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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 189 · F reitag, 16. August 2019 – S eite 21 **<br />
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Feuilleton<br />
Werwar Heinz Brandt?<br />
Die Geschichte hinter<br />
einer Gedenktafel<br />
Seite 23<br />
„Der Film hat dem Buch das Genick gebrochen.“<br />
Ein Gespräch mit Sebastian Meschenmoser,der Michael Endes „Undendliche Geschichte“ neu illustriert hat Seite 22<br />
Werbung<br />
VonMännern<br />
und Frauen<br />
Susanne Lenz<br />
über den Kampf der Briten<br />
gegenGenderklischees<br />
Die Ackerkratzdistel, so erfuhr ich<br />
kürzlich bei einem Besuch auf<br />
dem Land, hat Pfahlwurzeln, die in<br />
fast drei Meter Tiefe reichen. Deshalb<br />
wird man dieses Unkraut auch<br />
so schwer los.Geschlechterklischees<br />
sind wohl ähnlich schwer auszumerzen.<br />
Dass der kanadische Soziologe<br />
Erving Goffman den Zusammenhang<br />
zwischen Geschlecht und Werbung<br />
untersucht hat, ist jedenfalls<br />
schon mehr als 40 Jahreher.Seitdem<br />
ist das Bewusstsein für die klischeehafte<br />
Repräsentation des männlichen<br />
und des weiblichen Prinzips<br />
gewachsen, die Abneigung dagegen<br />
auch. Doch Genderstereotype halten<br />
sich in allen Bereichen des Lebens,<br />
von der Farbe des ersten<br />
Stramplers an. Schädlich sind sie insofern,<br />
als sie schon Kinder in eine<br />
bestimmte Richtung drängen, was<br />
etwa ihr Verhalten oder gar die Berufswahl<br />
angeht. Und kaum irgendwo<br />
sind sie so präsent wie in der<br />
Werbung.<br />
In Großbritannien aber brechen<br />
fürWerber nun andereZeiten an. Die<br />
Werbeindustrie selbst hat beschlossen,<br />
geschlechterstereotype Werbung<br />
zu untersagen. Seit Juni ist<br />
diese Selbstverpflichtung der nationalenWerbeaufsicht,<br />
der Advertising<br />
Standards Authority (ASA), in Kraft<br />
und schon gibt es erste Verbote. Betroffen<br />
sind zwei Spots, von denen<br />
einer für Volkswagen wirbt und einer<br />
für Philadelphia-Käse. Letzterer<br />
wurde bereits deaktiviert, nachdem<br />
128 Beschwerden bei der ASA eingegangen<br />
waren. DasStill, das noch bei<br />
YouTube zu sehen ist, zeigt ein Kleinkind,<br />
das in einem Restaurant auf einem<br />
Fließband sitzt, das das Essen<br />
durch den Gastraum fährt, daneben<br />
sein Vater, der gar nicht hinguckt.<br />
Die Beschwerdeführer beklagten,<br />
dieser Spot transportiere das Klischee,<br />
Männer seien unfähig, sich<br />
um ihre Kinder zu kümmern. Der<br />
Volkswagen-Spot zeigt zwei Astronauten<br />
in einem Raumschiff, einen<br />
gehandicapten Sportler beim Weitsprung<br />
und dann eine junge Frau,<br />
die auf einer Bank an einer Straße<br />
sitzt, neben ihr ein Kinderwagen.<br />
Immerhin hat sie ein Buch auf den<br />
Knien, andererseits steht ein nicht<br />
wiederverwendbarer Kaffeebecher<br />
neben ihr. Esist die alte Rollenteilung,<br />
die hier kritisiertwird: Männer<br />
erleben Abenteuer, während die<br />
Frau auf das Kind aufpasst.<br />
