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25<br />
Pedro im Zentrum. SeinZielwar<br />
es, moralische Barrieren einzureißen<br />
und die ultrakonservative<br />
Denkweise zu zerstören, die immernoch<br />
in den Köpfen festsaß.<br />
In Pedros Film „Das Gesetz der<br />
Begierde“ habe ich zum ersten<br />
Mal vor der Kamera einen Mann<br />
geküsst. Ehrlich gesagt: Da hatte<br />
ich ziemlich Bammelvor der ReaktionmeinerMutter.<br />
Und? Wie hatsie reagiert?<br />
Siewollte michumbringen! Sie<br />
hatte alle ihre Freundinnen ins<br />
Kino eingeladen, um stolz ihren<br />
erfolgreichen Sohn auf<br />
der Leinwand zu präsentieren.<br />
Und da mussten diese<br />
erzkatholischen Damen<br />
dann mitansehen,wie ich<br />
zu einem Mann ins Bett<br />
steige und heftig mit<br />
ihm knutsche – in<br />
Großaufnahme! Danach<br />
rief mich meine<br />
Mutter wütend<br />
an und rief: „Wie<br />
konntest du mir<br />
das antun? Du hast<br />
mich vor allen<br />
Leuten total blamiert!<br />
Wegen dir<br />
redet jetzt niemand<br />
mehr mit<br />
mir!“ Ich erklärte<br />
ihr, dass wir<br />
Eine Szene<br />
aus „Leid und<br />
Herrlichkeit“:<br />
Salvador Mallo<br />
(Antonio<br />
Banderas)<br />
spricht mit<br />
seiner Mutter<br />
(Julieta<br />
Serrano)<br />
über alte<br />
Zeiten.<br />
die Leute umerziehen müssten,<br />
und sie hat dasirgendwann auch<br />
verstanden. Zum Glück ist sie<br />
nicht nachtragend, sodass ich<br />
michraschmitihrversöhnthabe.<br />
Aberich konnte mich eine Weile<br />
lang nicht mehr zu Hause blicken<br />
lassen.<br />
Stimmt es, dass Sie kaum ein<br />
Wort Englisch sprachen, als<br />
Sie nach Hollywood gingen?<br />
Ja. Man hatte mich zum Casting<br />
für den Musikfilm „Mambo<br />
Kings“ eingeladen. Bei meinem<br />
Bewerbungsgespräch verstand<br />
ich kein einziges Wort, doch ich<br />
nickte und lächelte tapfer –und<br />
streuteimrechten Moment drei<br />
Sätze ein, die ichextra dafür auswendig<br />
gelernt hatte. Sätze wie:<br />
„Yes, Ican do that.“Tatsächlich<br />
bekam<br />
ich den Zuschlag für die<br />
Hauptrolle! Bei den Dreharbeiten<br />
lernte ich meinen ganzen<br />
Text rein phonetisch, wie ein<br />
Lied ineiner fremden Sprache.<br />
Es war abenteuerlich: Ich habe<br />
den Regisseur nicht verstanden<br />
und hatte ständig Angst, aufzufliegen.<br />
Aber Sie haben sich durchgemogelt<br />
undgalten bald als gefragtester<br />
LatinLover.<br />
Das fand ich schon immer absurd,<br />
zumal ichinmeiner Karriere<br />
vermutlichmehrSchwule dargestellt<br />
habeals die meisten anderen<br />
Schauspieler. Mit meiner<br />
Rollenwahl habe ich stets versucht,<br />
das lästige Latin-Lover-<br />
Etikett loszuwerden, das an mir<br />
klebte. Insofern sehe ich das Älterwerden<br />
als ein Geschenk: Faltenund<br />
graue Haare haben dafür<br />
gesorgt,dassichendlichinteressantere<br />
Figuren spielen<br />
durfte.<br />
Wie war es, nach mehr als 20<br />
Jahren Pause wieder mit<br />
Almodóvar zu arbeiten?<br />
Schmerzhaft. Ich wollte ihm<br />
zeigen, wie souverän ich inzwischen<br />
vor der Kamera agieren<br />
konnte und was ich inAmerika<br />
alles gelernthatte.Dochermeinte:<br />
„Das interessiert mich nicht,<br />
dasisttotaler Bullshit!Mit diesen<br />
Tricks magstduvielleicht in Hollywood<br />
durchkommen, aber wo<br />
bistdu? Ichbrauche denechten<br />
Antonio!“ Da wurde mir klar,<br />
dassich tiefer graben musste.<br />
Dafür wurden Sie nun in<br />
Cannes immerhin mit dem<br />
Darstellerpreis belohnt.<br />
Das verdanke ich Pedro, der<br />
michdazugebracht hat, michvor<br />
der Kamera emotionalzuentblößen.<br />
Jahrelang hatte ich versucht,<br />
meine Schwächen zu vertuschen,<br />
weil ichals vitaler, kerniger<br />
Typ verkauft wurde. Aber<br />
bei „Leid und Herrlichkeit“ging<br />
es geradedarum, meineVerletzlichkeit<br />
zu zeigen. Ich fühlte<br />
mich, als würde ichvon einer unbekannten<br />
Klippe springen. Es<br />
waren die besten Dreharbeiten<br />
meines Lebens.<br />
Im Film gehtesauch um Angst<br />
vorKrankheit undTod. Ist Ihnen<br />
das vertraut?<br />
Ja, spätestens,seitdem<br />
ichdem Tod ins<br />
Auge geblickt habe: vor zwei<br />
Jahren, als michein Herzinfarkt<br />
erwischt hat. 2015 bin ich mit<br />
meiner Freundin Nicole nach<br />
England aufs Land gezogen. Eines<br />
Tages brach mir dort plötzlich<br />
der kalte Schweiß aus, ich<br />
spürte heftige Schmerzen und<br />
sagte zuNicole: „Ich glaube, ich<br />
habe einen Herzinfarkt.“ Sierief<br />
sofort einen Krankenwagenund<br />
schob mir eine Aspirin in den<br />
Mund.Später meinten die Ärzte<br />
im Krankenhaus,ohne dieseTablettehätteichsterben<br />
können.<br />
Hat dieses Erlebnis Ihren<br />
Blick auf das Leben verändert?<br />
Ja, fundamental.Dasswir an jenem<br />
Tag überhaupt Aspirin im<br />
Haus hatten, verdanke ich nämlich<br />
einer ganzen Kette von Zufällen.<br />
Nur deshalb bin ich dem<br />
Tod von der Schippe gesprungen.<br />
Als mir das schlagartig bewusst<br />
wurde, habe ich endlich<br />
erkannt,was wirklich wichtig ist<br />
im Leben. Du wolltest dir ein<br />
neuesAutokaufen?Scheißdrauf,<br />
das brauchst du nicht! Deine<br />
Tochter, deine Freunde, deine<br />
Arbeit, die du liebst –das istes,<br />
was zählt!Menschen, die klüger<br />
sind als ich, dürften allerdings<br />
auchohneHerzinfarkt zudieser<br />
Einsicht kommen. (Lacht.)<br />
Fotos: Zhang Cheng/Xinhua/imago-images, Manolo Pavón/Studiocanal/El Deseo