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Berliner Zeitung 16.08.2019

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22 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 189 · F reitag, 16. August 2019<br />

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Feuilleton<br />

Der Maler Sebastian Meschenmoser in seinem Atelier.Für Michael Endes „Unendliche Geschichte“ schuf er fünfzig Ölgemälde und viele weitere Zeichnungen −„eine unendliche Aufgabe“.<br />

ANNA WASILEWSKI<br />

„Ich wusste nicht, worauf ich mich einlasse“<br />

Der Maler Sebastian Meschenmoser über seine Neuillustration von Michael Endes „Die unendliche Geschichte“<br />

Vor vierzig Jahren erschien<br />

zum ersten Mal „Die unendliche<br />

Geschichte“ von<br />

Michael Ende. Seither hat<br />

sie Hunderttausende Kinder und<br />

Erwachsene in aller Welt bezaubert.<br />

Viele Leser lieben dieses<br />

Buch, weil es das Lesen an sich feiert,<br />

die Fantasie des lesenden Menschen<br />

würdigt. Spannend und<br />

ideereich ist es sowieso. Zum Jubiläum<br />

und im Jahr des 90. Geburtstags<br />

des 1995 gestorbenen Autors<br />

erscheint eine neu gestaltete<br />

Prachtausgabe. Wir sprachen mit<br />

dem Illustrator Sebastian Meschenmoser.<br />

Wann haben Siezum ersten Mal„Die<br />

unendliche Geschichte“ gelesen?<br />

Ich kann es nicht genau sagen,<br />

aber es war irgendwann in der Pubertät.<br />

Siewar mir etwas unheimlich<br />

damals. Der nachhaltigere Eindruck<br />

entstand erst beim Studium.<br />

Beim Studium? Das müssen Sie erklären.<br />

Ichhabe Kunst studiertund beim<br />

Arbeiten oft Lesungen oder Hörspiele<br />

gehört. Und dastolpert man<br />

automatisch über „Die unendliche<br />

Geschichte“.<br />

Hatten Siedaschon die Idee, sie zu illustrieren?<br />

Eigentlich nicht. Zu Tolkiens<br />

„Herrn der Ringe“ hatte ich einige<br />

Skizzen gemacht, nur für mich. Aber<br />

mit 22 hatte ich das erste Bilderbuch<br />

illustriert, „Fliegen lernen“ …<br />

Über einen Pinguin, der ein richtiger<br />

Vogel sein will. Dashaben Siejaauch<br />

geschrieben!<br />

Na ja, jedenfalls hatte ich dabei<br />

gemerkt, dass ich überhaupt für Bücher<br />

zeichnen kann.<br />

Unddann ist der Verlag an Sieherangetreten?<br />

Ich glaube, ich habe mich aus<br />

Versehen empfohlen. Die Cheflektorin<br />

von Thienemann und Esslinger,<br />

Katharina Ebinger, war bei mir<br />

im Atelier zu Besuch und hatte sich<br />

die Illustrationen angeschaut, die<br />

ich für „Der Wind in den Weiden“<br />

gemacht habe, für einen anderen<br />

Verlag. Das enthält neben Aquarellen<br />

auch einige Ölbilder.Und so kamen<br />

wir im Gespräch auf „Die unendliche<br />

Geschichte“. Ich wusste<br />

nicht, worauf ich mich einlasse. Im<br />

Titel steckt es ja schon drin: eine<br />

unendliche Aufgabe.<br />

Unddass es um Ölbilder gehen sollte,<br />

war sofortklar?<br />

Mit der Ölmalerei lassen sich besonders<br />

schön die epischen Bildwelten<br />

Endes darstellen.<br />

Wie haben Sie dann diese Bilder gefunden?<br />

Wenn ich etwas lese,habe ich sofort<br />

Bilder im Kopf. Und wenn ich<br />

vorher andere gesehen habe, beeinflussen<br />

die natürlich auch meine<br />

Vorstellung. Außerdem habe ich versucht,<br />

ganz viel zu sehen, was Michael<br />

Ende selbst gesehen hat, um es<br />