Es ist ein weites Feld, das sich hier<br />
auftut. Man darf gespannt sein, wie<br />
die Briten künftig für Kosmetik oder<br />
Kleidung werben, mit der sich<br />
Frauen für Männer herrichten. Oder<br />
für Baumärkte. Aber warum nicht?<br />
Packen wir’s an!<br />
Sind Stöckelschuhe ein Zeichen von Emanzipation<br />
oder das Gegenteil? IMAGO IMAGES<br />
Die Nominierten des Preises der Nationalgalerie 2019: Pauline Curnier Jardin, Simon Fujiwara, Katja Novitskova, Flaka Haliti (v.l.n.r.)<br />
Science-Fiction und Blutwurst<br />
Im Hamburger Bahnhof beginnt die Kandidatenschau zum Preis der Nationalgalerie für junge Kunst<br />
VonIngeborg Ruthe<br />
Flaka Haliti:<br />
„Its urgency got lost<br />
in reverse (while<br />
being in constant<br />
delay) #2“, 2018.<br />
SMB/ NATIONALGALERIE/<br />
F, HALITI/ GAL. DEBORAH<br />
SCHAMONI/MATHIAS VÖLZKE<br />
Pauline Curnier<br />
Jardin: „Peaux de<br />
Dame in the Hot<br />
Flashes Forest“,<br />
2019, Mixed Media<br />
Installation.<br />
SMB/ NATIONALGALERIE/<br />
P. CURNIER/ELLEN DE BRUJINE<br />
PROJECTS/MATHIAS VÖLZKE<br />
Katja Novitskova:<br />
Patternof<br />
Activation<br />
(Mutants), 2018, Installationsansicht.<br />
SMB/ NATIONALGALERIE/<br />
K. NOVITSKOVA GAL.<br />
KRAUPA-TUSKANY ZEIDLER/<br />
SAMMLUNG MARTA./<br />
MATHIAS VÖLZKE<br />
Simon Fujiwara:<br />
„Likeness, 2018“.<br />
Eine Video-Fiktion<br />
mit der unverkennbaren<br />
Anne Frank.<br />
SMB/NATIONALGALERIE/<br />
COLLECTION LAFAYETTE<br />
ANTICIPATIONS –FONDS DE<br />
DOTATION FAMILLE MOULIN/<br />
GASL ESTTHER SCHIPPER/<br />
MATHIAS VÖLZKE<br />
DAVID VON BECKER<br />
Drei junge Europäerinnen<br />
und ein Mann mit japanischen<br />
Wurzeln – alle<br />
noch unter 40 und sämtlich<br />
mit Ateliers in Deutschland: Das<br />
ist das Kandidaten-Quartett.<br />
Eine namhafte und wie man im<br />
Museum Hamburger Bahnhof betont,<br />
strenge internationale Jury<br />
setzte diese vier auf die Shortlist für<br />
den alle zwei Jahreausgeschriebenen<br />
Preis der Nationalgalerie für junge<br />
Kunst. Und nun beginnt der Countdown.<br />
Am 12. September, mitten in<br />
der Berlin Art Week, bestimmt eine<br />
weitereJurydie Gewinnerin oder den<br />
Gewinner.Und die oder der darfsich<br />
dann alles nehmen –und zwar bargeldlos,<br />
wie schon seit Jahren üblich<br />
bei diesem vonden Freunden der Nationalgalerie<br />
und dem Sponsor BMW<br />
ermöglichten Preis, der vormals mit<br />
50000 Euro dotiertwar.Aber das Bare<br />
war bisherigen Preisträgern nicht so<br />
wichtig. Vielmehr das, was nach der<br />
Verleihung folgt: Der Zugang zum<br />
weltweiten Kunstbetrieb,zum Markt.<br />
So winken dem Sieger Ruhm, eine<br />
große Ausstellung samt Katalog in einem<br />
Haus der Nationalgalerie. Als<br />
Startrampe.<br />
Zunächst aber nehmen sich die<br />
vier mit souveräner Geste den <strong>Berliner</strong><br />
Museumsraum Hamburger<br />
Bahnhof, oben im Westflügel. Erobern<br />
ihn sich im wahrsten Sinne<br />
des Wortes. Kaum ein Fleckchen<br />
bleibt kahl bei diesen gewaltigen Installationen<br />
