KOLUMNEDER KRIEG IST DAS SYMPTOM,DIE KRANKHEIT IST DAS PATRIARCHATIch will diesen Albtraum nicht akzeptieren.Ich habe am Anfang des Krieges vehementversucht, die Nachrichten über die Eskalationenin der Ukraine zu ignorieren. Jede:rweiß, dass das, was du ignorieren willst, erstrecht dein Denken und Fühlen bestimmt.Und ich wollte nichts von Krieg hören. Nichtschon wieder. Ich kann mich nicht damitbefassen, ohne dass durch die Bilder vomKrieg das Chaos und der Schmerz in mir überden damals in Syrien erlebten Krieg ausgelöstwerden. Die Geschehnisse sind retraumatisierendund triggernd.Also habe ich nach Ausbruch des Kriegesin der Ukraine mein Handy ausgeschaltetund bin auf einen Berg gegangen. In schwierigen Zeitensuche ich immer Unterschlupf in der Natur. Aber diesmalwirkten die Ruhe und der Frieden in der Natur aufmich sehr schmerzhaft. Weil diese Schönheit neben demWahnsinn der Menschen sehr fragil schienen. Als derKrieg in Syrien begann, wollte ihn niemand wahrhaben.Wir dachten, es sei einfach vorübergehende Unruhe.Kein Mensch, auch nicht diejenigen, die am meisten pessimistischwaren, konnte sich das verheerende Ausmaß,das der Krieg annahm, vorstellen. Die Zündschnur derGewalt brannte unbegreiflich schnell ab. Jetzt scheintder Krieg so absurd normal, dass Kinder meines Bruderssich gegenseitig auslachten für ihr Zähneklappern, als inder Nähe heftig bombardiert worden war, oder über ihreBettnässe, als eine Rakete im nächsten Wohnblock landete.Und das ist das Schlimmste am Krieg: Er entleertuns unserer Menschlichkeit.WIR BRAUCHEN MEHR FRAUEN IN DER POLITIKIch konnte meine emotionale Distanzierung von diesemaggressiven Angriff Putins auf die Ukraine nicht aufrechterhalten.Denn spätestens als Menschen sich auf dieFlucht begaben, ergriffen mich diese Geschehnisse mitvoller Macht. Ich kann ihre Angst, ihre Verstörung undihr Entsetzen in meinem Körper nachempfinden. Dazuturjman@dasbiber.atJad Turjmanist Comedian, Buch-Autorund Flüchtling aus Syrien.In seiner Kolumne schreibter über sein Leben inÖsterreich.gezwungen zu werden, die eigene Heimatso panisch und planlos verlassen zu müssen,ist eine hoch traumatische Erfahrung,die sich in dem Gedächtnis dieses Volkestief einbrennt. Diesen Menschen zu helfen,sollte unsere erstrangige Priorität sein.Natürlich macht mich die Doppelmoral inEuropa fassungslos, dass der Grad derSolidarität nach der Entfernung des Geschehensund dem Aussehen der Menschen inNot bemessen wird. Nur deshalb auf Kriegeemotional zu reagieren, weil sie sehr nahebei uns sind, ist nicht sehr humanistisch,sondern selbstbezogen. Eine aufrichtigeSolidarität gilt jedem Menschen, unabhängigvon der Entfernung der Misere und seiner ethischenZugehörigkeit. Wir hatten genug Kriege und Menschenrechtsverletzungenin den letzten Jahren, für die keineZIB-Spezial gemacht wurde. Ebenfalls macht mich dieDoppelmoral Polens und Ungarns fassungslos, die Grenzefür ukrainische Flüchtende zu öffnen und sie mit weitausgestreckten Armen zu empfangen. Wobei sie vor einpaar Monaten syrische und afghanische Geflüchtete mitTränengasbomben begrüßten und einige an der Grenzeerfrieren ließen. Diese Schande wird die GeschichteEuropas lange belasten. Ich bin jedenfalls sehr glücklichund enthusiastisch, dass sie nun für diese Menschen dastun, was für Menschen in Not getan werden muss.Dieser Krieg und die imperialistischen Interessen Putinssind bloß Symptome. Die Krankheit ist das Patriarchat.Die Krankheit sind Männer, die nie gelernt haben, ihrenSchmerz zu spüren, zu zeigen und zu benennen. DieKrankheit sind Männer, die ihren Schmerz und ihre Verletzlichkeitin Härte und Empathielosigkeit verwandeln.Die Krankheit sind Männer, die Feinde und Kriege brauchen,um sich von ihrem inneren Terror und Schmerzabzulenken. Wir brauchen unbedingt neue und heilendeMännlichkeitsbilder. Wir brauchen viel mehr Frauen inder Politik. Dieser Krieg ist ein weiteres Alarmzeichen,dass wir die Politik menschlicher machen müssen. Weltweit.Robert Herbe54 / MIT SCHARF /
Alles finsterWas geht, wenn nichts mehr geht?Die neue österreichische Event-SerieAb Montag 25. April 20:15