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RETAIL 01/2020

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— persönlich<br />

Der Dorfneurotiker<br />

von Kleinschramming<br />

Interview. Er ist zwar schon 25,<br />

sieht aber immer noch aus wie<br />

die Unschuld vom Lande. Aber<br />

was Christoph Fritz so schüchtern-harmlos<br />

vorträgt, ist ganz<br />

schön hinterfotzig-subversiv –<br />

und sehr komisch. Österreichs<br />

Kabarett-Jungstar ist soeben<br />

auf Tournee.<br />

retail: Sie sind nach Wirtschaftsstudium<br />

und anschließendem Job in einer Versicherung<br />

– also dem richtigen Weg –<br />

beim Kabarett gelandet, also auf dem<br />

Abstellgleis. Oder ist es umgekehrt?<br />

Christoph Fritz: Nein, das stimmt<br />

schon so. Wenn man auf die Bühne geht,<br />

hat man die Kontrolle über sein Leben<br />

verloren.<br />

Wie kam es zum Wechsel? Haben Sie<br />

die Befürchtung, dass Ihre sachlichnüchternen<br />

Eigenschaften und Ihr<br />

introvertiert-seriöses Auftreten, die<br />

Sie in der Versicherung sicher gut<br />

einbringen konnten, jetzt verkümmern?<br />

Ich studierte etwas, das mich nur mäßig<br />

interessierte. Danach ging ich einer<br />

Arbeit nach, die mich nicht viel mehr<br />

elektrisierte. Da suchte ich den Ausgleich,<br />

das Ego und den Nervenkitzel,<br />

und das fand ich auf der Bühne. Mittlerweile<br />

sehne ich mich wieder nach der<br />

Sicherheit, der Struktur, der Autorität<br />

und Monotonie des Büros. Da hatte ich<br />

einen gesünderen Puls. Auf der Bühne<br />

kann ich nicht einfach für 15 Minuten<br />

am Klo verschwinden, wenn mir alles zu<br />

viel wird.<br />

Sie kehren in Ihrem Solodebütprogramm<br />

„Das Jüngste Gesicht“ Ihr jugendliches<br />

Aussehen und Ihre vermeintliche<br />

Schüchternheit hervor. Hat Ihnen<br />

Der aus einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Korneuburg, die nicht Kleinschramming am<br />

Winzling heißt, stammende Christoph Fritz sieht um einiges jünger aus als die 25 Jahre, die er<br />

alt ist. Aus diesem Umstand, aus den Eigenheiten seiner Heimatgemeinde und aus vielem an -<br />

deren Skurrilen, das jungen Menschen durch den Kopf geht, bezieht er die lakonisch vorgetragenen,<br />

hinterrücks zündenden Gags seines Kabarettprogramms, das sich folgerichtig „Das<br />

jüngste Gesicht“ nennt. Damit ist er aktuell im deutschen Sprachraum sehr erfolgreich unterwegs.<br />

das schon oft geholfen, bei den „Ladies“,<br />

wie Sie sagen, anzukommen?<br />

Ich merke keinen großen Unterschied.<br />

Aber über die aktuellen Zahlen ist mein<br />

Management besser im Bilde als ich.<br />

Können Sie sich nach Bonmots wie „In<br />

Kleinschramming am Winzling hält<br />

der Zug nur einmal im Jahr – wenn<br />

sich jemand auf die Gleise wirft.<br />

Oder geworfen wird, da gehen die<br />

Meinungen auseinander“ noch in Ihrer<br />

Heimatgemeinde blicken lassen?<br />

In Kleinschramming kennen sie mich nicht.<br />

Da hat das Internet noch keinen Einzug<br />

gehalten, und die Autofahrer fallen in Sekundenschlaf<br />

und landen im Graben, bevor<br />

sie einen Auftrittsort von mir erreichen<br />

können. Und in meinem realen Heimatort<br />

spuckt mir im Supermarkt auch niemand in<br />

die Schinkensemmel. Höchstens heimlich,<br />

was total in Ordnung für mich wäre. Hauptsache,<br />

ich merke es nicht.<br />

Ihr „Alles ist unser“, wie Sie es als<br />

Wirtschaftsstudent vor jeder Vorlesung<br />

heruntergebetet haben, lautet<br />

auszugsweise „Unseren täglichen<br />

Kursgewinn gib uns heute und vergib<br />

uns unsere Schulden, wie auch wir<br />

vergeben unseren Schuldigern –<br />

niemals. Und führe uns stets in<br />

Versuchung. (…) Denn Dein ist der<br />

Reichtum und die Dividende und<br />

die Herrlichkeit. Bis zur nächsten<br />

Krise.“ – Zustandsbeschreibung des<br />

internationalen Wirtschaftsgeschehens?<br />

Ich hoffe nicht, dass die Börsenmärkte in<br />

sich zusammenbrechen. Ich lasse mir die<br />

Gagen nämlich immer in Aktienpaketen<br />

auszahlen.<br />

Was machen Sie, wenn Sie eines Tages<br />

nicht mehr so jung und schüchtern<br />

aussehen und stattdessen die, wie<br />

Sie sagen, „internationale Sexikone“<br />

geworden sind, an der Sie im Moment<br />

noch arbeiten?<br />

Ich werde mich auf die Bühne stellen. 90<br />

Minuten lang kein Wort verlieren. Mich<br />

bloß anschauen lassen. Und die Leute<br />

werden es lieben. ▪ Harald Sager<br />

Foto: Markus Wache<br />

50 — März <strong>2020</strong>

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