aus Objekten, Skulpturen,<br />
Wandzeichnungen, Computertechniken<br />
und Monitoren. Undesist<br />
keine tonlose Ausstellung. Alle<br />
Raumarbeiten der vier Preisbewerber<br />
sind durchzogen und überlagert<br />
mit jeweils sehr speziellen Sounds.<br />
Es gibt für dieses Wetteifern um<br />
einen der begehrtesten Kunstpreise<br />
im deutschsprachigen Raum kein<br />
übergreifendes Motto. Jede(r) der<br />
vier verfolgt ein ganz spezielles<br />
Thema für sein jeweiliges Raumkunstwerk.<br />
Da aber auch Künstlerinnen<br />
und Künstler des 21. Jahrhunderts<br />
noch immer Kinder ihrer Zeit<br />
auf diesem Planeten Erde sind, sieht,<br />
erfährt, spürt und hört der Betrachter,<br />
wie sehr Geschichte und Gegenwart,<br />
Utopien, Emotionen, Obsessionen,<br />
Ängste, gesellschaftliche Zustände<br />
und der wissenschaftlichtechnische<br />
Fortschritt die<br />
Bildsprache bestimmen.<br />
Krieg und Frieden, Flucht und<br />
Vertreibung, Grenzen und deren<br />
Durchlässigkeit, dazu eigene<br />
schlimme Erlebnisse im Kosovo fasst<br />
Flaka Haliti aus Pristina in deckenhohe<br />
Zeichnungen. Aus Hinterlassenschaften<br />
im Feldlager der Kfor<br />
baute sie Maschinenwesen, Frau<br />
und Mann, über ihnen Lungenflügel<br />
auf Plexiglas, die Flügel des gestürzten<br />
Ikarus.Aber die metaphorischen<br />
Gestalten sind tatenlos.War die Mission<br />
vergebens?<br />
Simon Fujiwara aus London<br />
setzte eine hyperreale Wachsskulptur,<br />
unverkennbar Anne Frank beim<br />
Verfassen ihres Tagebuchs, aneinen<br />
Tisch im Amsterdamer Versteck.<br />
Eine Kopie der Figur im <strong>Berliner</strong> Kabinett<br />
der Madam Tussaud. Eine Kamera<br />
auf einem Videoarm erforscht<br />
zudringlich per Video die ebenso zudringlichen<br />
Blicke der Besucher auf<br />
die Replik des 1945 im KZ Bergen-<br />
Belsen umgekommenen jüdischen<br />
Mädchens.<br />
Pauline Curnier Jardin aus Marseille<br />
verbindet in ihrer bühnenartigen<br />
Rauminstallation aus Wandbildern<br />
und Großvideos dramatische<br />
Elemente des Theaters und Erzählkinos.<br />
Esgeht um surreale Obsessionen,<br />
Gewalt – und Lächerlichkeit:<br />
Ein Metzger wird Opfer seiner eigenen<br />
Blutwurst, ein Wärter im Weiberknast<br />
zum hohn- und spottverdienenden<br />
Voyeur alter masturbierender<br />
Insassinnen.<br />
Liebling eines jungen Publikums<br />
könnte Katja Novitskova aus Tallinn<br />
mit ihrer Bildsprache der „Post-Internet<br />
Art“ werden. Siebaute ein beklemmend<br />
schönes Labor auf, darin<br />
schier irreale Computer-Wesen, halb<br />
technoid, halb biomorph, ein<br />
Science-Fiction-Raum voller Sphärenklänge.Die<br />
Estin thematisiertauf<br />
faszinierende Weise neueste Forschungen<br />
der Biotechnologie. Ihre<br />
Gebilde ziehen einen so sehr in den<br />
Bann, dass sich ethische Fragen erst<br />
beim Verlassen des Raumes stellen.<br />
Hamburger Bahnhof Invalidenstr.50–51.<br />
Bis 16. Februar.Di–Fr 10–18/Di bis 20/Sa+So<br />
11–18 Uhr.Kuratorin:Dorthée Brill. Zugleich sind<br />
