Filmakademie Baden-Württemberg Campus Magazin 21/22
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während des Drehs komplett ausliefern würde, weil<br />
man sie nicht erträgt, dann kann man auch seiner Aufgabe<br />
nicht gerecht werden. Ich weiß doch genau, warum<br />
ich an einem Drehort bin: Wenn ich in einem Krankenhaus<br />
drehe, bin darauf gefasst, Dinge zu sehen, die<br />
mir wehtun können und Kraft kosten. Es gibt in CAHIER<br />
AFRICAIN einen Moment, den ich besonders finde, weil<br />
er so viel über unsere Arbeit aussagt: Da operiert ein Arzt<br />
eine Kugel aus dem Körper eines Mädchens. Die Kamera<br />
hält auf sein Gesicht und da gibt es diesen einen, ganz<br />
kleinen Moment, in dem der Arzt die Augen schließt<br />
und sie gleich wieder öffnet. Ich habe das immer so interpretiert,<br />
dass das ein Rückzug in sich selbst war. Ein<br />
Moment des Sammelns, um weitermachen zu können.<br />
Und genau solche Momente haben wir auch während<br />
unserer Arbeit. Aber das, was uns wirklich trägt, ist das<br />
Wissen um unser Anliegen und warum wir an diesem<br />
Drehort sind. Dokumentarfilme sind ja kein Hobby, es<br />
geht um was.<br />
aus CARTE BLANCHE<br />
Wie kommst du mit den Grenzerfahrungen klar, die du<br />
sicherlich bei Drehs gemacht hast?<br />
Manchmal realisiere ich erst am Schneidetisch beim<br />
Sichten des Materials, in welcher Situation wir wirklich<br />
gedreht haben. Ich höre mich dann auch selbst, weil der<br />
Ton noch lief. Und da nehme ich mich dann als einen<br />
Menschen wahr, der in der Lage ist, selbst in schwierigsten<br />
Situationen noch mit dem Kameramann über die<br />
richtige Einstellung zu reden. Das kommt einem von außen<br />
betrachtet völlig unverständlich vor. Aber das ist die<br />
professionelle Haltung, die wir in dem Moment brauchen.<br />
Sonst lösen wir uns selbst auf in unseren Gefühlen<br />
und lassen unsere Arbeit liegen.<br />
Wie gewinnst du das Vertrauen der Protagonist*innen,<br />
um eine Erzählbasis für deine Dokumentationen zu<br />
schaffen? Es hat den Anschein, als wäre beispielsweise<br />
bei CAHIER AFRICAIN eine sehr lange Vorbereitungszeit<br />
vorangegangen.<br />
Für CAHIER AFRICAIN habe ich viele Versuche gebraucht,<br />
um ein bestimmtes, umfassendes Interview<br />
mit meiner Hauptprotagonistin Amzine führen zu können.<br />
Es wollte lange nicht passen. Manchmal war die<br />
Umgebung im Dorf zu laut. Manchmal konnte Amzine<br />
nicht oder sie wollte nicht. Manchmal stand das Filmteam<br />
nicht parat. Ich wollte dieses Interview aber auch<br />
nicht an einen unpassenden Moment verschenken, sondern<br />
habe abgewartet. Und das war natürlich ein Luxus<br />
bei dieser Produktion. Ich habe letztlich mehrere Jahre<br />
auf den richtigen Zeitpunkt warten können und dieser<br />
war da, als Amzine mir wirklich vertraut hat und ich ihr<br />
auch vertrauen konnte. Und es hat alles gepasst. Es ist<br />
ein eindrückliches, inniges Gespräch geworden. Am Ende<br />
wird man für die Geduld und das Zuhören belohnt.<br />
Wie konntest du dir leisten, an diesem einen Thema so<br />
lange zu arbeiten?<br />
Ich hatte eine wirklich tolle Produktionsfirma, die ausschließlich<br />
Dokumentarfilme produziert und die Verständnis<br />
für unsere Arbeitssituation hatte. Und dazu<br />
kam eine uns sehr unterstützende Redaktion, nämlich<br />
bei 3sat. Auch die Filmförderungen haben den ausgedehnten<br />
Dreh- und Schnittzeitraum mitgetragen.<br />
Deine Filme zeichnen sich durch eine gründliche Recherche<br />
aus. Würdest du sagen, dass dies eine der wichtigsten<br />
Grundlagen ist für einen gelungenen Film?<br />
Die Recherche ist für einen Dokumentarfilm das wichtigste<br />
Fundament. Man muss sein Sujet kennenlernen,<br />
die Fakten, aber auch selbst in sein Thema hineinfinden<br />
und ausprobieren, was die richtige Erzählform dafür<br />
ist. Ich gehe oft bereits mit der Kamera auf Recherche,<br />
sichte dann mit dem Editor das Material und wir versuchen<br />
gemeinsam zu erkennen, welche Kraft in den einzelnen<br />
Protagonist*innen steckt und was die tragenden<br />
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