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Filmakademie Baden-Württemberg Campus Magazin 21/22

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ein drittes Bonmot von Montaigne: „Nichts ist sicher -<br />

soviel steht fest“. Leben heißt experimentieren, also laborieren<br />

auf unsicherem Grund. Regeln und Konventionen<br />

ersetzen das Experiment nicht, sondern schützen<br />

es durch Ausbildung von Routinen und Erfahrung. Deshalb<br />

bin ich für Regeln und Konventionen! Da gäbe es<br />

noch mehr Maximen - aber das würde vielleicht den<br />

Rahmen sprengen.<br />

von oben herab verkündet werden, sondern muss sich<br />

in Haltung und Argumenten bewahrheiten. Klar gibt<br />

es eindeutige Kriterien von richtig und falsch im Umgang<br />

mit Geräten und zahlenbasierten Produktionsmitteln,<br />

die unmissverständlich vermittelt werden können<br />

und müssen. Aber da, wo es um künstlerische oder weltanschauliche<br />

Qualtäten geht, muss der Lehrende für die<br />

Resultate seiner Selbstversuche werben.<br />

So betrachtet, sehe ich da also kein Paradox angesichts<br />

institutionell Lehrender und autodidaktischer Studenten.<br />

Der heutige Begriff des Akademischen hat sich von<br />

dem des 19. Jahrhunderts weit entfernt. Eine heutige<br />

Akademie ist eher ein Versuchslabor.<br />

Gibt es noch Dinge, im Austausch mit den Studierenden,<br />

die Frustration auslösen? Oder haben Sie inzwischen<br />

alles gesehen?<br />

Ich habe oft den Eindruck, dass Filmlehrende - und besonders<br />

jene, die Autor*innen und Regisseur*innen unterrichten<br />

- ein Paradox aushalten müssen: Denn ihr<br />

Auftrag ist, in institutioneller Form Wissen zu vermitteln.<br />

Gleichzeitig scheinen die erfolgreichsten Beispiele<br />

aus diesen Berufsfeldern selbstverantwortliche Autodidakt*innen<br />

zu sein. Sehen Sie dieses Paradox und wie gehen<br />

Sie damit um?<br />

Auch sogenannte Autodidakten lernen. Schon Säuglinge<br />

sind immer beides: Selbstlerner und Angelernte (Anlage-Umwelt-Verhältnis).<br />

Es gibt immer Studenten, die<br />

eignen sich sehr rasch und selektiv das an, was ihre Intuition<br />

für wichtig hält. Das sieht dann „autodidaktisch“<br />

aus, aber de facto nehmen die „ihre“ Informationen nur<br />

schnell auf und integrieren sie in ihre (überwiegend unbewusste)<br />

Dringlichkeitsskala.<br />

Zudem ist das, was wir - im akademischen Sinne - Lehre<br />

nennen, weniger eine „Vermittlung von Wissen“ im Modus<br />

einer Weitergabe von Wahrheiten oder gesicherten<br />

Richtlinien, sondern eher ein Offerieren von Übungsräumen.<br />

Die Lehrenden sind nicht so sehr „Wissende“,<br />

sondern eher Kollaborateure. Angesichts nicht existierender<br />

objektiver ästhetischer Qualitäten müssen Lehrende<br />

persönliche Qualitätsüberzeugungen anbieten und<br />

unter den Studenten Verbündete suchen. Wenn es da<br />

eine persönliche Qualität auf Seiten des Lehrenden geben<br />

sollte, dann kann sie - will sie glaubhaft sein - nicht<br />

Es gibt zwei Dinge, die mich immer wieder oder immer<br />

noch frustrieren:<br />

1. Studenten, die nicht mitmachen oder nicht kommen.<br />

Insbesondere solche, die an einem Tag sehr gut dabei<br />

sind, dann aber am folgenden Tag fehlen, frustrieren<br />

mich. Die Gruppendynamik leidet dann sehr. Man kann<br />

dann als Lehrender schwer auf dem vorigen Tag aufbauen.<br />

Es gibt auch Studenten, die, obwohl regelmäßig anwesend,<br />

selten sich äußern. Manche schweigen eisern.<br />

Das ist, als spielte man Tischtennis, schlüge raffiniert auf,<br />

um ein gutes Spiel zu initiieren, und dann kommt der<br />

Ball nicht zurück, sondern rollt ins Leere.<br />

2. Studentische Filmprojekte, meist szenische, die organisatorisch,<br />

technisch, personell, ausstattungsmäßig<br />

zu groß, zu aufwändig, und inhaltlich/formal zu konventionell<br />

sind. Man predigt als Lehrender wochenlang<br />

das Ethos des Kanu-Baus, um damit partisanenmäßig<br />

im Experimental-Dschungel zu fahren, und dann wollen<br />

sie doch wieder ein kleines Containerschiff, um den<br />

großen „professionellen“ Fluss (wenn schon der Ozean<br />

nicht geht) anzusteuern.<br />

Beide Punkte kann ich aus studentischer Sicht verstehen,<br />

trotzdem ärgert es mich immer wieder ein wenig. Frustration<br />

wäre ein zu großes Wort, es ist mehr Irritation gepaart<br />

mit Erschöpfung.<br />

Was mich übrigens mehr erstaunt: Es gibt weit mehr<br />

Dinge, die mich nach 30 Jahren immer wieder und immer<br />

noch erfreuen. Das ist keine „pädagogische Freude“,<br />

sondern echte. Z.B. über die sehr hohe Anwesenheit (ich<br />

glaube, wir liegen da so bei 90 bis 95 % Anwesenheit in<br />

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