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Titel
Foto: Pixabay
Ja hallo Frau Stadler, gut dass Sie anrufen. Wir hätten
das von ihrem Mann reservierte Wochenende für das
Ferienhaus nicht mehr länger freihalten können. Es
gibt zu viele Interessenten.“
Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug hatte sie es doch
gewusst! „Ja genau deswegen rufe ich an. Wenn es passt,
komme ich in der nächsten halben Stunde vorbei und hole
die Reiseunterlagen ab.“ Zwei Stunden später hatte sie ihren
Rucksack schon fertig gepackt. Für ein Wochenende brauchte
sie nicht viel, doch es sollte gut durchdacht sein, weil auch
Proviant noch in den Rucksack passen musste. Und wie sie
im Internet gesehen hatte, würde sie vom Bahnhof aus noch
ein ganzes Stück zu Fuß auf den Berg gehen müssen. Das
Reisebüro hatte ihr versichert, dass der Schlüssel unter dem
dritten Holzscheit hinter dem großen Blumentopf links vom
Eingang liegt. So sei es mit dem Vermieter vereinbart, da er
selber keine Zeit hat zu kommen und das Haus eben sehr,
sehr einsam liegen würde. Das war ihr nur recht! Genauso
hatte sie es geplant, denn je weniger Menschen eingeweiht
waren, desto kleiner das Risiko.
Sie liebte ihren Mann … obwohl sie dieses eine Wochenende
im Advent brauchte. Sie wusste auch, dass sie
ihm damit ziemlich viel Kummer bereitete, aber dennoch
konnte sie nicht auf diese zwei Tage verzichten. Sie war
gerade mit allem fertig, als ihr Mann nach Hause kam.
Sie, Er
und
der Andere
Das besondere
Wochenende im Advent
Er schloss die Türe auf und sah den gepackten Rucksack
seiner Frau im Flur stehen und wusste sofort Bescheid.
Dieses Wochenende würde es wieder passieren. Er
war erleichtert und panisch zugleich, denn erst nach diesem
Wochenende konnte er richtig entspannen und sich
auf Weihnachten freuen.
„Kannst du mich bitte zum Bahnhof fahren? Ich bin
Sonntagabend gegen 22 Uhr wieder zurück.“ Stumm nickte
er, nahm den Rucksack und ging voraus zum Wagen. Während
der Fahrt zum Bahnhof sprachen sie kein Wort und er
ließ ihre Hand nur zum Schalten los. Sie schien ihn aber
auch so zu verstehen. Vor dem Bahnhofsgebäude ging alles
sehr schnell. Es gab wie immer keinen Parkplatz, so dass
er in der zweiten Reihe anhielt, sie kurz umarmte, ihr einen
flüchtigen Kuss auf die Wange drückte, und weg war sie.
Diesmal fuhr er nicht sofort wieder nach Hause. Da war
ja niemand. Er fuhr zu einer ihm nur flüchtig bekannten
Kneipe und bestellte sich dort einen doppelten Whisky.
Das war eigentlich so gar nicht seine Art, aber einmal im
Jahr musste es sein. Dann gingen seine Gedanken zurück
in die Zeit vor vielen Jahren, als er seine Frau kennengelernt
hatte, dort in der Klinik. Er war damals Pfleger auf
der Intensivstation, als sie seelisch und körperlich verwundet,
eingeliefert wurde. Die Ärzte hatten sie lange in ein
künstliches Koma gelegt und er hatte sie gepflegt.
Von Anfang an fühlte er sich zu dieser Frau hingezogen
und erfüllte weitaus mehr als seine Pflicht als Pfleger
ihr gegenüber. Wie oft hatte er nach Dienstschluss
an ihrem Bett gesessen und ihr Dinge erzählt, ihr etwas
vorgesungen oder einfach nur ihre Hand gehalten. Auch
später, als sie wieder wach war, galt ihr seine ganze Aufmerksamkeit
und sie schien nichts dagegen zu haben. Die
Wunden heilten recht schnell, doch psychisch fand sie
einfach nicht zurück ins normale Leben. Tagsüber lag sie
teilnahmslos im Bett und befolgte wie ein braves Kind
die Anweisungen von Ärzten, Pflegepersonal und Physiotherapeuten.