in dem großen Schmelztopf in meinem<br />

Kopf zusammenzubringen. Michael<br />

Endes Vater, Edgar Ende, war<br />

selbst surrealistischer Maler.Mit seinen<br />

Gemälden habe ich mich dann<br />

auch beschäftigt.<br />

DasBuch entwickelt sich auch, wenn<br />

man sich nur die Bilder anschaut.<br />

Das finde ich wichtig. Das <strong>Berliner</strong><br />

Kinder-und Jugendliteraturhaus<br />

LesArtwirdgenau damit arbeiten. Es<br />

wird ab September meine Bilder<br />

ausstellen und die Kinder anregen,<br />

sich selbst etwas dazu auszudenken.<br />

DasBuch ist groß und schwer …<br />

…fast zweieinhalb Kilo ...<br />

…das trägt man nicht in der Tasche<br />

herum, um es unterwegs weiterzulesen.<br />

Fürs Bett ist es auch zu unhandlich.<br />

Wie wünschen Sie sich, dass damit<br />

umgegangen wird?<br />

Also,ich finde schon, dass man es<br />

auch im Bett lesen kann. Man muss<br />

sich Zeit nehmen für dieses Buch.<br />

Ich stelle mir vor, dass es vielleicht<br />

neben dem Sofa liegt und sich dann<br />

mehrere Menschen in einer Familie<br />

sich gemeinsam mit ihm beschäftigen,<br />

die Bilder anschauen und vorlesen.<br />

Es ist in Leinen gebunden, auf<br />

dem Titel ist der Auryngeprägt –also<br />

schon äußerlich etwas Besonderes.<br />

Undinnen gibt es natürlich die obligatorische<br />

rot-grüne Schrift.<br />

Neben den Ölbildern gibt es Zeichnungen.<br />

Da sind die sehr lebendigen<br />

Initialen, mit denen die Kapitel beginnen<br />

vonAbis Z, da sind aber auch<br />

einzelne Figuren, Pflanzen, witzige<br />

Szenen. Warum?<br />

Ich kann damit zeigen, dass Michael<br />

Ende noch sehr viel mehr anskizziert<br />

hat, als er wirklich auserzählt<br />

hat. Er deutet Möglichkeiten<br />

an, wohin sich die Geschichte noch<br />

entwickeln könnte. Das wollte ich<br />

mit diesen Bleistiftzeichnungen aufnehmen.<br />

UnddaBastian, als er nach<br />

Phantásien kommt, Phantásien neu<br />

erschafft, passt das auch gut, weil<br />

das Gezeichnete so etwas Lockeres,<br />

Prozesshaftes hat –außerdem ist es<br />

eine Abwechslung zu den opulenten<br />

Ölbildern.<br />

Haben Sie auch so gearbeitet, abwechselnd?<br />

Nein, ich habe erst ziemlich konsequent<br />

die 50 Bilder durchgemalt,<br />

später dann die Zeichnungen gemacht.<br />

VISIONEN UND ILLUSTRATIONEN<br />

Der Autor: Michael Ende (1929–1995) zählt mit Büchernwie Bücher wie „Die unendliche<br />

Geschichte“, „Momo“ und „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ zu den bedeutendsten<br />

deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren.Seine Werkewurden in mehr als 30 Millionen<br />

Exemplaren verkauft.<br />

Der Illustrator: Sebastian Meschenmoser wurde 1980 in FrankfurtamMain geboren und<br />

studierte Bildende Kunst in Mainz. 2005 erschien sein erstes Bilderbuch „Fliegen lernen“.<br />

Er lebt in Berlin. 2016 widmete LesartinBerlin ihm die Ausstellung „Kein wildes Tier –<br />

Geschöpfe und Geschichten“.<br />

Die Ausstellung: Das <strong>Berliner</strong> Literaturhaus für Kinder und Jugendliche LesArtzeigt ab<br />

7. September 50 Ölgemälde und Zeichnungen Meschenmosers sowie die Originalzeichungen<br />

der 1979 erschienenen Erstausgabe vonRoswitha Quadflieg.<br />

Bastians Phantasien nehmen Gestalt an wie bei Hieronymus Bosch. S. MESCHENMOSER (3)<br />

