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„Meine Familie hat mich

als Nazi bezeichnet.“

Konfliktes teilnehmen, wenn sie dadurch nicht staatenlos

werden“ heißt es. Laut offiziellen Angaben kämpfen gerade

keine österreichischen Staatsbürger:innen in der Ukraine –

aber das BMEIA hat keine Informationen darüber, was die

kampfwilligen Österreicher:innen getan haben, nachdem sie

abgewiesen worden waren.

KEINE KAMPFERFAHRUNG,

KEINE CHANCE

Der Verteidigungs-Attaché der Ukraine in Österreich gibt keine

Angaben zu der Anzahl an Anfragen weiter. „Wir arbeiten

nicht mit Legionären“, heißt es am Telefon.

Doch wie sieht es auf internationaler Ebene aus? Auf der

Seite fightforua.org, die vom ukrainischen Außenministerium

geführt wird, finden Interessierte die nötigen Infos. „Join the

Brave! Join the Legion and help us defend Ukraine, Europe

and the whole world!“, liest man dort. Hier werden auch

Informationen zum Aufnahmeprozess sowie Kontakt-Telefonnummern

für 60 Länder angeführt, darunter auch eine für

Österreich.

Ich bitte einen Freund darum, dort anzurufen. Natürlich

nicht unter seinem echten Namen. Er wählt die Nummer,

nach längerer Zeit hebt jemand ab. Er gibt sich als der

27-jährige Kristjan aus, der als österreichischer Staatsbürger

für die Ukraine kämpfen will. Die Stimme am Telefon

nuschelt etwas auf Ukrainisch, dann wird er gefragt, ob er

denn Kampferfahrung hat. „Nein, aber ich möchte kämpfen

und dem ukrainischen Volk helfen“, sagt ‚Kristjan‘. „Wir

brauchen nur Menschen mit viel Erfahrung, wie ehemalige

Soldaten. Wir haben keine Zeit, um militärische Anfänger

einzuschulen“, bekommt er zu hören. „Ich spreche mehrere

Sprachen und kann schnell laufen“, versucht ‚Kristjan‘ es

weiter. „Wir haben keine Verwendung dafür, aber danke für

die Unterstützung. Ich schreibe mir Ihre Nummer auf und wir

werden Sie anrufen, wenn wir Verwendung für Sie haben.“

ALS RUSSE FÜR DIE UKRAINE KÄMPFEN

Er hat die Anforderungen erfüllt: Der 19-Jährige Belarusse

Nikita ist gerade an der ukrainischen Front. Er ist Boxer, hat

Kampferfahrung und will für die Freiheit und Unabhängigkeit

der Ukraine kämpfen. Der Großteil seiner Familie hat den

Kontakt zu ihm abgebrochen und ihn als Nazi bezeichnet,

als er sich der ukrainischen Fremdenlegion anschloss. Wie

genau der Aufnahmeprozess aussah und ob er bezahlt wird,

darf und will er nicht verraten. Auf Instagram posiert er in

seiner Uniform, an der die Ukrainische und die weiß-rotweiße

belarussische Flagge angenäht sind. Nach dem Zerfall

der Sowjetunion 1991 war die weiß-rot-weiße Flagge zur

Nationalflagge von Belarus erwählt worden. Die offiziell anerkannte

Flagge des Landes heute ist rot-grün. Der belarussische

Machthaber Alexander Lukaschenko hatte diese 1995

eingeführt, als Symbol der Erinnerung an die Sowjetunion.

Die Flagge, die Nikita trägt, symbolisiert ein „Belarus ohne

Lukaschenko.“ Ich bleibe mit ihm einige Tage in Kontakt,

er teilt auch mehrmals am Tag Postings des ukrainischen

Präsidenten Zelenskyy. Dann bricht der Kontakt ab. Nikita

antwortet nicht mehr, und teilt auch nichts mehr auf seinem

Profil. Bis Redaktionsschluss erfahre ich nicht, was mit ihm

passiert ist.

Jan * ist Russe und befindet sich gerade östlich von Kiew

– auch er kämpft für die ukrainische Seite. Aufgrund politischer

Repressionen und seiner regimekritischen politischen

Aktivitäten in Russland ist er vor vier Jahren in die Ukraine

gezogen – und hatte sich direkt nach Kriegsausbruch bei der

ukrainischen Armee gemeldet. „Es war auf jeden Fall eine

politisch motivierte Entscheidung“, sagt er am Telefon. Jan

hat Kampferfahrung – so kämpfte er 2015 für das berüchtigte

Azov-Bataiilon. Das Azov-Regiment ist dem ukrainischen

Innenministerium untergestellt und stark umstritten: Die Einheit

gilt aufgrund rechtsextremer Positionen vieler Mitglieder

und deren Symboliken als ultranationalistisch. So wird Azov

ein Neonazi-Image nachgesagt. Als ich ihn darauf anspreche,

meint Jan: „Es sind ganz sicher welche dabei. Aber jetzt verteidigt

Azov Mariupol und wird hier deshalb von der Bevölkerung

respektiert.“ Jan hatte sich geweigert, den Militärdienst

in Russland anzutreten. In seinem Bataillon wissen alle, dass

er Russe ist – er versteckt es auch nicht. „Es gab bisher nie

Probleme damit, nach Außen erzählt mein Kommandant aber

zur Sicherheit, dass ich Belarusse bin.“, so Jan. „Ich selbst

schieße nicht, was wir machen ist eher mit Drohnen die

Frontregion zu erkunden und zu sichern, oder den Flüchtenden

in die humanitären Korridore zu helfen“.

Der 30-Jährige hat seiner Familie in Russland erzählt,

er würde in der Ukraine humanitäre Hilfe leisten und in

einer Suppenküche aushelfen. „Sonst könnte meine Familie

drüben echt Probleme kriegen“. Nach Russland wird

er nicht mehr zurück können, das weiß er. Jan hat bei der

ukrainischen Armee einen Vertrag unterschrieben. Es hatte

bürokratische Hürden gegeben, aber durch einen befreundeten

Kommandanten war es für ihn möglich, sich der Armee

anzuschließen. „Am Anfang wurden alle genommen, die sich

bei der Territorialverteidigung gemeldet haben, aber dann

wurde relativ schnell klar: Es werden solche mit Kampferfahrung

bevorzugt.“ Jan kann verstehen, wieso man aus

einer politischen oder emotionalen Motivation heraus auch

als Ausländer in der Ukraine kämpfen will. „Aber wenn du

19 Jahre alt bist und noch nie irgendwo gekämpft hast, ist

es wahrscheinlich nicht die beste Idee.“

Imran hat im Gegensatz zu Jan und Nikita keine militärische

Erfahrung, den Grundwehrdienst beim Bundesheer hat

er nicht gemacht, da er wegen einer Verletzung an seinem

Arm als untauglich eingestuft worden war. „Aber ich kenne

mich mit Waffen eh aus. AK schießen kann ich“, erzählt er

selbstbewusst. Er hatte einige Tage vor der Abreise auf Social

Media einen Aufruf gesehen, dass man aus aller Welt in

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