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Stefanie Sargnagel<br />

Dicht<br />

Für viele ist die Wiener „Anarchopoetin“ Stefanie Sargnagel, die bürgerlich nicht weniger<br />

cool „Sprengnagel“ heißt, ein rotes Tuch – fast so wie ihre knallrote Baskenmütze, die lange<br />

Zeit ihr Markenzeichen war. Mit ihren Facebook-Einträgen, die gesammelt etwa 2017 bei<br />

Rowohlt erschienen, erregte sie regelmäßig Gemüter, insbesondere von Männern. Sie schienen<br />

sich von Sargnagels „Gosch’n“ direkt angegriffen – so etwa auch Autor Thomas Glavinic,<br />

der ätzte, Sprengnagel sei ein „sprechender Rollmops“ und eine „talentfreie Krawallnudel“.<br />

Zugegeben, die Bezeichnung Krawallnudel ist vielleicht nicht schmeichelhaft, liegt aber nicht<br />

so weit von der Wahrheit entfernt: Sargnagel bürstet nicht nur in Wort, sondern – etwa im<br />

Falter – auch in Bild gern gegen den Strich und das erschwert den Zugang zu ihr, zumindest<br />

als Kunstfigur. Dass die Kunstfigur aber vielleicht vom Menschen dahinter nicht so weit<br />

entfernt ist, vielleicht gar nur eine Replik, das deutet ihr autobiografisch geprägter Comingof-Age-Roman<br />

„Dicht“ an: Nach ihren zugespitzten Alltags- und Gegenwartsverdichtungen<br />

auf sozialen Medien für den Endkonsumenten ein vielleicht nicht dringlich notwendiger,<br />

aber doch erlösender Kontext.<br />

Wie weit „Dicht“ da nun ein Bildungsroman ist, der entweder autobiografisch oder autofiktional<br />

mäandert, ist letztlich egal: Die Geschichte, die Sargnagel im Alter von etwa 15 bis 20<br />

durchlebt, ist belanglos und drastisch zugleich und schafft mit diesem klaffenden Ungleichgewicht<br />

exakt die Ordnung, die es braucht, um Sargnagels stringent hakenschlagendes Spiel mit<br />

Konventionen zu verstehen – beschreibt sie doch hier ihren Weg von einer in endloser Verweigerung<br />

treibenden, frustrierten Schülerin zur Künstlerin, bei der nie ganz klar ist, wo die<br />

Kunst aufhört und die Künstlerin schließlich anfängt: Anstatt bildungsbürgerlich zu adoleszieren stiefelt sie mit teils wechselndem<br />

Freundeskreis, den der Wahnsinn und der Rausch eint, durch den vor Grind nur so triefenden Alltag in Beisln, Suchtler-Stuben, Parks<br />

und Assi-Buden. Hier wird ein Wienbild gemalt, das ebenso eine der Wahrheiten über die österreichische Hauptstadt ist wie der<br />

aufgedrückte Stempel der „Lebenswertigkeit“: Ein Stadtbild nämlich, das etwa auch Voodoo Jürgens besingt oder Helmut Qualtinger<br />

beschreibt. In flacher Dramaturgie werden jugendliches Pathos, Weltekel und -verbesserung schön ausstaffiert – verklärt wird dabei<br />

jedoch nicht. Vielmehr erbricht Sargnagel mit ihrer unverzagten, saloppen Sprache eine bestechend präzise Milieustudie.<br />

Christopher Just<br />

Der Moddetektiv besiegt Corona<br />

Es war zu hoffen, dass Corona in der künstlerischen<br />

Auseinandersetzung allein bei ohnehin<br />

schon unlustigen deutschen Comedians Einzug<br />

findet, doch die Pandemie treibt ihre Stilblüten<br />

bereits bis in die Welt der Literatur hinein.<br />

Gottlob nähert sich Christopher Just mit seinen<br />

zwischen Infantilität, Torheit und Schläue changierenden<br />

sprachlichen Stilstudien atypisch der<br />

Misere und löst den ernsten Zeitgeist auf: Just<br />

war in den Neunzigern Grandseigneur der Wiener Elektronik, lange<br />

bevor auch nur irgendein Hahn nach den heutigen Koryphäen krähte.<br />

Später postete er dann viel trashigen, dabei aber eminent äsopischen<br />

Scheiß auf Facebook. 2017 legte er schließlich seinen Debütroman<br />

vor, eine aberwitzige Tour de Force eines skurrilen (Mod)-Detektivs,<br />

der nicht nur ein trauriges Überbleibsel einer Subkultur war, sondern<br />

auch einen spektakulären Kriminalfall lösen musste. Nun, drei Jahre<br />

später, findet sich der Moddetektiv in der zweiten Welle von Corona<br />

wieder, und diese hat die Welt noch stärker getroffen als die erste –<br />

die Menschheit auf die Hälfte reduziert und Plasma-Junkies zerfleischen<br />

auf der Suche nach Antikörpern Gesundete. Auch der Moddetektiv<br />

kränkelt, doch ist er unabdingbar, einer wahnwitzigen Sekte und<br />

ihrem Superspreader das Handwerk zu legen: Glücklicherweise hat<br />

er so etwas wie ein „Miracle Cure“ in petto … Der Modfather Paul<br />

Weller gastiert am 12. Mai in Linz, am 14. in Wien.<br />

Katja Krasavice<br />

Bitch Bibel<br />

Nicht allen Menschen gefällt, wie sich die im<br />

tschechischen Teplice geborene rappende You-<br />

Tuberin Katja Krasavice (bürgerlich Katrin Vogelová)<br />

inszeniert: Beleidigungen und Hasskommentare<br />

prägen bereits die früheste Jugend<br />

der heutigen „Boss Bitch“, die schon im zarten<br />

Alter als „billige Barbie“ durch ihre neue Heimat<br />

Leipzig stolzierte und – um die daraus resultierende<br />

Ablehnung durch ihre Geschlechtsgenossinnen<br />

zu kompensieren – bald auch vögelte. Ihre „Bitch Bibel“,<br />

das niedergerschriebene Ergebnis der coronabedingten Tour-Zwangspause,<br />

erzählt von Verletzungen und Verlusten, Träumen und Traumata,<br />

Erkenntnissen und Erfolgen, Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung<br />

– aber eigentlich geht es vor allem ums Aussehen, Lebensziel<br />

Barbiepuppe. Nicht, um irgendwem, sondern allein um<br />

sich selbst zu gefallen. Das wird an allen möglichen Ecken als Hyperfeminismus<br />

verkauft, wirkt dabei aber ein bisserl unbeholfen<br />

aus dem Dekolleté quellend. Trotzdem: Dass Krasavice ihre Selbstinszenierung<br />

als Selbstbestimmung feiert und dafür kämpft, ein<br />

künstliches Klischee zu sein, kauft man ihr ob der kalkulierten<br />

Provokation seit Anbeginn ihrer Geschichtschreibung (die sich hie<br />

und da auch wie eine Rechtfertigung liest) ab. Krasavice präsentiert<br />

ihre „Bitch Bibel“ am 30. Jänner in Linz, am 31. in Wien. Ihre<br />

„Eure Mami“-Tour gastiert am 2. Oktober im Gasometer.<br />

gcheckt: bücher| 49

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