Bastian reitet auf Fuchur.<br />

Der Elfenbeinturmragt in die Wolken.<br />

Dasklingt nach straffer Organisation<br />

und nicht nach einem entspannten<br />

kreativen Prozess.<br />

Spaß gemacht hat es mir trotzdem.<br />

Aber es war nun mal ein vertraglich<br />

vereinbartes Projekt, für das<br />

ich zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />

meine Leistung zu erbringen hatte.<br />

Da braucht es schon eine gewisse<br />

Struktur, wofür ich mir immer eine<br />

ArtStoryboarderstelle.<br />

DieKritik an der Verfilmung entzündete<br />

sich vorallem an der Darstellung<br />

des Drachen Fuchur.<br />

Tatsächlich?<br />

So habe ich das in Erinnerung. War<br />

der schwierig für Sie?<br />

Fuchur ist wirklich schwierig, weil<br />

er so beliebt ist. Er ist ein Glücksdrache<br />

wie das chinesische Fabelwesen,<br />

aber er hat auch was vondem mexikanischen<br />

Quetzalcoatl. Wenn man<br />

böse ist, kann man sagen, der Film-<br />

Fuchur sieht aus wie ein langgezogener<br />

Dackel. Die Kritik am Film allerdings<br />

lautete, dass er den Sinn der<br />

„Unendlichen Geschichte“ verdreht<br />

hat. Am Ende reitet Bastian auf Fuchur<br />

durch die Menschenwelt. Das<br />

ganze Buch geht aber darum, dass<br />

die fantasischen Wesen nicht zu uns<br />

kommen können, um Hilfe zu erbitten.<br />

Wirmüssen reingehen. DerFilm<br />

hat dem Buch das Genick gebrochen,<br />

das hat Michael Ende so erzürnt.<br />

Gab esetwas, wovor Sie sich gefürchtet<br />

hatten?<br />

Die alte Kaiserstadt hat mir Respekt<br />

eingeflößt, weil dort solch ein<br />

Durcheinander herrschen sollte.Andererseits<br />

hatte ich mich auf diese<br />

Aufgabe gefreut. Denn ich verbringe<br />

ja den Großteil meiner Zeit damit,<br />

komplexe Bildwelten zu erfinden.<br />

Oder die Wüste der Farben: Ich<br />

wusste, esist eine bunte Wüste mit<br />

einem bunten Löwen, aber sie darf<br />

nicht kitschig werden.<br />

Sie haben gesagt, Sie wollten sehen,<br />

was Michael Ende gesehen hat. Wie<br />

haben Siedas angestellt?<br />

Ich bin mit meiner Freundin für<br />

eine Woche nach Italien gefahren,<br />

nach Genzano di Roma, wo er lange<br />

gelebt hatte. Sein enger Freund Roman<br />

Hocke lebt noch immer dort<br />

und hat mir viel gezeigt und erzählt.<br />

Ich habe in der Landschaft, in den<br />

Parks, im Seegefunden, was Michael<br />

Ende inspiriert hat. Außerdem hat<br />

Michael Ende selbst ein bisschen gezeichnet.<br />

Gibt es Texte von ihm über die Arbeit<br />

an dem Buch?<br />

Zumindest jede Menge Texte von<br />

anderen. Ich habe ein Interview gesehen,<br />

in dem er Joachim Fuchsberger<br />

erklärt, wie er die „Unendliche<br />

Geschichte“ geschrieben hat. Sie ist<br />

wirklich gewachsen, auf eine Idee<br />

folgte die nächste, so wie es auch<br />

Bastian passiert. Undsein erster Satz<br />

war der erste Satz des VIII. Kapitels:<br />

„Hoch durch die Lüfte ritt Atréju dahin.“<br />

Deshalb haben wir dieses Bild<br />

auf das Covergenommen.<br />

Ein Junge liest fasziniert ein Buch<br />

und verschmilzt nach einer Weile mit<br />

der Geschichte. Im Grunde feiert dieser<br />

Roman doch die Freiheit der<br />

Kunst.<br />

Die Freiheit der Kunst und die<br />

Freiheit der Möglichkeiten.<br />

Phantásien enthält viele Welten,<br />

viele Daseinsformen. Bestimmt hat<br />

Michael Ende „Orlando Furioso –<br />

Der rasende Roland“ von Ludovico<br />

Ariosto aus dem 16. Jahrhundert gelesen,<br />

was auch Tolkien als Inspiration<br />

diente. Erhat sich mit Religion<br />

beschäftigt, mit Philosophie, mit<br />

Märchen …<br />

Siehaben das Buch nun ganz intensiv<br />

gelesen. Hatten Sie den Eindruck,<br />

dass Michael Ende damit eine Botschaft<br />

vermitteln wollte?<br />

Ja. Michael Ende gab immer<br />

Randfiguren die Hauptrollen. Bei<br />

„Jim Knopf“ war es ein dunkelhäutiger<br />

Junge,inden 60er-Jahren! Momo<br />

ist der Beschreibung nach ein obdachloses<br />

Sinti- oder Romakind.<br />

Atréju ist ein indigener Junge.<br />

Dann beantwortet sich die Frage also<br />

ganz von selbst, ob es ein Buch für<br />

heute ist.<br />

Alle Bücher vonihm sind visionär.<br />

Ob es die Zeitdiebe bei „Momo“ sind<br />

oder in „Jim Knopf“ der kleine Junge,<br />

der versucht, seine Herkunft zu verstehen.<br />

Und „Der satanarchäolügenialkohöllischeWunschpunsch“<br />

von<br />

1989 beschäftigt sich mit der Umweltzerstörung<br />

und greift die Finanzspekulation<br />

an. Man hat ihn in<br />

diese Schublade „Kinderbuchautor“<br />

getan, „Märchenonkel“ wurde er gar<br />

genannt, aber er schrieb für alle.Und<br />

gerade „Die unendliche Geschichte“<br />

hat kein richtiges Alter, durch diese<br />

philosophische Tiefe kann sie Erwachsene<br />

genauso erreichen.<br />

Hat die Arbeit daran auch etwas mit<br />

Ihnen gemacht?<br />

Wissen Sie, ich durfte ganz lange<br />

nicht darüber reden. 13 Monate<br />

hatte ich diese Bilder gemalt und<br />

kaum einer durfte es wissen. Wenn<br />

Besuch kam, musste ich die Bilder<br />

immer wegdrehen. Jetzt bin ich gerade<br />

dabei, wieder aus Phantásien<br />

herauszufinden. Gerade bereite ich<br />

meine nächste Ausstellung vor. Dabei<br />

habe ich gemerkt, dass meine<br />

Malerei etwas farbiger geworden ist.<br />

DasGespräch führte Cornelia Geißler.

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