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Berliner Zeitung 16.08.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 189 · F reitag, 16. August 2019 11 *<br />

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Berlin<br />

Schweigen in Moskau: Stalin –hier bei einer Feier zu seinem 70. Geburtstag 1949 –rührte keinen Finger für Thälmanns Freilassung.Das galt auch für den bärtigen Mann neben ihm: Walter Ulbricht.<br />

UNIVERSAL IMAGES GROUP/GETTY IMAGES<br />

„Von dem aktiven<br />

Eingreifen meiner<br />

russischen Freunde<br />

verspreche ich mir den<br />

ausschlaggebenden<br />

Erfolg zu meiner<br />

baldigen Freilassung.“<br />

Ernst Thälmann im März 1940<br />

In der Gestapozentrale in der Niederkirchnerstraße<br />

wirdThälmann mehrfach einer<br />

„Sonderbehandlung“ unterzogen. Beieinem<br />

Verhör schlägt man ihm vier Zähne aus.<br />

Nachdem öffentlich geworden ist, dass der<br />

prominente Gefangene misshandelt wird,<br />

lässt Hitler die Folter abbrechen.<br />

DieNationalsozialisten wollen Thälmann<br />

vor Gericht stellen. Wegen Hochverrats: Der<br />

KPD-Vorsitzende habe einen Staatsstreich<br />

geplant. Das kommt ihm und auch seinen<br />

Genossen im Exil zupass.Vor der Weltöffentlichkeit<br />

kann er die Sache des Kommunismus<br />

verteidigen.<br />

DerAnklage aber fehlt es an Beweisen für<br />

Hochverrat. „Todesstrafe oder lebenslanges<br />

Zuchthaus“, seien „rechtlich nicht möglich“,<br />

stellt der Vertreter der Reichsanwaltschaft<br />

fest. Eine geringere Strafe aber wäre„ein Argument<br />

gegen die Größe der kommunistischen<br />

Gefahr“, befindet das Reichsinnenministerium.<br />

Statt vor Gericht kommt Thälmann<br />

im Herbst 1935 in Dauer-„Schutzhaft“.<br />

Die KPD hat da bereits einen neuen<br />

Vorsitzenden, ein Parteitag nahe Moskau einen<br />

Monat zuvor hatte Wilhelm Pieck gewählt.<br />

Die„Schutzhaft“ erfolgt in Berlin, ab 1937<br />

in Hannover und in Bautzen ab 1943. Als<br />

„Komfort-Häftling“ darf Thälmann Besuch<br />

vonseiner Frau empfangen, <strong>Zeitung</strong>en lesen<br />

und Briefe schreiben. Er verfasst 24 Briefe an<br />

Stalin. Jeden bringt seine Frau zur Sowjetischen<br />

Botschaft in Berlin. Die nimmt erst<br />

den 14. Brief entgegen, mit der Begründung,<br />

die Handschrift prüfen zu lassen; es könne ja<br />

sein, dass der Verfasser nicht der ist, der er<br />

vorgibt zu sein. Schließlich gelangen alle<br />

Briefe auf Stalins Schreibtisch.<br />

Als er im März 1940 immer noch keine<br />

Antwort erhalten hat, schreibt Thälmann,<br />

wie immer ergebenst: „Von dem aktiven Eingreifen<br />

meiner russischen Freunde verspreche<br />

ich mir den einzig und allein ausschlaggebenden<br />

Erfolg zu meiner baldigen Freilassung.“<br />

Und: „Für mich ist heute schon klar,<br />

daß die Sowjet-Union diese meine neue Heimat<br />

sein wird(…) Also denkt an Eurentapferen<br />

Kämpfer und unbeugsamen Revolutionär,<br />

der ungebrochen und standhaft an der<br />

heiligen Idee des Kommunismus festhält<br />

und der seine revolutionärePflicht auch hier<br />

im Kerker erfüllt (…).“<br />

Nicht einer seiner Briefe an Stalin wirdbeantwortet.<br />

Anfang der 1990er-Jahre werden Thälmanns<br />

Briefe in Stalins persönlichem Archiv<br />

gefunden. Einer davon trägt seine handschriftliche<br />

