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das Stadtgespraech Ausgabe Januar 2021

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Mein Vater gab von der Firma Leweke noch eine Kiste Zigarren dazu und<br />

Geld, meine Mutter Spielsachen für die kleineren Kinder oder Kleidung<br />

und Wäsche. Bei Schnee, der immer sehnsüchtig erwartet wurde und<br />

in jener Zeit wohl auch häufiger war, wurde mit dem roten zweisitzigen<br />

Schlitten gefahren, sonst mit dem blauen Wagen. Waren die Angestellten<br />

bedacht, ging es hinaus in den Gaukenbrink, wo alljährlich Lohmanns<br />

mit ihren vielen Kindern und auch Hesses beschert wurden.<br />

Bescherung<br />

Und dann war der große Augenblick gekommen. Mein Vater war schon<br />

den ganzen Nachmittag mit dem Christkind beschäftigt und nicht<br />

sichtbar, die gemütliche Teemahlzeit hatte jeglichen Reiz verloren, ich<br />

musste außerdem dauernd »verschwinden« und dabei steigerte sich<br />

die Aufregung der Großmama zusehends, die gewöhnlich über die<br />

»Hunderttausend Knöpf« schimpfte, welche in letzter Sekunde zu öffnen<br />

und zu schließen waren. Von weit her, aus dem Billardzimmer, aus<br />

der Kalten Stube, aus dem Eckzimmer tönte dann endlich, endlich <strong>das</strong><br />

wohlbekannte dünne Stimmchen der Glocke. Seitdem habe ich manches<br />

Jahr, mit und ohne eigene Kinder, dieses Glöckchen in Bewegung<br />

gesetzt, vom Saal her, vom Balkonzimmer, vom Kaminzimmer neben<br />

dem Konzertzimmer, von diesem aus oder auch von meiner Stube. Es<br />

blieb die Weihnachtsglocke. Sie klang heimlich und vergnügt, wehmütig<br />

in Erinnerung an die Vielen, die sie nun nicht mehr hörten, bezaubernd<br />

im Hinblick auf die staunenden Augen der eigenen Kinder. So wie damals<br />

hat sie nie mehr geklungen, »0 du fröhliche, o du selige, gnadenbringende<br />

Weihnachtszeit«, schreibt der Verfasser, der 1954 gemeinsam mit<br />

dem Möbelhersteller Helmut Lübke die Firma COR gründete.<br />

Heiligabend in den 1950er Jahren<br />

Bis weit in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts verlief in den meisten<br />

Familien der Heiligabend noch nach der von Generation zu Generation<br />

weitergegebenen Tradition: Am 24. Dezember, dem großen Tag, durften die<br />

Kinder dann nicht mehr ins Wohnzimmer. Sie mussten in der Küche oder<br />

ihren Zimmern bleiben, denn nun bugsierte ihr Vater in der letzten Phase<br />

der Weihnachtsvorbereitungen den großen Weihnachtsbaum in die Mitte<br />

des Wohnzimmers. Man hörte beide Eltern hin und her laufen, denn nun<br />

wurde der Tannenbaum, der meist eine Fichte war, mit Kerzen aus echtem<br />

Wachs, Lametta, Kugeln und Glitzerkram geschmückt und für jedes<br />

Kind ein Weihnachtsteller mit Süßigkeiten, Nüssen, rotbäckigen Weihnachtsäpfeln<br />

und Apfelsinen aufgebaut. Außerdem war Mutti emsig in<br />

der Küche damit beschäftigt, um <strong>das</strong> Weihnachtsessen zuzubereiten: oft<br />

eine Rinderzunge, ein Karpfen oder Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat.<br />

1 Zwischen Rheda und Wiedenbrück gab es Eisflächen soweit <strong>das</strong> Auge reichte.<br />

Märchenland<br />

Wenn es dann dunkel war, nach dem Besuch des Gottesdienstes, waren<br />

die Kinder, mit ihren schönsten Sachen herausgeputzt, extrem aufgeregt.<br />

Denn nun nahte die Bescherung. Wenn Papa rief, <strong>das</strong>s er <strong>das</strong> Christkind<br />

gerade empfangen hätte, warteten die Kinder gespannt vor der Wohnzimmertür<br />

und beteten, bis sie <strong>das</strong> Weihnachtsglöckchen hörten und<br />

der Vater <strong>das</strong> Christkind bis zum nächsten Jahr verabschiedete. Dann<br />

wurde den Kindern <strong>das</strong> Wohnzimmer geöffnet.<br />

Es war nun wie alle Jahre wieder: Als würden sie in ein herrliches<br />

Märchenland treten, denn umweht von Weihnachtsliedern und gemeinsamem<br />

Gesang stand dort der immergrüne Hoffnungsbaum als einziges<br />

strahlendes Licht im Dunkeln, von Lametta wie mit Schnee beladen, und<br />

mit roten, silbernen oder goldenen Kugeln geschmückt. Dieser wunderbare<br />

Anblick wurde unterstützt durch den herben Duft des frischen<br />

Nadelbaums und die verführerischen Gerüche von der Weihnachtsbäckerei,<br />

brennenden Kerzen und prallen Navel-Orangen.<br />

Dann begannen die Kinder mit leuchtenden Augen die Geschenke auszupacken<br />

und auch ihre Geschenke an die Erwachsenen zu verteilen.<br />

Weihnachtsglück<br />

Bis auf den heutigen Tag, mit seinen vielen neuen Bräuchen, gehören<br />

die Weihnachtsfeste zu den schönsten Erinnerungen. Sie geben dem oft<br />

mühseligen Alltag menschliche Wärme, Geborgenheit und Hoffnung.<br />

Die vorstehenden Darstellungen sollen ein Versuch sein, zurückliegende<br />

Jahrzehnte mit ihren Weihnachtsbräuchen wieder lebendig werden zu<br />

lassen, welche heute vor allem von den Älteren noch so gekannt sind.<br />

&<br />

FROHE<br />

Weihnachten<br />

&<br />

EIN GESUNDES NEUES JAHR <strong>2021</strong><br />

Wir wünschen Ihnen besinnliche, frohe und glückliche Weihnachtstage<br />

und für <strong>das</strong> kommende Jahr Zufriedenheit, Frohsinn und Gesundheit.<br />

Das Stadtgespräch<br />

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