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Der Krieg in der Ukraine hinterlässt tiefe Wunden
in der russischen und ukrainischen Diaspora. Über
den Spagat zwischen Schuldzuweisungen und
Machtlosigkeit, Propaganda und Hass berichten
junge JournalistInnen und Betroffene.
Von Nada El-Azar-Chekh, Collagen: Zoe Opratko
© Zoe Opratko
An diesem Donnerstag bin ich früh aufgestanden.
Mein Mann hatte da Geburtstag und ich wollte
die Kerzen anzünden. Das habe ich nicht mehr
geschafft, weil ich dann die ganzen Nachrichten
auf meinem Handy schon gesehen habe“, erinnert sich Juliana
Matusova an den Morgen des 24. Februars. Der Tag, an
dem Russlands Raketen in mehrere Städte in der gesamten
Ukraine einschlugen, hätte für Juliana eigentlich ganz anders
verlaufen sollen. Stattdessen geriet die Welt aus den Fugen.
Einen derartigen Großangriff hatte Juliana, trotz der politischen
Spannungen der vorangegangenen Wochen, nicht
für möglich gehalten. „Ich habe eine Whatsapp-Gruppe mit
meinen Freunden in Kyiv. Eine von ihnen schrieb: Der Krieg
hat begonnen, ich liebe euch sehr.“
Juliana wirkt bei unserem Gespräch in einem Wiener
Café sichtlich mitgenommen von der Situation. Die 32-Jährige
kommt ursprünglich aus der Stadt Winnyzja, die etwa 250
Kilometer entfernt von der ukrainischen
Hauptstadt entfernt liegt. Seit 2013 lebt sie
in Wien und hat nun ihre Mutter und ihre
Großmutter aus der Ukraine bei sich aufgenommen.
„Seit dem ersten Tag haben sie
Heimweh und würden am liebsten wieder
zurück.“ Ihr Vater und ihr 25-jähriger Bruder
sind in ihrem Haus außerhalb von Kyiv
geblieben. Dort ist es im Keller am sichersten.
Viele von Julianas Freundinnen haben
das Land auch nach über einem Monat
der Invasion nicht verlassen. Sie wollen ihr
Leben und ihre Familie nicht zurücklassen,
erklärt die Ukrainerin.
„NICHTS VON ALL DEM
DÜRFTE PASSIEREN!“
„Ich finde es unglaublich, dass dieselben
Menschen, die vor acht Jahren schon aus
der Ostukraine in größere Städte wie Kyiv
und Kharkiv fliehen mussten, jetzt nochmal
fliehen müssen“, sagt Juliana, die in Kyiv
und Wien Journalismus studiert hat. Seit
„
Ich versuche so
gut wie möglich zu
informieren, wenn ich
Falschmeldungen sehe.
“
Juliana Matusova
dem 24. Februar hat sie täglich Kontakt mit ihren Liebsten
in der Ukraine, hat an vielen Solidaritätsdemos in Wien
teilgenommen und setzt sich bei verschiedenen Projekten
vor allem für die Sicherheit von Kindern ein. „Man konnte
etwa krebskranke Kinder lange Zeit nicht evakuieren, weil die
Fluchtkorridore und die Spezialtransporte nicht funktioniert
haben. Einige von ihnen haben im Zug noch weiter Infusionen
und andere Behandlungen erhalten. Zwei von ihnen
haben die Reise nicht überstanden. Für solche Kinder war es
schon vorher schlimm genug“, so Juliana, die selbst Mutter
eines kleinen Sohnes ist.
„Wenn zivile Objekte wie ein Theater oder eine Schule
angegriffen werden, spricht man von Kriegsverbrechen. Und
die Angriffe auf andere Ziele sind kein Verbrechen? Wenn
der Flughafen in meiner Stadt bombardiert wird, ist das
okay? Aber wenn ein Wohnhaus getroffen wird, dann nicht?
Diese Unterscheidung zwischen dem, was nach den Regeln
des Kriegs in Ordnung ist und was nicht,
finde ich einfach absurd im 21. Jahrhundert.
Nichts von all dem dürfte passieren!“,
so Juliana. Der Krieg in ihrem Heimatland
hat große Auswirkungen auf ihren Alltag.
Auf Social Media schreibt sie regelmäßig
ihre Gedanken zu dem, was in
Russland als „Spezialoperation“ bezeichnet
wird. „Ich war sonst niemals der Typ
dafür, Kommentare bei Facebook und Co.
zu schreiben und mit Fremden im Internet
zu diskutieren. Aber jetzt versuche ich, so
gut wie möglich zu informieren, wenn ich
Falschmeldungen sehe.“ Als Beispiel nennt
sie das Kinderkrankenhaus in der ostukrainischen
Stadt Mariupol, das von russischen
Raketen zerstört wurde. Im Internet
kursierte das Gerücht, dass es sich bei
den Aufnahmen der in Schutt liegenden
Geburtsstation um einen Fake handeln
würde. Die Wut über die Geschehnisse ist
groß - dementsprechend auch der Hass im
Netz. „Kein Kommentar über die Russen ist
/ POLITIKA / 11