4-2021
Fachzeitschrift für Medizintechnik-Produktion, Entwicklung, Distribution und Qualitätsmanagement
Fachzeitschrift für Medizintechnik-Produktion, Entwicklung, Distribution und Qualitätsmanagement
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Editorial<br />
Der Mensch im Mittelpunkt<br />
Autor:<br />
Dr. Alexander Huber,<br />
Geschäftsbereichsleiter<br />
Medizintechnik<br />
ITK Engineering GmbH<br />
www.itk-engineering.de<br />
Digitale Sprechstunde, elektronische<br />
Patientenakte oder „App auf Rezept“ – die<br />
Gesundheitsversorgung in Deutschland<br />
erlebt derzeit eine einzigartige digitale<br />
Transformation. Im Zentrum: der Patient.<br />
Heißt das, bislang stand der Patient nicht im<br />
Mittelpunkt? Nein heißt es nicht, denn schon<br />
in früheren Jahren ging es bei allen Prozessen<br />
im Gesundheitswesen darum, Betroffene<br />
möglichst schnell mit der bestmöglichen<br />
Therapie zu versorgen. Neu sind moderne<br />
Informations- und Kommunikationslösungen,<br />
die den Austausch zwischen Arzt und Patient<br />
wesentlich erleichtern. Dieser verbesserte<br />
Informationsfluss führt dazu, dass die<br />
Gesundheit des Menschen neu definiert und<br />
stärker mit „Patient Empowerment“, also der<br />
Selbstbestimmung, verknüpft wird: Persönliche<br />
Gesundheitsdaten helfen dem Patienten,<br />
seine Krankheit besser zu verstehen und<br />
ermutigen ihn dazu, aktiv Einfluss auf den<br />
weiteren Verlauf zu nehmen. Und es geht<br />
sogar noch einen Schritt weiter. Medizinische<br />
Versorgung ist dadurch nicht mehr nur reaktiv,<br />
sondern proaktiver und prädiktiver denn je. Es<br />
entstehen neue Gesundheitslösungen, die<br />
es ermöglichen, Krankheiten zu erkennen,<br />
bevor sie auftreten. Der Fokus verschiebt<br />
sich somit deutlich stärker hin zur Erhaltung<br />
der Gesundheit: Krankenhäuser werden<br />
zu „Gesundheitshäusern“, „Sickcare“<br />
wird zu Healthcare, die Rolle des Arztes<br />
ändert sich immer mehr zum „Health<br />
Guide“. Gesundheitsversorgung findet<br />
nicht mehr nur in Krankenhäusern und<br />
Arztpraxen statt, sondern vermehrt zu<br />
Hause. Hier können Patienten mithilfe von<br />
digitalen Gesundheitsanwendungen, smarten<br />
Wearables, tragbaren Diagnostikgeräten und<br />
Telemedizin selbst ihre Gesundheitsdaten<br />
einsehen und kontrollieren.<br />
Der Wandel zur präventiven, personalisierten<br />
und patientenorientierten Medizin wirkt sich<br />
auch auf die Entwicklung von Medizinprodukten<br />
aus. Der Anteil der Software nimmt weiter zu.<br />
Themen wie Konnektivität, Data Analytics,<br />
User Experience und Künstliche Intelligenz<br />
rücken in den Fokus. Sie bringen Chancen,<br />
aber auch neue Herausforderungen mit<br />
sich: Neben Aspekten der Sicherheit, wie<br />
Patientensicherheit, Cyber Security und<br />
Datensicherheit, muss in der Entwicklung<br />
von Medizinprodukten insbesondere auch die<br />
Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine<br />
zwingend von Anfang an und vom Benutzer<br />
ausgehend betrachtet werden.<br />
Dass die Anwenderfreundlichkeit von<br />
Produkten einen immer größeren Stellenwert<br />
bekommt, zeigt auch die im Mai in Kraft<br />
getretene MDR, in der die Anforderungen<br />
an die Usability deutlich gestiegen sind. Die<br />
zunehmende Relevanz deckt sich mit den<br />
Erfahrungen aus der Praxis: Usability und<br />
User Experience sorgen nicht nur für sichere<br />
Produkte, sondern fördern mit den richtigen<br />
Methoden und Prozessen auch begeisternde<br />
und innovative Lösungen zutage und leisten<br />
damit einen wesentlichen Beitrag zum<br />
Produkterfolg.<br />
Drei Aspekte sind hier besonders wichtig<br />
und sollten daher Beachtung finden: Bei einer<br />
nutzerzentrierten Schnittstellen entwicklung<br />
ist insbesondere der Fokus auf die frühen<br />
Phasen entscheidend. In der einleitenden<br />
Kontextphase werden neben der Spezifikation<br />
der Benutzer und deren Bedürfnisse auch<br />
alle Anwendungsfälle durchdacht. Nur wer<br />
die Anwender kennt und versteht, kann die<br />
Entwicklung an ihren realen Bedürfnissen<br />
ausrichten und so das Risiko kostenintensiver<br />
Änderungen in späteren Entwicklungsphasen<br />
vermeiden. Außerdem führt das nutzerzentrierte<br />
Vorgehen dazu, dass nur diejenigen Funktionen<br />
entwickelt werden, die der Anwender auch<br />
wirklich benötigt. Ein Produkt mit vielen<br />
komplizierten Funktionen ist für den Benutzer<br />
verwirrend und für den Hersteller teuer. Sind<br />
die Funktionen des Produktes definiert, steht<br />
man zudem noch vor der Herausforderung, in<br />
der Realisierung auch die Nutzererwartungen<br />
zu erfüllen. Bedienparadigmen befinden sich<br />
ständig im Wandel, Apps sehen heute anders<br />
aus als vor fünf Jahren. Die Erwartung der<br />
Nutzer kann häufig in einem spannenden<br />
Widerspruch zu Innovation stehen – wem es<br />
gelingt, sowohl ein erwartungskonformes und<br />
intuitives User Interface zu entwickeln als auch<br />
innovativ zu sein und sich vom Wettbewerb zu<br />
differenzieren, gewinnt. Für Gerätehersteller<br />
lohnt es sich also, in diesen wichtigen Phasen<br />
der Entwicklung die nötige Zeit zu investieren,<br />
denn „wenn Du es eilig hast, gehe langsam“.<br />
Dr. Alexander Huber<br />
meditronic-journal 4/<strong>2021</strong><br />
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