flip-Joker_2021-11
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THEATER KULTUR JOKER 5
Durch Mark und Bein
Die elsässische Rheinoper begeistert in Straßburg mit Giuseppe Verdis „Stiffelio“
Ein eifersüchtiger Pastor trifft
auf einen schwächlichen Nebenbuhler,
der vom jähzornigen
Schwiegervater getötet wird.
Die untreue Gattin bittet ihren
frisch geschiedenen Ex-Mann
um eine Beichte. Am Ende steht
das christliche Verzeihen – nur
der getötete Liebhaber hat nicht
mehr viel davon. Giuseppe
Verdis „Stiffelio“ nach einem
wenig schlüssigen Libretto von
Francesco Maria Piave steht nur
selten auf dem Spielplan. Zur
Entstehungszeit 1850 musste
der Komponist im katholischen
Italien mit der Zensur kämpfen.
Jetzt hat die Opéra national du
Rhin in Straßburg die Rarität
auf die Bühne gebracht und in
einer musikalisch und szenisch
starken Produktion den Stoff
konzentriert. Schon zu Beginn
der hellen, tänzerischen Ouvertüre
ist in Bruno Ravellas ästhetischer
Inszenierung ein Kreuz
auf die dunkle Bühne projiziert.
Die spartanische Holzkirche
(Ausstattung: Hannah Clark)
hat keinen Ausgang ins Freie,
wo ein bewölkter Himmel das
kommende Unheil andeutet.
Hier ist es eng und karg. Die
Gemeinde trägt Schwarz. Kein
Platz für Sinnlichkeit in dieser
ganz homogenen, sektenähnlichen
Gemeinschaft. Der heimkehrende
Pastor Stiffelio, der
auf seiner Reise „einen Ozean
der Sünde“ erlebt hat, wettert
gegen Ehebruch, ehe zunächst
seinem Schwiegervater Stankar
dämmert, dass er selbst damit
zu tun haben könnte. Jonathan
Tetelman gibt Stiffelio als charismatischen
Prediger, dessen
salbungsvolle Worte er mit
seinem dunkel leuchtenden Tenor
veredelt. Aber wehe, dieser
beherrschte Geistliche verliert
seine Fassung wie am Ende des
ersten Aktes, als er mitten in der
Öffentlichkeit von Eifersucht
getrieben wird. Dann härtet sich
sein Tenor, dann gehen seine
durchdringenden Spitzentöne
durch Mark und Bein. Auch im
zweiten Akt ist dieser Stiffelio
außer sich und kurz davor,
den Nebenbuhler Raffaele (mit
hellem, leichtem Tenor: Opernstudiomitglied
Tristan Blanchet)
zu töten – erst die Orgel und der
Gemeindegesang, der aus der
Kirche dringt, lassen seine Emotionen
wieder abkühlen. Diesen
Job übernimmt der Schwiegervater
Stankar (bedrohlich: Dario
Solari): Seine blutigen Hände
künden von der Gewalttat. Die
armenische Sopranistin Hrachuhí
Bassénz komplettiert als Stiffelios
Ehefrau Lina das herausragende
Solistenensemble.
Dirigent Andrea Sanguineti
verdichtet mit dem Orchestre
symphonique de Mulhouse die
Emotionen. Die effektvollen
Kontraste lässt er aufeinanderprallen,
aber auch im Fortissimo
bleibt das Orchester geschmeidig.
Der Chor (Leitung: Alessandro
Zuppardo) zeigt ebenfalls
große Bandbreite – vom innigen
Choral bis zum kernigen Lobgesang.
Diese Verdichtung ist auch
in der Regie von Bruno Ravella
zu erleben. Das fröhliche Fest im
1. Akt, das emotional eskaliert,
erinnert mit seiner langen Tafel
an das letzte Abendmahl. Auch
hier sitzt mit Raffaele der Verräter
am Tisch. Für das starke
Schlussbild mit viel christlicher
Symbolik setzt der italienische
Regisseur die Bühne unter Wasser,
so dass die Kirche und ihre
Gemeinde noch stärker von der
Welt getrennt sind. Angeregt
durch Jesus‘ barmherzigen Umgang
mit der Ehebrecherin verzeiht
auch Stiffelio seiner Frau
und schreitet in den dunklen,
knöcheltiefen See. Die Gemeinde
folgt ihm aus der engen Kirche
heraus. Wasser als Reinigung
von Schuld – und vielleicht auch
Hoffnung auf einen Neuanfang.
Weitere Aufführungen: 7./9.
