Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
CATS<br />
2021 dürfen wir mit Grizabella, Rum Tum Tugger<br />
und Alt Deuteronimus eine weitere Saison den<br />
Jellicle Ball feiern. Weil wir Österreicher einfach<br />
nicht genug von den singenden Katzen bekommen.<br />
Das ist historisch bedingt.<br />
20<br />
Alive spürt man mehr.<br />
EDITORIAL<br />
Als ich vor knapp einem halben<br />
Jahrzehnt im norwegischen Bergen<br />
ein Festival besuchte, bei<br />
dem vor einem Publikum, das sich von<br />
Südamerika bis Asien, von (natürlich!)<br />
Norwegen bis nach Down Under spannte,<br />
ausschließlich heimische Bands auftreten<br />
sollten, diskutierte ich noch mit europäischen<br />
Journalistenkollegen über die Spezifik<br />
der nordischen Länder und die Absurdität,<br />
ein derart geografisch eng gebündeltes<br />
Line-up irgendwo anders in<br />
Europa zu probieren. Allein der Gedanke<br />
schien schon waghalsig, insbesondere<br />
wenn man trotz Nationalfokus auch stets<br />
das internationale Format im Auge behalten,<br />
gleichzeitig feinsinnig und wirtschaftlich<br />
kuratieren wollte: Volksmusikund<br />
Boutique-Festivals also außen vor.<br />
Natürlich, die österreichische Musikschreibung<br />
hört auch in der distanzierten Außenwahrnehmung<br />
nicht bei Mozart oder<br />
Falco auf – einige wenige zeitgenössische<br />
Musiker haben sich auch im deutsch- und<br />
fremdsprachigen Ausland einen Namen<br />
gemacht. Und ja, Wien hat das fabulöse<br />
Popfest, bei dem auch weniger prominente<br />
Namen zum Handkuss kommen – doch<br />
weite Kreise über unsere kleinen Landesgrenzen<br />
hinaus zieht selbst selbiges nicht.<br />
Und nicht selten auch die Krux, dass sich<br />
ein Österreicher erst im Ausland seine<br />
Sporen verdienen muss, bevor er „daheim“<br />
überhaupt von der Seite angeschaut wird<br />
– Parov Stelar sei hier als ein Beispiel von<br />
vielen genannt.<br />
Die Gründe, warum etwa Österreich lange<br />
Zeit von der Landkarte verschwunden war,<br />
sind mannigfaltig und nicht allein mit einem<br />
Schulterzucken abzutun: Niveau, Professionalität<br />
und Charakter waren über<br />
weite Strecken ebenso wenig en vogue wie<br />
Gönnerschaft oder Solidarität. Gleichsam<br />
hörte nicht selten der anfänglich lodernde<br />
Esprit auf, sobald man sich im Dorfe einen<br />
Ruf erspielt hatte und die Erwartungshaltung,<br />
fortan hofiert zu werden, künstlerischen<br />
Wagemut überdeckte.<br />
Selbst heute, inmitten der Gabalier-, Seiler-<br />
&-Speer-, Wanda- und Bilderbuch-Hysterie<br />
von einem Hype österreichischer Musik<br />
zu sprechen, wäre übertrieben – aber immerhin<br />
„Potenzial“ lässt sich mit gutem<br />
Gewissen konkludieren: Während im Formatradio<br />
und bei Preisverleihungen stets<br />
dasselbe (teils aalglatte) Dutzend wiedergekäut<br />
wird, hat sich mittlerweile in zweiter<br />
Reihe eine Phalanx gebildet, die dem Zeitgeist<br />
entspricht und nicht, wie Herr und<br />
Frau Österreicher sonst auch mal gern, in<br />
vorgestriger Dauerschleife festhängt – dabei<br />
Lokalkolorit in mondiale Gewänder hüllt<br />
und somit Musik aus Österreich verkauft,<br />
ohne vehement mit der Landesflagge zu<br />
wacheln und Reparationslobhudeleien einzufordern.<br />
Diesem mittlerweile stringent<br />
aber gesund wachsendem Pulk zollt oeticket<br />
seit Jahresanfang vermehrt Tribut: Sowohl<br />
als ALIVE@home coronabedingt auf der<br />
digitalen Bühne als auch als livehaftige Konzertreihe<br />
ALIVE, die etwa diesem Herbst<br />
mit Dua Plicity, Pure Chlorine und Dives<br />
im WUK stationierte. Hier wird deutlich,<br />
dass das österreichische Charisma zum<br />
Glück nicht bei Austropop aufhört und<br />
langsam der Landesliga entwächst.<br />
Stefan Baumgartner (Chefredakteur)<br />
| 03