Nachts hatte sie Albträume. Er meinte,
wenn er in ihrer Nähe war, schien sie etwas interessierter
... oder hatte er sich das nur eingebildet?
Dann kam der Tag ihrer Entlassung. Sie hatte nie Besuch,
keine Telefonate geführt. So war er voller Sorge,
wie sie es wohl in ihrer kleinen Wohnung, die sie zu haben
schien, aushalten würde. Ihm war klar, dass sie nichts
essen würde, wenn ihr niemand etwas hinstellte. Vermutlich
würde sie nur die Wand anstarren und dabei letztlich
verhungern. Also hatte er sich überlegt, sie erst einmal
bei sich unterzubringen. Dies hatte er ihr gerade vorgeschlagen,
als zu seinem und ihrem Erstaunen das Telefon
neben ihrem Bett klingelte. Sie nahm ab, meldete sich
und hörte sehr konzentriert zu. Dann änderte sich mit einem
mal etwas. Er konnte gar nicht genau sagen was es
war, denn sie saß noch genauso von den Kissen gestützt
da wie vorher. Es musste an ihrer Körperspannung liegen.
Plötzlich wirkte sie ganz wach und interessiert! Das Gespräch
dauerte nicht lange. Sie hörte fast nur zu. Zweimal
sagte sie: “Si!“ und am Ende des Telefonates: „Ti amo!“
Dann legte sie auf und ein Strom von Tränen lief über
ihre Wangen.
Nach einiger Zeit begann sie zögerlich zu sprechen:
„Ich weiß, dass du mich sehr gern hast, ich mag dich auch.
Ich ziehe gerne bei dir ein. Wir können ja sehen wie es
läuft. Vielleicht heiraten wir ja auch später. Ich würde dir
sicherlich eine gute Frau sein. Nur ein Wochenende in der
Adventszeit brauche ich für mich, da müsstest du mich
freigeben, ohne Fragen, ohne Eifersucht, ohne Probleme.“
Er hatte damals nur stumm genickt. Der Andere spürte
wie immer die Kälte nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit
lag auf diesem Haus, dieser Umgebung und den Weg dort
hinauf. Immer wieder spähte er durch das Nachtsichtgerät.
Es war dunkel und bald würde sie da sein. Der Zug
musste längst angekommen sein und er war sich so sicher,
dass sie kam. Sie würde seine Nachricht richtig verstanden
haben. Er schaute zum wiederholten Male auf seine
Uhr. Natürlich hatte er kein Handy. Viel zu gefährlich!
Jeder kann diese Dinger heute orten. Sie würde ihres auch
ganz sicher zu Hause gelassen haben. Denn sie wusste
Bescheid, war gut ausgebildet und super vorsichtig.
Keiner von beiden ging ein überflüssiges Risiko ein,
außer diesem einen. Jetzt hörte er ihre Schritte. Er wusste,
dass sie nicht den direkten Weg nahm, nein, sie kam
genau von der anderen Seite. Er wusste auch ganz genau,
dass sie eventuellen Verfolgern entwischt war, denn sie
war gut, und alles blieb still nachdem sie im Haus verschwunden
war. Bevor sie die Gardinen zuzog, ließ sie
ihn sehen, dass sie Feuer im Kamin machte und dort ein
Lager aus Matratzen und Decken baute. Sie würden nicht
viel Platz brauchen und das Essen und der Wein sollten
in Reichweite sein.
Hier im Ferienhaus war seine Energiequelle. Hier würde
er in den nächsten zwei Nächten Ruhe finden und auftanken
für sein anstrengendes Leben. Dort würde er sich
entspannt ausruhen können, denn sie würde über seinen
Schlaf wachen, die Gefährtin, die er damals in einem
Hinterhalt fast verloren hätte. Noch ein letztes Mal blickte
er durch sein Fernglas und suchte die Umgebung ab. Dann
nutzte er sein elektronisches Wunderwerk am Handgelenk,
um verschiedene Details zu überprüfen. Nachdem alle
Informationen zufriedenstellend ausfielen, kam er aus
seinem Versteck und näherte sich in großen Kreisen dem
Ferienhaus. Schließlich huschte er durch die Haustüre, die
sie für ihn offen gelassen hatte, und drehte den Schlüssel
im Schloss.
Ulla D’Amico
Ihr Partner fürs
Wohnen und Bauen
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