Notiz: „Ablage!“<br />

Für Stalin war jeder, der in des Gegners<br />

Hände fiel, ein Feind. Dasgalt sogar für seinen<br />

Sohn Jakow, der im Juli 1941 in deutsche<br />

Kriegsgefangenschaft geriet –und im April<br />

1943 im KZ Sachsenhausen umkam. Abgesehen<br />

davon, dass Stalin leugnete,sein Sohn sei<br />

gefangen genommen worden, befand er<br />

grundsätzlich: Hitler habe keine russischen<br />

Gefangenen, er habe „nur russische Verräter,<br />

und die werden wir erledigen, wenn der Krieg<br />

vorbei ist“.<br />

Auch Ernst Thälmann war demnach ein –<br />

wenngleich deutscher –Verräter.<br />

Als unbeugsamer Kommunist zeigte sich<br />

Thälmann in seinen Briefen an Stalin, auch<br />

deshalb,umseine Hoffnung auf Befreiung mit<br />

dessen Hilfe am Leben zu erhalten, zumindest<br />

bis zum Überfall Hitlers auf die Sowjetunion<br />

im Juni 1941. Es gibt aber auch Überlieferungen,<br />

denen zufolge er sich verraten<br />

fühlte: Seine Genossen sähen ihn„lieber drinnen<br />

als draußen“, schreibt er 1937, es sei ja<br />

„sonst mit der Propaganda aus“. In der<br />

Durchhalteparole der Partei „Wir leben in einer<br />

Zeit, in der Deine Stimme aus der Haft gebraucht<br />

wird“ findet er wenig Tröstliches:<br />

„Warum seid ihr solche Scheißkerle und lasst<br />

mich hier sitzen?“<br />

Ein Thälmann-Befreiungskomitee der<br />

Komintern nutzt seine Gefangenschaft, um<br />

die braune Unrechtsjustiz vor der Weltöffentlichkeit<br />

anzuprangern. Für seine Freilassung<br />

unternimmt es nichts, wie Walter Ulbricht,<br />

der die Exil-KPD de facto führt, zufrieden<br />

feststellt. Thälmanns Angehörige erfahren<br />

nach dem Krieg, dass Ulbricht alle<br />

ihre Bitten, sich für die Befreiung einzusetzen,<br />

ignorierte.<br />

Lange bewahrtseine internationale Popularität<br />

Thälmann davor, hingerichtet zu werden.<br />

Aber, soschreibt er im Januar 1944: Im<br />

Falle einer Niederlage Nazideutschlands<br />

werde„das Hitlerregime (…) nicht davor zurückschrecken“,<br />

ihn „für immer zu erledigen“.<br />

DieNiederlage zeichnet sich längst ab.<br />

Dazu verüben deutsche Militärs am 20. Juli<br />

1944 ein Attentat auf Hitler. Esschlägt fehl.<br />

Dreieinhalb Wochen später, am14. August,<br />

tritt Heinrich Himmler, Reichsinnenminister,Reichsführer<br />

SS und Chef der Deutschen<br />

Polizei, bei Hitler zum Rapport an. Er<br />

schreibt auf seinen Notizzettel unter Punkt<br />

12: „Thälmann. Istzuexekutieren.“<br />

Zeitpunkt und Umstände der Ermordung<br />

Thälmanns sind nicht eindeutig geklärt. Es<br />

heißt, zwei Gestapo-Beamte hätten ihn am<br />

17. August 1944 aus dem Zuchthaus Bautzen<br />

ins KZ Buchenwald gebracht; er sei dort in<br />

der Nacht zum 18., kurz nach Mitternacht,<br />

erschossen, seine Leiche sofort verbrannt<br />

worden. Eine andere Version besagt, er sei<br />

erst vier oder fünf Tage nach der Bombardierung<br />

des Lagers am 24. August zusammen<br />

mit neun anderen Kommunisten getötet<br />

worden. Eine dritte hält es für möglich, dass<br />

er schon in Bautzen umgebracht wurde.<br />

Aufmarsch des RFB in Berlin. Thälmann marschiertlinks.<br />

„Diesen Staat bekämpfen wir so lange,<br />

bis er nicht mehr als Staat existiert.<br />

Wir haben keine Veranlassung, in dieser<br />

oder jener Beziehung gegen diese oder<br />