Nov. (Mulhouse: La Filature),
Tickets unter www.operanationaldurhin.eu
Georg Rudiger
Jonathan Tetelman (Stiffelio) und Hrachuhi Bassénz Foto: Klara Beck
Eine kleine Operettengeschichte
Mit der Revue „Operette sich wer kann“ eröffneten die Schönen ihre
Saison und nehmen sie im November wieder auf
Leicht, turbulent und spritzig,
gefühlvoll bis frivol und auch mal
frech – davon kann man gerade
nicht genug haben! „Die Schönen“
eröffneten im Juni ihre Saison
mit der Revue „Operette sich
wer kann“ (Regie, Bühne, Licht:
Herbert Wolfgang. Konzeption,
Co-Regie: Leopold Kern, musikalische
Leitung: Max Langer).
Vom 19. November bis 18. Dezember
steht die Reue nun wieder
auf dem Spielplan.
Blauer Sommerwolkenhimmel
als Hintergrundprospekt, links
der versierte Max Langer am
Klavier, rechts Klaus Gülker als
geschmeidiger Conférencier im
schwarzen Rolli auf biederem
50er-Jahre- Sessel: heiter-beschauliche
Nachmittagstee-Atmosphäre.
Doch schon flackert
das Licht, dröhnt Blitzgewitter
aus dem Off (Technik: Paulo
da Silva)und zwei Gestalten in
schwarzen Kapuzen-Umhängen
stürmen die Bühne und schmettern
„Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sonst
bin ich verloren!“ aus Mozarts
Zauberflöte. Drama pur! – „Ich
halt die Oper für gesponnen!“,
kommentiert Gülker lakonisch.
– Solch ironische Brechungen
gibt’s in den folgenden zwei
Stunden zuhauf, weshalb Katrin
Mayer (Sopran) und Rubén
Olivares (Tenor) auch gleich
die Mäntel zum schmissigen
Operetten-Medley abwerfen. Da
brennt Leidenschaft heißer als
Gulaschsaft, da fliegt der Kopf
wie ein Luftballon davon, es wird
gejodelt und geschmachtet. Spätestens
mit „Strahlender Mond“
von Paul Linke aus „Der Vetter
aus Dingsda“ packt einen der
rosarote Glamour-Herzschmerz.
Operette – das Disneyland für
große Menschenkinder.
Während Gülker immer wieder
den süffisanten Erklär-Onkel
samt Kalauer gibt und auch den
ein oder anderen Gassenhauer
wie „Was kann der Siegesmund
dafür, dass er so schön ist“ trällert,
zeigen die beiden Jungtalente
Bühnenpräsenz, Ausdauer und
Bandbreite: Katrin Mayer aus
Schramberg überzeugt vor allem
in tieferen Stimmlagen und bei
kessen Liedern wie „Warum soll
eine Frau kein Verhältnis haben“
(Oscar Straus). Eine Entdeckung
ist der Chilene Rubén Olivares,
der mit Schmachtsongs wie „Dein
ist mein ganzes Herz“ einen tollen
Tenor mit viel Ausstrahlung
und wandelbarer, starker Stimme
zeigt. Mit wenig Requisite und
Kostümwechseln (Norbert Wild)
wirbeln die beiden so dynamisch
wie spielfreudig über die kleine
Bühne (Choreografie: Stefanie
Verkerk). Es macht Spaß ihnen
dabei zuzusehen!
Klar, darf bei den Schönen
neben „Die Blume aus Hawaii“
auch „Im Weißen Rössl“ nicht
fehlen, letzteres sogar als Medley
in schunkellauniger Rosamunde-
Pilcher-Ästhetik. Überhaupt,
Wien und nochmals Wien: Ob
Ohrwürmer aus „Die Csárdásfürstin“,
„Die Fledermaus“ oder
„Die lustige Witwe“ – es gibt
Turbulenzen und amouröse Verwicklungen
ohne Ende. – Alles
nur „Wiener Schmarrn“ kontert
Friedrich Holländer in seinem
gleichnamigen Schmählied und
ordert Rattengift gegen diesen
„Kitsch im Dreivierteltakt“.
Umso kontrastreicher die Reise
ins Berlin der 20er Jahre, auch
dort amüsiert man sich, dass die
Balken krachen: Denn „Es ist
schön am Abend bummeln zu
gehen“! Und so wird hier auch
eine kleine Operettengeschichte
erzählt, zu der es gerne noch ein
paar Infos mehr geben dürfte.
19. November bis 18. Dezember.
Karten und Infos unter:
www.dieschoenen.com
Marion Klötzer
Siri Karoline Thornhill, Sopran
Katharina Magiera, Mezzosopran
Johannes Mayer, Tenor
Manfred Biner, Bass
Camerata Vocale Freiburg
Camerata Freiburg
Leitung: Winfried Toll
Tickets an den Vorverkaufsstellen der
Badischen Zeitung, bei Reservix oder unter
www.cameratavocalefreiburg.de
Werke von J.S. Bach, Giovanni Gabrieli,
Antonio Vivaldi und Ottorino Respighi
27.11.2021
20 Uhr
St. Gallus, Merzhausen
2G
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