Bewerber-Arbeiten für den Förderpreis fürFilmkunstzusehen,<br />
den die Nationalgalerie seit 2011<br />
gemeinsam mit der Deutschen Filmakademie verleiht.<br />
Preisträger-Bekanntgabe am 12. September.<br />
NACHRICHTEN<br />
Container:Gorki-Theater<br />
eröffnet Interimspielstätte<br />
WeramMaxim-Gorki-Theater vorbeikommt,<br />
hat sich vielleicht schon<br />
gewundert: Seit kurzemsteht vor<br />
dem Gebäude ein großer Kasten.„Wir<br />
nennen ihn Container“, sagte Theatersprecherin<br />
Xenia Sircar am Donnerstag<br />
der Deutschen Presse-Agentur.Der<br />
Container soll nach derzeitiger<br />
Planung bis Ende 2020 als dritte<br />
Spielstätte dienen. Dieanderen Bühnen<br />
sind immer mal wieder wegen<br />
Renovierungen geschlossen. Im Theaterhaus<br />
selbst wirdzum Beispiel<br />
noch bis September die Obermaschinerie<br />
der großen Bühne erneuert. Die<br />
Zugsysteme seien teils noch aus den<br />
1970er-Jahren −und dank toller Kollegen<br />
immer mal wieder„MacGyvermäßig“<br />
repariertworden, sagte Sircar.<br />
Nächstes Jahr wirddie große Bühne<br />
noch mal vorübergehend geschlossen,<br />
weil die Drehscheibesaniert<br />
wird. Derrund 20 Meterlange Container<br />
dient als Ausweichquartier.Der<br />
Neubau soll am Sonnabend mit<br />
„Herzstück“ nach Heiner Müllereröffnen.<br />
Rund 200 Zuschauer haben<br />
darinPlatz,esgibteine Kühl- und<br />
Heizungsanlage.Die Sanierungsarbeiten<br />
am Gorkiund der Ersatzcontainer<br />
kosten nach Angaben Sircars<br />
rund 3,5 Millionen Euro. (dpa)<br />
Richter will Kunstwerke<br />
nach Berlin geben<br />
Gerhard Richter Ende Juni im Potsdamer<br />
Museum Barberini<br />
DPA/BERND SETTNIK<br />
Derweltbekannte Künstler Gerhard<br />
Richter ist bereit, einige seinerWerke<br />
dem geplanten Museum der Moderne<br />
in Berlin zurVerfügung zu stellen.<br />
„Dies ist ein großer Vertrauensbeweis<br />
vonGerhardRichter und eine<br />
große Ehrefür die Nationalgalerie,<br />
die mit den Arbeiten dieses bedeutenden<br />
Künstlers diesen neuen Museumsbau<br />
bereichernmöchte“, hieß<br />
es in einer Stellungnahme vonKulturstaatsministerin<br />
Monika Grütters<br />
(CDU) auf dpa-Anfrage.Grütters<br />
hatte GerhardRichter und dessen<br />
Frau am Donnerstag im Atelier des<br />
Künstlers in Köln besucht. Über „Art<br />
und Umfang der Überlassung“ werden<br />
laut Grütters weitereGespräche<br />
geführt. (dpa)<br />
Plácido-Domingo-Konzertin<br />
Elbphilharmonie findet statt<br />
DieHamburger Elbphilharmonie<br />
hält nach den Vorwürfen mehrerer<br />
Frauen gegen Opernstar Plácido Domingo<br />
(siehe BLZ vomMittwoch) an<br />
dem KonzertimNovember zunächst<br />
fest. „Vorbehaltlich weiterer Entwicklungen“<br />
werdePlácido Domingo<br />
(78) am 27. November auftreten,<br />
teilte die Elbphilharmonie mit.<br />
Manberuft sich auf die Verbindlichkeit<br />
abgeschlossener Verträge.Nach<br />
Vorwürfen sexueller Übergriffe gegen<br />
den spanischen Opernstar hatten<br />
US-Kulturinstitutionen Konsequenzen<br />
gezogen und Konzerte abgesagt.<br />
(dpa)