11.12.2020 Aufrufe

tassilo - das Magazin rund um Weilheim und die Seen - Ausgabe Januar/Februar 2021

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Original in Bayerischer Staatsbibliothek<br />

Das Wessobrunner Gebet<br />

Wessobrunn | Es handelt sich <strong>um</strong><br />

<strong>das</strong> älteste erhaltene, christliche<br />

Gedicht deutschsprachiger Literatur:<br />

Das Wessobrunner Gebet.<br />

Aufbewahrt wird <strong>das</strong> Original<br />

in der Bayerischen Staatsbibliothek<br />

München, Abteilung „Handschriftliches“.<br />

Genaugenommen<br />

in einem <strong>r<strong>und</strong></strong> <strong>um</strong> <strong>die</strong> Uhr gesicherten<br />

Ra<strong>um</strong>, gemeinsam mit<br />

anderen, historisch wertvollen<br />

Handschriften. Um <strong>die</strong>se „Pergamenthandschrift<br />

mit mittelalterlichem<br />

Ledereinband über einem<br />

Holzdeckel“ möglichst lange im<br />

Urzustand erhalten zu können,<br />

ist <strong>das</strong> Wessobrunner Gebet nicht<br />

nur <strong>r<strong>und</strong></strong> <strong>um</strong> <strong>die</strong> Uhr bewacht –<br />

<strong>die</strong> Temperatur des Aufbewahrungsra<strong>um</strong>es<br />

beträgt ganzjährig<br />

18 Grad, <strong>die</strong> Luftfeuchtigkeit liegt<br />

immer bei 50 Prozent. Obendrein<br />

ist <strong>das</strong> Schriftstück in eine auf Maß<br />

angepasste Schutzkassette aus alterungsbeständiger<br />

Pappe mit<br />

Leinenbezug <strong>und</strong> schadstofffreiem,<br />

natürlichem Klebstoff gehüllt.<br />

So ist der „Wessobrunner Codex“<br />

vor mechanischer Beschädigung<br />

ebenso wie vor Licht, Staub sowie<br />

raschen Temperatur- <strong>und</strong> Feuchtigkeitsschwankungen<br />

geschützt.<br />

Verfasser bis heute<br />

unbekannt?<br />

Einer, der schon unzählige Male<br />

den Weg nach München auf sich<br />

genommen hat: Konrad Hölzl,<br />

zwischen 1972 <strong>und</strong> 1996 Bürgermeister<br />

der Gemeinde Wessobrunn,<br />

der sich mit zunehmendem<br />

Alter immer häufiger der<br />

hiesigen Ortshistorie annahm. Er<br />

schrieb Haus- <strong>und</strong> Hofgeschichte<br />

nieder, veröffentlichte ein Buch<br />

mit gesammelten Sterbebildern<br />

Altbürgermeister Konrad Hölzl mit der Nachbildung des Originals.<br />

<strong>und</strong> kennt sich auch mit dem<br />

Wessobrunner Gebet bestens aus.<br />

„Geschrieben wurde es <strong>um</strong> 800“,<br />

sagt er. Der Verfasser? „Unbekannt“.<br />

Aber noch viel spannender:<br />

„Obwohl namentlich alles<br />

darauf hindeutet, wurde es nicht<br />

in Wessobrunn geschrieben.“ Allein<br />

deshalb nicht, weil 955 nach<br />

Christus, also <strong>r<strong>und</strong></strong> 155 Jahre nach<br />

der Entstehung des Schriftstückes,<br />

<strong>die</strong> Ungarn <strong>das</strong> komplette Wessobrunner<br />

Kloster zerstört <strong>und</strong><br />

nahezu alle darin lebenden Mönche<br />

<strong>um</strong>gebracht hatten – lediglich<br />

drei Mönchen gelang damals <strong>die</strong><br />

Flucht. Eine grausame Zeit, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>ses christliche Gedicht unmöglich<br />

hätte überleben können. Getauft<br />

wurde <strong>das</strong> Schriftstück erst<br />

im Jahre 1803 z<strong>um</strong> „Wessobrunner<br />

Gebet“. Hinterg<strong>r<strong>und</strong></strong>: Im Zuge der<br />

Säkularisation, zwischen 1799 <strong>und</strong><br />

1821, wurden kirchliche Besitztümer<br />

verstaatlicht, fand sozusagen<br />

erstmals in der Geschichte der<br />

Menschheit eine Art Verweltlichung<br />

statt. Davor blieb auch <strong>das</strong><br />

Wessobrunner Kloster nicht verschont.<br />

Und alles, was <strong>die</strong> damaligen<br />

Staatsmänner beim Streifzug<br />

durch Wessobrunn gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

als wertvoll angesehen haben,<br />

wurde beschlagnahmt. Dazu gehörte<br />

auch <strong>die</strong>ses handgeschriebene<br />

Gebet in altdeutscher Sprache,<br />

<strong>das</strong> damals, also 1803, im<br />

Wessobrunner Kloster gef<strong>und</strong>en –<br />

<strong>und</strong> deshalb auch z<strong>um</strong> „Wessobrunner<br />

Gebet“ getauft wurde.<br />

Wie <strong>und</strong> vom wem es dorthin<br />

gekommen ist? „Auch nicht bekannt“,<br />

sagt Hölzl <strong>und</strong> grinst. Forscher<br />

gehen allerdings davon aus,<br />

<strong>das</strong>s es jemand aus den Diözesen<br />

in Augsburg oder Regensburg geschrieben<br />

haben könnte.<br />

Hinkelstein am<br />

Lindenplatz<br />

Ein bisserl traurig sind <strong>die</strong> Wessobrunner<br />

schon, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Original<br />

ihren Namen trägt, aber nicht in<br />

Gemeindebesitz ist. Wobei <strong>die</strong><br />

Nachbildung, aufbewahrt im<br />

Wessobrunner Pfarramt, dem Original<br />

verblüffend ähnlich sieht.<br />

Z<strong>um</strong>al weitere Erinnerungen an<br />

<strong>das</strong> christliche Gedicht fest im<br />

Dorf verankert sind. Z<strong>um</strong> Beispiel<br />

ein <strong>r<strong>und</strong></strong> 2,50 Meter großer Hinkelstein,<br />

platziert am Lindenplatz<br />

gegenüber des Gasthauses „Zur<br />

Post“. In ihm ist ebenfalls <strong>das</strong><br />

Das Gebet in Stein gemeißelt: Am Lindenplatz in Wessobrunn, über dem Gasthaus „Zur Post“, steht <strong>die</strong>ser<br />

gegen-<br />

Hinkelstein.<br />

20 | <strong>tassilo</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!