<br />

noch ein kleines Mädchen war. Ihre Mutter<br />

schleppte sie damals in Bangkok von einer<br />

Garküche zur nächsten, das Kindermädchen<br />

zeigte ihr, wie man Gewürzpasten herstellt.<br />

Immer wieder schärften die Frauen ihr ein,<br />

was das Wichtigste sei an einem guten Gericht:<br />

frische Produkte. Das hat sie geprägt,<br />

und sie beherzigt diesen Grundsatz. Sie tat<br />

das schon in NewYork, wo sie das gute Essen<br />

aus ihrer Heimat vermisste und begann, regelmäßig<br />

Dinner für Freunde zu kochen.<br />

Und auch 2016, als sie nach Berlin zog und<br />

hier zunächst in einem Pop-up-Restaurant<br />

kochte,bevor sich die Gelegenheit ergab,das<br />

Restaurant in der Lützowstraße zu übernehmen<br />

–unter dem organisatorischen Dach<br />

des VIP-Lokals Grill Royal.<br />

Konsequent nennen die einen ihren Ansatz.<br />

Radikal, sagen die anderen. Im KinDee,<br />

wo das Vier-Gänge-Menü 48 Euro kostet,<br />

wird nicht mit importierter Ware aus Thailand<br />

gekocht. Auf der Karte stehen lokale<br />

und regionale Produkte: Tofu aus Kreuzberg,<br />

Wildschwein aus Brandenburg. Statt Papaya<br />

gibt es Kohlrabi, statt Mango Äpfel. Den Michelin-Testerngefällt<br />

das,auf Nachhaltigkeit<br />

wird auch in der Edelgastronomie zunehmend<br />

Wert gelegt. Wer mit Konventionen<br />

bricht, wird belohnt. Man konnte das schon<br />

beim Nobelhart &Schmutzig beobachten,<br />

das mit puristischer Einfachheit einen Hype<br />

entfachte; oder jüngst im Neuköllner Coda,<br />

das als reine Dessertbar reüssierte.<br />

Allerdings überträgt sich die Euphorie<br />

nicht unbedingt auf den Gast, der ins KinDee<br />

ganz eigene Vorstellungen davon mitbringt,<br />

wie thailändische Küche auszusehen hat. Bis<br />

zur Sterne-Vergabe war Dalad Kambhu nicht<br />

nur einmal kurzdavor,alles hinzuschmeißen.<br />

Lohnt der ganze Aufwand? Wenn am Ende<br />

doch alle nach Papayasalat fragen und nach<br />

Saté-Spießen mit Erdnusssoße,wie sie sie im<br />

letzten Thailand-Urlaub gegessen haben?<br />

Vielleicht ist dieser Wegähnlich weit wie der<br />

zu mehr Frauen am Herd.<br />

EinNetzwerksoll helfen<br />

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen,<br />

hat sich Dalad Kambhu dem <strong>Berliner</strong><br />

Feminist Food Club angeschlossen, der einmal<br />

im Monat zusammenkommt und<br />

Frauen in der Food-Szene helfen will, ein<br />

Netzwerk aufzubauen. Ein Netzwerk, über<br />

das Männer bereits verfügen – und das<br />

Frauen helfen könnte,sichtbarer zu werden.<br />

Noch immer, sagt Deutschlands einzige<br />

Zwei-Sterne-Köchin Douce Steiner, müssten<br />

Frauen sehr viel mehr leisten als ein Mann,<br />

um als gleichwertig betrachtet zu werden. Ein<br />

Satz, den Dalad Kambhu sofort unterschreiben<br />

würde.Aber nicht alle Köchinnen.<br />

„Ich glaube das nicht“, sagt Sonja Frühsammer.Sie<br />

war 2014 die erste <strong>Berliner</strong>in, die<br />

einen Michelin-Stern erkochte –mit ihrem<br />

Restaurant Frühsammers, das sich auf dem<br />

Gelände eines Tennisklubs in Schmargendorfbefindet<br />

und das sie gemeinsam mit ihremMann<br />

Peter betreibt.<br />

Auch hier würde man nicht sofort darauf<br />

tippen, in einem Sternelokal gelandet zu<br />

sein. Zwar ist die Gegend mit Villen und Botschaften<br />

in direkter Nachbarschaft deutlich<br />

gediegener als rund um das KinDee,woStraßenstrich<br />

und Spielhallen die Umgebung<br />

prägen. Dass man immer mal wieder einen<br />

Tennisball ploppen hört oder einen verschwitzten<br />

Sportler im Durchgang zum Restaurant<br />

sieht, liegt im Frühsammers auf der<br />

Hand. Wer auf dem Gelände eines Tennisclubs<br />

kocht, kann sich davon nicht abschotten.<br />

Dasmussauch nicht sein, im Gegenteil:<br />

Es gibt dem Gourmettempel einen entspannten<br />

Anstrich.<br />

Niemand muss hier piekfein herausgeputzt<br />

sein und steif am Tischsitzen. Daswäre<br />

so gar nicht im Sinne der Chefin, die noch<br />

eben schnell Kartoffeln auf den Herd stellt,<br />

bevor sie sich zum Gespräch an den Tisch<br />

setzt. Später soll es Gnocchi geben, da kann<br />

man schon mal die Zutaten vorbereiten.<br />

Aber zurück zum Thema: Müssen Frauen<br />

nun mehr leisten als Männer?<br />

„Am Ende kochen wir doch alle mit Wasser.<br />

Entweder es passt dann oder eben<br />

nicht.“ Inzwischen, glaubt Sonja Frühsammer,habe<br />

man als Frau sogar eher einen Bonus.Von<br />

Quoten in der Küche,die sich Dalad<br />

