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Berliner Kurier 25.09.2019

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*<br />

DER WEISHEIT<br />

LETZTER SCHUSS<br />

Neue Saison, neues Format.Andreas Baingo (l.) und Michael Jahn fühlen<br />

mit ihrer Erfahrung aus über 40 bzw.30Jahren Arbeit rund um Union und<br />

Hertha jeden Mittwoch in ihrer Kolumne „Der Weisheit<br />

letzter Schuss“ den <strong>Berliner</strong> Fußball-Bundesligisten auf den Zahn.<br />

SEITE25<br />

BERLINER KURIER, Mittwoch, 25. September 2019<br />

Fotos: City-Press,imago images/Matthias Koch<br />

Andreas Baingo<br />

Warsonicht eingeplant:<br />

Dodi Lukebakio (M.),<br />

Herthas teuerster Einkauf,<br />

sitzt gegen Paderborn<br />

draußen.<br />

Michael<br />

Jahn<br />

Herthas Fehler:<br />

Kick zwischen<br />

zwei Parallelwelten<br />

Die Millionen vonLars Windhorst (M.) scheinen<br />

Hertha auf dem Platz momentan zu lähmen.<br />

Bei den Blau-Weißen ging es zuletzt mehr<br />

um Windhorsts Millionen als um Fußball<br />

D<br />

ie jüngsten<br />

Schlagzeilen,<br />

die die bald<br />

prall gefüllte<br />

Klubkasse von<br />

Hertha BSC<br />

betreffen, verheißen eine<br />

großartige Zukunft. „Weitere<br />

150 Millionen Euro für Hertha<br />

durch Börsengang 2020?“<br />

war etwa zu lesen oder „Bald<br />

fließen wieder 100 Millionen<br />

von Investor Lars Windhorst<br />

an Hertha“. Da kann einem<br />

angesichts der Summen<br />

schon schwindlig werden.<br />

In den zurückliegenden<br />

Wochen ging es stets um die<br />

neuen Möglichkeiten, die der<br />

Klub nach dem Einstieg des<br />

einstigen „Wirtschafts-Wunderkindes“<br />

Windhorst, der eine<br />

äußerst bunte Vita besitzt,<br />

nun habe. Der 42-Jährige<br />

kündigte ja nach der ersten<br />

pünktlichen Überweisung<br />

von vereinbarten 125 Millionen<br />

Euro an, aus<br />

Hertha einen sogenannten<br />

„Big-City-<br />

Klub“ machen zu wollen.<br />

Hat er etwa Arsenal<br />

London oder Paris<br />

St. Germain im Sinn<br />

oder gar irgendwann ein<br />

Real Madrid in Charlottenburg?<br />

Mensch, Hertha, wie haste<br />

dir verändert –sodachte ich<br />

im Stillen. Eine kurze Zeitreise<br />

in die Vergangenheit sei an<br />

dieser Stelle erlaubt, um die<br />

rasante Entwicklung zu illustrieren.<br />

Wenn es ums Geld geht, erzählt<br />

man sich bei Hertha immer<br />

gern die Geschichte, als<br />

Präsident Heinz Roloff, ein<br />

knorriger <strong>Berliner</strong> Bauunternehmer,<br />

Ende der 80er-Jahre<br />

ein Spiel auf dem Platz an der<br />

Osloer Straße im Wedding besuchte.<br />

Roloff stand aufgeregt<br />

mit einem Bein weit im Spielfeld<br />

und der Schiedsrichter<br />

wies ihn heftig zurecht. Roloff<br />

schimpfte lautstark: „Bei<br />

dem Geld, das ich in den Klub<br />

stecke, kann ich stehen, wo<br />

ich will!“<br />

Es heißt, als Hertha-Boss<br />

habe er zwischen 1985 und<br />

1994 etwa zehn Millionen<br />

Mark in den damals maroden<br />

Klub investiert. Das war seinerzeit<br />

viel Geld, aber im Vergleich<br />

zu heute tatsächlich<br />

„Peanuts“. Noch kurz vor<br />

dem Einstieg von Roloff beim<br />

damaligen Zweitligisten, der<br />

1986 gar in der Amateur-<br />

Oberliga Berlin landete, bettelten<br />

Hertha-Fans auf dem<br />

Kurfürstendamm die Passanten<br />

an, hielten denen Büchsen<br />

vor die Nase und fragten:<br />

„Ham se nich mal ’ne Mark<br />

für Hertha, für ne jute Sache?“<br />

Auch das war Hertha<br />

BSC.<br />

Zurück in die Gegenwart, in<br />

der sich längst vieles um Millionen<br />

dreht. Um den im Moment<br />

eher mittelmäßigen<br />

Fußball, den die Mannschaft<br />

spielt, ging es zuletzt weniger.<br />

Viele Beobachter –darunter<br />

auch ich –glauben, dass die<br />

riesige Erwartungshaltung,<br />

die auch aus den Millionen<br />

des Lars Windhorst gespeist<br />

wird, die Spieler samt Trainer<br />

Ante Covic sogar erdrückt<br />

hat.<br />

Herthas Finanzchef Ingo<br />

Schiller gab der Nachrichtenagentur<br />

dpa vor einigen Tagen<br />

ein langes Interview, das<br />

meist nur in Bruchstücken in<br />

anderen Medien zu lesen<br />

war. Ich habe mir<br />

das komplette Gespräch<br />

durchgelesen.<br />

Wichtig für mich<br />

ist vor allem diese<br />

Aussage des langjährigen<br />

Finanzchefs: „Sie können<br />

heutzutage die Wahrscheinlichkeit<br />

für sportlichen Erfolg<br />

nur mit wirtschaftlichen Mitteln<br />

erhöhen.“ Schießt viel<br />

Geld also Tore? Es ist tatsächlich<br />

so. Egal, ob man das gut<br />

findet oder nicht.<br />

Zudem heißt es, Herthas<br />

Unternehmenswert sei innerhalb<br />

von nur wenigen Monaten<br />

von 333 Millionen auf 450<br />

Millionen Euro gestiegen.<br />

Schiller sagt: „Wir haben uns<br />

schneller entwickelt als der<br />

Markt! Wir sind dem Wachstum<br />

sozusagen verpflichtet.“<br />

Das ist natürlich eine Erfolgsgeschichte,<br />

ganz klar. Doch<br />

Hertha bewegt sich gerade<br />

extrem zwischen Anspruch<br />

und Wirklichkeit. Mir kommt<br />

es –übertrieben gesagt –so<br />

vor, als gebe es gerade zwei<br />

Parallelwelten. Die Welt des<br />

großen Geldes, des wirtschaftlichen<br />

Booms kombiniert<br />

mit Digitalisierung und<br />

Internationalisierung (siehe<br />

die USA-Reisen im Sommer<br />

und nun im Winter nach Florida)<br />

und die reale Welt des<br />

Fußballs auf dem Rasen, wo<br />

das Wachstum an Leistung<br />

noch ausgeblieben ist. Beide<br />

Welten aber müssen wieder<br />

eins werden. Möglichst<br />

schnell. Michael Jahn

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