at - Wirtschaftsnachrichten
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KOMMENTAR<br />
Geht’s Ihnen auch so wie mir?<br />
Fernweh führt zu Heimweh<br />
Kommentar von Dieter Chmelar*<br />
Was ist Urlaub? Okay, okay – die<br />
alljährlich gesetzlich verankerte<br />
arbeitsfreie Zeit. Aber jetzt einmal<br />
rein von den Sprachwurzeln her: Urlaub?<br />
Klingt fast wie der pflanzliche Zeitgenosse<br />
zum mineralischen Ur-Gestein<br />
oder auch zum (affenartigen) Ur-Menschen.<br />
Grade so, als wär’s einst, vor Jahrmillionen,<br />
im Ur-Herbst in den Ur-Wäldern<br />
von den Ur-Bäumen herabgesegelt,<br />
das Ur-Laub.<br />
Stimmt n<strong>at</strong>ürlich nicht –<br />
mit Verlaub gesagt<br />
Urlaub kommt von „Erlaubnis“. Genauer:<br />
Von der offiziellen, mittelalterlichen (meist<br />
fürstlichen) Genehmigung für Ritter, sich<br />
für eine kurze Weile von der Burg entfernen<br />
zu dürfen, um daheim nach dem<br />
Rechten zu sehen. Eine kurze Weile wohl<br />
deshalb, damit es nicht zu einer Langeweile<br />
ausuferte.<br />
Womit wir mitten drin wären im Thema:<br />
Mein seit Kindertagen immer wiederkehrender<br />
Traum vom unbegrenzten mehrmon<strong>at</strong>igen<br />
Urlaub führt regelmäßig (und<br />
verlässlich nach zwei Wochen) zu grenzenlosem<br />
Überdruss vom Überfluss am<br />
Nixtun – egal, wo ich war, und egal, wie<br />
schön es dort war. Denn zuhause kommt<br />
jenes Wasser aus der Leitung, das anderswo<br />
um teures Geld (halb so klar) in<br />
Flaschen verkauft wird. Und: Zuhause<br />
warten Schwarzbrot, ungesalzene Butter,<br />
Schnittlauch, Rindsuppe mit Milzschnitten,<br />
Grammelknödeln mit Sauerkraut und<br />
hauchdünne Marillenpal<strong>at</strong>schinken – um<br />
nur MEIN liebstes Menü herunterzubeten.<br />
Wahrscheinlich geht’s mir wie dem auf so<br />
wundersame Weise Wien-verwurzelten<br />
Weltbürger Otto Schenk, der ja von sich<br />
glaubhaft berichtet: „Ab Pressbaum hab<br />
ich schon Heimweh.“<br />
Was die Westösterreicher so kernig „Dahoam<br />
is dahoam“ nennen, darauf machen<br />
sich die Engländer den einprägsamen<br />
Reim: „East or west – home is best“. Und<br />
die alten Perser meinten gar, leicht bedrohlich:<br />
„Das Beste, was man von Reisen<br />
nach Hause bringt, ist die heile Haut.“<br />
Diese Gefahren sind heutzutage eher auf<br />
zwei – durchaus hautnahe – Spätfolgen<br />
beschränkt: Braungebrannt und abgebrannt.<br />
Denn es geht uns (überwiegend) prächtig.<br />
Zweimal Urlaub pro Jahr ist bei einer<br />
Mehrheit der Bevölkerung gar nix B’sonderes<br />
mehr. Ein kabarettistischer Dialog<br />
illustriert das aufs Köstlichste: „Ich komm<br />
grad von einer Weltreise“, erzählt ein<br />
Freund dem anderen. – „Und wie war’s?“,<br />
fragt dieser. Darauf der Globetrotter (mit<br />
einem „r“ am Ende, nicht mit einem „l“!)<br />
mit verächtlicher Miene: „Geh! Durt fahr i<br />
nimmer hin ...“<br />
Und vom alten Grafen Bobby kennen wir<br />
Mit der Non-Profit-Initi<strong>at</strong>ive „Global Family“ h<strong>at</strong> Karl Auer in zwei Jahren fast 400 Familien –<br />
mehr als 1000 Personen – ihren allerersten Urlaub ermöglicht.<br />
die Begebenheit<br />
aus seinem Urlaub<br />
am Meer. Der Hotelportierinformiert<br />
ihn über die<br />
Essenszeiten:<br />
„Frühstück von 8<br />
bis 11 Uhr, Mittagessen<br />
von 11 bis 15<br />
Uhr, Kaffee von 15<br />
bis 18 Uhr, Abendessen<br />
von 18 Uhr<br />
bis Mitternacht.”<br />
Darauf Bobby: „Zu<br />
blöd! Ich wär’ so<br />
gern auch einmal<br />
zum Strand gegangen!”<br />
*Chmelar (53) ist<br />
Moder<strong>at</strong>or, Entertainer,<br />
Autor und KU-<br />
RIER-Kolumnist<br />
Dabei gibt es mehr Mitmenschen, als man<br />
wahrhaben möchte, die noch NIE auf Urlaub<br />
waren. Aus sozialer Schieflage heraus<br />
bleibt der Pl<strong>at</strong>z an der Sonne nur<br />
eine brennende, aber unerfüllbare Sehnsucht.<br />
Nicht einmal „Balkonien“ oder die<br />
„Solaren“ (also das Sonnenstudio) gehen<br />
sich aus. Seit zwei Jahren nimmt ein<br />
wohltuend entschlossener Salzburger namens<br />
Karl Auer dieses gesellschaftliche<br />
Übel beherzt in Angriff. Mit der Non-Profit-Initi<strong>at</strong>ive<br />
„Global Family“ h<strong>at</strong> er seitdem<br />
fast 400 Familien – mehr als 1000 Personen<br />
– ihren allerersten Urlaub ermöglicht.<br />
Aber beileibe nicht bloß in irgendwelchen<br />
heruntergekommenen Bruchbuden. Sein<br />
kluger „Trick“: Er schnorrt den schönsten<br />
und teuersten Hotels unseres Landes jene<br />
freien Pl<strong>at</strong>zerln ab, die (meist in der Nebensaison)<br />
leer mitlaufen. Die Betreiber<br />
müssen also sowieso ihr Personal beschäftigen<br />
und die Infrastruktur aufrechterhalten<br />
– warum nicht mit dem einen<br />
oder anderen „PAX“ (wie die Touristiker<br />
den Gast abkürzen). Pax heißt aber auch<br />
„Frieden“ auf L<strong>at</strong>einisch. Im Fall von „Global<br />
Family“, für die sich von Gerold Rudle<br />
bis W<strong>at</strong>erloo, von Ulla Weigerstorfer bis<br />
Tini Kainr<strong>at</strong>h, von Elisabeth Engstler bis<br />
Reinhard Nowak längst zahllose Prominente<br />
einsetzen, heißt es sogar „sozialer<br />
Frieden“, denn, so Auer: „Es muss das Ziel<br />
einer Gesellschaft sein, dass Unterprivilegierte<br />
nicht nur ÜBERleben, sondern dass<br />
sie auch etwa ERleben.“<br />
Darüber lohnt es sich nachzudenken, find’<br />
ich. Am besten gleich beim nächsten Urlaub.<br />
Denn: Ob Fernweh oder Heimweh –<br />
es gibt weiß Gott schlimmere Schicksale. Ü<br />
WIRTSCHAFTSNACHRICHTEN 7-8/2011 65