Kambhu gut vorstellen kann, hält Frühsammer<br />

gar nichts. Sie habe schon bei der<br />

Sterne-Vergabe vor fünf Jahren gehofft,<br />

„nicht nur die Quotenfrau zu sein“.<br />

DieSituation bei derVerleihung hat sie damals<br />

genauso erlebt wie nun ihre thailändische<br />

Kollegin –amEnde stand sie allein unter<br />

Männernauf einer Bühne.„Aber ich habe da<br />

gar nicht so viel drüber nachgedacht.“ Sonja<br />

Frühsammer lacht, als sie das sagt. Sie wird<br />

demnächst 50, hat aber eine Ausstrahlung, die<br />

sie deutlich jünger wirken lässt.<br />

So kämpferisch wie Dalad Kambhu ist sie<br />

nicht, auch wenn sie sich ebenfalls wünschen<br />

würde,dass es mehr Frauen gibt in der<br />

Spitzenküche. Aber sie geht einen anderen<br />

Weg, einen leiseren.<br />

Was nicht heißen soll, dass man ihr auf<br />

dem Wegnach oben keine Steine in den Weg<br />

gelegt hat. „Natürlich gab es Köche,die doof<br />

zu mir waren, die Sachen extrahochstellten,<br />

damit ich da nicht rankomme.“ Mit einer<br />

wegwerfenden Geste wischt sie solche Sachen<br />

beiseite, man dürfe das nicht so ernst<br />

nehmen. Als sie sich nach ihrer Ausbildung<br />

in einer Siemens-Kantine gezielt in <strong>Berliner</strong><br />

Sterne-Restaurants bewarb, bekam sie zu<br />

hören: „Wir stellen keine Frauen ein, das<br />

bringt das ganze Team durcheinander.“<br />

Sonja Frühsammer ließ sich nicht beirren,<br />

sie ging einfach weiter zur nächsten Adresse,<br />

und irgendwann klappte es mit dem Einstieg<br />

in die Gourmet-Gastronomie.<br />

Dass sie selbst einmal einen Stern holen<br />

würde, war für sie damals unvorstellbar. In<br />

den Hochglanzprospekten waren immer nur<br />

Männer abgebildet. Mit Mitte 20, sie hatte<br />

gerade in einem Spitzenlokal im Schwarzwald<br />

unterschrieben, wurde sie schwanger.<br />

Sie pausierte mehrere Jahre, kümmerte sich<br />

um die zwei Kinder.„Dashat mich schon zurückgeworfen.<br />

Mankommt aus der Übung.“<br />

Für eine perfekte Mousse au Chocolat<br />

braucht es tägliche Küchenroutine –die gab<br />

es zu Hausenicht.<br />

Noch einmal rückte der Traum von der<br />

Spitzenküche in weite Ferne. Aber Frühsammer<br />

nahm den Faden wieder auf. „Wenn<br />

man etwas wirklich will, dann klappt es<br />

auch.“ Auch als Frau, auch mit Kindern, das<br />

ist es,was sie damit meint.<br />

Wobei sie nicht müde wird zubetonen,<br />

dass ihr Mann einen wesentlichen Anteil an<br />

ihrem Erfolg hat. Peter Frühsammer, einst<br />

selbst hochdekorierter Gastronom und<br />

Deutschlands jüngster Sterne-Koch, ließ seiner<br />

Frau im Frühsammers den Vortritt. „Er<br />

wollte den Erfolg, und er hat mich in die<br />

Richtung geschubst“, sagt Sonja Frühsam-<br />

mer. Den Erfolg nur sich selbst anzuheften,<br />

ist nicht ihr Ding.<br />

Anders als bei Dalad Kambhu stehen neben<br />

Sonja Frühsammer nur Männer in der<br />

Küche. Probleme, sich als Chefin durchzusetzen,<br />

hat sie trotzdem nicht.„Wer eine Frau<br />

als Küchenchefin nicht akzeptieren kann,<br />

der kommt erst gar nicht zu uns.“ Es sei jedoch<br />

schwer, überhaupt gutes Personal zu<br />

bekommen, und Frauen würden sich seltener<br />

bewerben.Wenn dann doch mal eine anfange,<br />

sei sie oft schnell wieder weg. Die Familienplanung<br />

komme dazwischen, mit<br />

kleinen Kindernseien die späten und langen<br />

Arbeitszeiten schwer vereinbar.<br />

Gibt es weibliche Teller?<br />

Ist das der Grund, warum so wenig Frauen<br />

Spitzen-Köchinnen werden? Am mangelnden<br />

Talent kann es jedenfalls nicht liegen.<br />

„Frauen sind gut, sie kochen zu Hause, sie<br />

haben den besseren Überblick, aber sie stehen<br />

zu oft in zweiter Reihe“, sagt Frühsammer.„Viele<br />

trauen sich den Schritt nach ganz<br />

oben nicht zu. Sie haben eher ihr gesamtes<br />

Leben im Blick. Männer sind fokussierter,<br />

wenn sie etwas wirklich wollen.“<br />

Es ist schon eineWeile her,dasaß ein Restauranttester<br />

im Frühsammers. Erbemerkte<br />

beim Blick auf sein Essen, das seien aber sehr<br />

weibliche Teller. Weibliche Teller, bei einem<br />

Team, das hauptsächlich aus Männern besteht?<br />

Sonja Frühsammer hat das amüsiert.<br />

Sieging nicht weiter darauf ein.<br />

Irgendwann, sagt sie,wirdsie ein Restaurant<br />

aufmachen, in dem nur Frauen arbeiten.<br />

„Das wirdsuper!“<br />

Anne Vorbringer kocht und isst für ihr<br />

Leben gern.Ihr Leibgericht sind gefüllte<br />

Paprikaschoten.

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