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Paracelsus Today

Ausgabe 1 | April 2022

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kommen.“ Nachsatz: „Man muss da<br />

wirklich am Boden bleiben.“<br />

Alarmismus ist auch Belinda Plattner<br />

fremd. Seit Februar 2021 ist die gebürtige<br />

Wienerin Primaria der Universitätsklinik<br />

für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

der <strong>Paracelsus</strong> Universität. „Es<br />

mag sicher sein, dass sich die Situation<br />

für einige Kinder und Jugendliche sowohl<br />

schulisch als auch innerfamiliär<br />

deutlich verschlechtert hat“, konzediert<br />

sie im Gespräch mit <strong>Paracelsus</strong> <strong>Today</strong>.<br />

Vor allem gelte das für junge Menschen,<br />

die schon vor der Pandemie psychisch<br />

belastet gewesen seien und denen man<br />

bedingt durch die Einschränkungen<br />

nicht oder nur ungenügend hätte helfen<br />

können. Plattner: „Das hatte sicher<br />

Auswirkungen auf betroffene Jugendliche<br />

und gehört sicher nachbearbeitet.“<br />

Gleichzeitig seien die in ihrer Klinik behandelten<br />

Fälle „zumeist hochkomplex“,<br />

ob sie sich ohne Pandemie anders entwickelt<br />

hätten sei hingegen „wirklich<br />

schwer zu sagen“, so die 46-jährige Primaria.<br />

Plattner: „Natürlich wird jetzt sehr<br />

viel auf die Pandemie zurückgeführt. Die<br />

Frage ist aber, ob beispielsweise eine dadurch<br />

eskalierte familiäre Dysfunktion<br />

auch ohne Pandemie bestanden hat. Also<br />

ich bin da immer sehr vorsichtig.“<br />

Krise ja, Krankheit nein. „Mein Ansatz ist,<br />

dass der Großteil der Kinder und Jugendlichen,<br />

der psychiatrische oder<br />

psychotherapeutische Hilfe in Anspruch<br />

nimmt, unter Krisen leidet, aber eigentlich<br />

gesund ist“, brachte Belinda Plattner<br />

ihr Credo bereits anlässlich ihrer Präsentation<br />

im September 2020 auf den<br />

Punkt. Und dieser Ansatz klingt auch<br />

im Zusammenhang mit den eingangs<br />

erwähnten Studien durch: „Im Kindesund<br />

Jugendalter kommt es immer wieder<br />

zu Krisen, die sich natürlich auch in<br />

psychologischen Testverfahren niederschlagen:<br />

Körperschema-Probleme,<br />

Essstörungen, depressive Gedanken,<br />

„Jugendliche haben in<br />

ihrer Entwicklung eine<br />

wahnsinnig hohe Heilungskompetenz<br />

und ein hohes<br />

Potenzial, wieder in die<br />

Normalität zu kommen.“<br />

WOLFGANG SPERL<br />

Sinnfragen, Entwicklungs- und Versagensängste<br />

– all das ist auch ein Teil<br />

des Heranwachsens.“ All das gelte es<br />

ernst zu nehmen, wobei die Klinik-Chefin<br />

versucht, ihren jungen Patienten<br />

nicht das Gefühl einer schweren psychischen<br />

Erkrankung zu vermitteln.<br />

Großen Nachholbedarf sieht Plattner<br />

bei der niederschwelligen Verfügbarkeit<br />

und gleichzeitigen Entstigmatisierung<br />

der kinder- und jugendpsychiatrischen<br />

Hilfe, deren Angebot zudem<br />

„dringend“ ausgebaut werden müsse.<br />

Das Unwort von der Lost Generation,<br />

der verlorenen Generation, bereitet<br />

Plattner hörbar Unbehagen: „Das ist etwas,<br />

womit ich mir sehr schwertue.“<br />

Noch dazu, wo sogar eine erhöhte Resilienz<br />

bei Jugendlichen durch die erfolgreiche<br />

Bewältigung einer Krisensituation<br />

im Bereich des Möglichen sei. Belinda<br />

Plattner sieht ein breites<br />

Spektrum an Reaktionen: „Für manche<br />

ist es ein Resilienz-Training, manche<br />

haben einfach geschafft, für sich Ressourcen<br />

zu finden. Und manche haben<br />

dadurch leider mehr psychische Probleme<br />

bekommen.“ Wo sich die Situation<br />

durch die Pandemie verschlechtert<br />

hat, seien die in Aussicht gestellten<br />

Hilfsangebote zu begrüßen: „Aber das<br />

Gros der Jugendlichen hat einfach viel<br />

geleistet, hat die Matura bestanden<br />

oder eine Lehre abgeschlossen.“ Wie<br />

andere Generationen zuvor werde<br />

auch die aktuelle ihre Herausforderungen<br />

meistern, ist die Expertin zuversichtlich.<br />

Plattner: „Die Pandemie wird<br />

als historische Begebenheit ein Teil der<br />

Lebenserfahrung dieser Jugendlichen<br />

bleiben, ja von uns allen.“ Zuversichtliches<br />

Aber: „Ich habe großes Vertrauen<br />

in diese Generation. Wir haben wirklich<br />

gute Voraussetzungen, positiv in<br />

die Zukunft zu schauen.“<br />

Hilfe für Studierende. Bleibt noch eine<br />

besondere Gruppe, auf die nach Ansicht<br />

vieler im Verlauf der Pandemie<br />

gesamtgesellschaftlich eher vergessen<br />

worden ist: Studentinnen und Studenten,<br />

die nicht selten in einer Gemengelage<br />

aus Leistungsdruck, Spaßverzicht<br />

und Rücksichtnahme auf andere gefangen<br />

waren. Auch Plattner hat von<br />

Studierenden immer wieder Rückmeldungen<br />

bekommen, dass diese „sehr<br />

stark unter der Situation gelitten“ hätten.<br />

Versteht sich, dass sich Rektor<br />

Wolfgang Sperl daher ganz besonders<br />

über das Comeback der Präsenz-Lehre<br />

im Geist des „speziellen PMU-Exzellenz-Settings“<br />

freut – und natürlich<br />

über ein Mehr an „Beziehung und Bindung“.<br />

Plattner wiederum wünscht<br />

sich, dass gerade die traditionell besonders<br />

leistungsbereiten <strong>Paracelsus</strong>-Studierenden<br />

stolz auf sich und ihre unter<br />

schwierigen Verhältnissen erbrachten<br />

Leistungen sein sollten. Und die Primaria<br />

ermutigt sie, bei Problemen – auch<br />

jenseits der Pandemie – die Hilfe ihrer<br />

Klinik in Anspruch zu nehmen. Denn:<br />

„Wir von der Universitätsklinik für Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrie fühlen uns<br />

auch für die Psyche der Studierenden<br />

verantwortlich, die Ansprechpartnerin<br />

ist Oberärztin Julia Trost-Schrems (j.<br />

trost@salk.at), sie kann von Studierenden<br />

gerne kontaktiert werden.“ Und<br />

zwar ganz ohne Scheu. Belinda Plattner:<br />

„Krisen gehören zum Leben, sie<br />

sind Teil unseres Seins.“<br />

Ω<br />

10 paracelsus today 1 | 22<br />

08-10 FocusOn_Pandemiekinder.indd 10 18.03.22 13:57

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