jene Person schonend vorzugehen.“<br />

Ernst Thälmann im März 1921<br />

KPD-Kundgebung in Leipzig.Thälmann folgt dem Kurs Moskaus.<br />

DPA PICTURE-ALLIANCE/AKG-IMAGES<br />

ULLSTEIN BILD<br />

Der„Völkische Beobachter“, das Parteiorgan<br />

der NSDAP,vermeldet am 16. September<br />

wahrheitswidrig, Ernst Thälmann sei bei einem<br />

alliierten Bombenangriff auf Buchenwald<br />

am 24. August ums Leben gekommen,<br />

zusammen mit dem ehemaligen Vorsitzenden<br />

der SPD-Reichstagsfraktion Rudolf<br />

Breitscheid.<br />

Nach Kriegsende kehren Wilhelm Pieck<br />

und Walter Ulbricht, Stalins neue Günstlinge,<br />

aus ihrem Exil zurück nach Deutschland.<br />

Als selbst ernannte Vollstrecker von<br />

Thälmanns Vermächtnis legitimieren sie ihren<br />

Führungsanspruch und den der KPD-<br />

Nachfolgepartei SED.Ihren ermordeten Parteigenossen<br />

Teddy, für dessen Befreiung sie<br />

keinen Finger rührten, erhebt das Thälmannlied<br />

zum „unsterblichen Sohn“, der<br />

„niemals gefallen“ sei, zur „Stimme und<br />

Faustder Nation“.<br />

DerNS-Verbrecher und die Stasi<br />

Die Tragödie des Ernst Thälmann hat noch<br />

eine bittere Nachgeschichte. Esist die Geschichte<br />

der Suche nach seinen Mördern,<br />

eine Geschichte, die beide deutschen Staaten<br />

schreiben und die fast ein halbes Jahrhundert<br />

lang ist. Sie nimmt ihren Anfang in<br />

der Strafverfolgung vonNS-Verbrechern, die<br />

unterschiedlich gehandhabt wurde: Die<br />

Bundesrepublik verschleppte Verfahren<br />

(oder nahm sie gar nicht erst auf), die DDR<br />

übte daran scharfe Kritik.<br />

Einer der Hauptverdächtigen im Mordfall<br />

Thälmann war Erich Gust, SS-Obersturmführer,<br />

1942 bis 1944 zweiter Schutzhaftlagerführer<br />

im KZ Buchenwald, ab 1944 Rapportführer.<br />

Die United Nations WarCrimes<br />

Commission führte Gust ab 1946 auf der<br />

Liste gesuchter Kriegsverbrecher, das Amtsgericht<br />

Weimar erließ 1948 Haftbefehl gegen<br />

ihn, die Bundesrepublik nahm ihn 1959 auf<br />

die Fahndungsliste.<br />

Als Franz Griese war Erich Gust untergetaucht.<br />

Mitseiner Ehefrau betrieb er ab 1966<br />

das Lokal„Heimathof“ in Melle (Niedersachsen).<br />

DieStaatssicherheit der DDR kam Gust<br />

spätestens 1968 auf die Spur –und behielt ihr<br />

Wissen für sich.<br />

Ost-Berlin warf Bonn stattdessen vor, im<br />

Fall Gust nicht energisch genug ermitteln zu<br />

lassen. Hintergrund: DieStasi wollte Gust für<br />

„operative Zwecke“ nutzen. Bekannte Bonner<br />

Politiker und Mitarbeiter des Justizministeriums<br />

verkehrten in seinem Lokal; dieser<br />

„Skandal“ in Sachen Strafverfolgung von<br />

NS-Verbrechernsolltezugegebener Zeit der<br />

Weltöffentlichkeit präsentiertwerden –esist<br />

dazu aus unbekannten Gründen nie gekommen.<br />

Erst im November 1992 wurde die Stasi-<br />

Aktion bekannt. Da warGustbereits ein dreiviertel<br />

Jahr tot. Unbehelligt vonder Justiz soll<br />

er eines friedlichen Todesgestorben sein.<br />

Ein friedlicher Tod–Ernst Thälmann war<br />

er nicht vergönnt.<br />

Rede vor Genossen in Merseburg.Thälmann verkennt die Lage. IMAGO-IMAGES/IMAGEBROKER<br />

Michael Brettin fragt sich, wie die<br />

Geschichte ohne Sozialfaschismusthese<br />

verlaufen wäre.

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