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LADR-75 Jahre-Jubiläumsbuch

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Neuzeit/Moderne<br />

Frühe Neuzeit/Renaissance<br />

Der Theologe und Philosoph Nicolaus von Kues (1401–<br />

1464) macht den Vorschlag, mit der Waage die Gewichte<br />

des Urins und Blutes zu messen, da diese bei Gesunden<br />

und Kranken unterschiedlich seien. Eine Erkenntnis, die<br />

in Arabien bereits Jahrhunderte zuvor in die ärztliche<br />

Lehre Eingang gehalten hat. Der Forscher Galileo Galilei<br />

(1564–1612) stellt nun auch in Europa Fragen an die Natur,<br />

erste Experimente werden ausgeführt. Seit dem 16. Jahrhundert<br />

zählt in Europa das Auswiegen des Urins zur ärztlichen<br />

Kunst, die beobachteten Erscheinungen werden aber<br />

weiterhin mit der alten „Säftelehre“ gedeutet.<br />

Der Chemiker Justus von Liebig (1803–1873) veröffentlicht<br />

1840 kurz nacheinander zwei Bücher, in denen er die<br />

chemischen Veränderungen im großen Zusammenhang<br />

darstellt. Dies hat großen Einfluss auf die Mediziner und<br />

überzeugt viele, den „Stoffwechsel“ und die Vorgänge im<br />

lebenden Organismus durch chemische Untersuchungen<br />

zu studieren. Von Medizinern wird in etwa gleichzeitig<br />

das durch den Arzt François Joseph Victor Broussais<br />

(1771–1839) entwickelte Konzept der „physiologischen<br />

Medizin“ übernommen, die Krankheit als Störung der<br />

Funktionen erkennt, welche sie vom normalen Zustand<br />

entfernt. Nach und nach entwickelt sich ein neues Fachgebiet:<br />

die medizinische oder „Klinische Chemie“.<br />

„Ich bin Nichts, wenn ich nicht Chemiker und<br />

Arzt zugleich bin, aber in dieser Union besteht<br />

die Schwierigkeit meiner Existenz.“<br />

[Ludwig Thudichum, 1869]<br />

Medizinisches Laboratorium um 1910 im Klinikum von Bircher-Benner<br />

(„Bircher-Müsli“ als Ernährungstherapie). Von links nach rechts: Zentrifuge,<br />

Pipette, Wasserbad, Zucker-Polarimeter und Mikroskop.<br />

Erforschung der Natur<br />

Chemische Aufklärung<br />

Einfache Reaktionen<br />

Objektive Methoden<br />

Urinwaage um 1600: Das gesamte „Wasser“ eines Tages<br />

wurde gesammelt und ausgewogen.<br />

Theoprastus Bombastus von Hohenheim (1493–1541), genannt<br />

Paracelsus, erkennt in der Alchemie, der Lehre von<br />

den Eigenschaften der Stoffe und ihren Reaktionen, eine<br />

wichtige Säule einer neuen Medizin. Die Verfahren seiner<br />

Schüler, wie Faulenlassen und Gärung für die Zerlegung<br />

(„Scheidung“) der in den menschlichen Flüssigkeiten<br />

enthaltenen Stoffe, werden allerdings ohne nachhaltigen<br />

Erfolg für die Medizin bleiben. Einzig die dosierte Anwendung<br />

von Feuer zur Verdampfung, Destillation, erinnert<br />

an heutige Methoden. Die erhoffte Messung im „Destillationsgefäß“<br />

ist allerdings eine erdachte Deutung nach<br />

Körperzonen des Menschen.<br />

„Es ist kaum begreiflich, wie<br />

man das Abnorme erkennen<br />

wollte, da man das Normale<br />

noch gar nicht kannte.“<br />

[Carl Gotthelf Lehmann, 1850]<br />

Albuminometer nach Esbach, 1874.<br />

Bis zur Marke „U“ wird Urin eingefüllt,<br />

dann bis zur Marke „R“ das Reagenz Pikrinsäure<br />

zugegeben. Nach Schütteln fällt<br />

Eiweiß aus und setzt sich nach Stehenlassen<br />

am Boden ab, wo anhand der Graduierung<br />

die Eiweißkonzentration abgelesen<br />

werden kann.<br />

Der Physiker Gustav Robert Kirchhoff (1824–1887) und<br />

der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen (1811–1899) entwickeln<br />

die „Spektralanalyse“, eine neue Methode zur Untersuchung<br />

von gefärbtem Licht. Gefärbte Lösungen, wie<br />

Urin oder Blut, zeigen bei der Betrachtung in der Spektroskopie<br />

die Regenbogenfarben des Lichtspektrums mit<br />

dunklen Auslöschungen („Banden“), die charakteristisch<br />

für gelöste Farbstoffe wie Blut- oder Gallenfarbstoff sind.<br />

Auch da Kerzen als Lichtquellen dienen, fehlt es noch an<br />

Vergleichbarkeit der Messergebnisse. Der autodidaktische<br />

Optiker Joseph von Fraunhofer (1787–1826) hatte<br />

zuvor um 1815 mit einem einfachen Prismen-Spektroskop<br />

die Absorptionsstreifen des Sonnenlichts untersucht und<br />

katalogisiert.<br />

„Die Medizin will<br />

Naturwissenschaft sein.“<br />

[Rudolf Virchow, 1844]<br />

Ärzte und Wissenschaftler erforschen<br />

zunehmend systematisch die Ursache von<br />

Erkrankungen in Reihenuntersuchungen<br />

an Lebenden und durch Sektionen von Verstorbenen.<br />

Möglichst durch „Maß und Zahl“<br />

werden die bei Kranken erhobenen „Befunde“,<br />

losgelöst vom Einzelnen, „objektiv“<br />

beschrieben. Die früher nur beobachteten<br />

Zeichen werden zu „Symptomen“ des<br />

Krankheitsbildes.<br />

Der Pionier der Biochemie Otto Folin (1867–1934) entwickelt<br />

zahlreiche analytische Methoden zur Untersuchung<br />

des Urins und der Blutanalyse als Grundstein<br />

der heutigen Klinischen Chemie in der Labormedizin. Er<br />

entwickelt die Kolorimetrie (Farbmessung nach Duboscq)<br />

als Methode für nahezu alle klinisch wichtigen Laboruntersuchungen.<br />

Auch die Polarimetrie zur Bestimmung<br />

der optischen Aktivität von Stoffen und Lösungen wird<br />

eingeführt. Die Untersuchungen erwiesen sich aber als<br />

noch zu aufwändig und noch nicht praktikabel für die allgemeine<br />

Ärzteschaft.

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