0831 - Das Kemptener Stadtmagazin (März/April 2023)
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EINE FEMINISTISCHE PERSPEKTIVE AUF
CARE-ARBEIT
Wir sollten uns alle sorgen
Ein Gastbeitrag vom feministischen Kollektiv „Access Allgäu Area“
Die Corona-Pandemie hat offensichtlich gemacht, was schon lange
unter der Oberfläche schwelte: Die Last der Care-Arbeit tragen
hauptsächlich Frauen. Seitdem hat sich nichts verbessert, wie die
aktuelle Krankheitswelle zeigt. Ob Influenza, das RS-Virus oder
weiterhin Corona-Infektionen – stecken sich Kinder in Kitas und
Schulen an, sind es meist die Mütter, die zu Hause bleiben.
ZURÜCK ZUR „NORMALITÄT“
Seit April 2020 werden im Rahmen einer repräsentativen Umfrage
des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)
5.136 Teilnehmer:innen befragt. Die Umfrage erfasst die aktuelle
Situation von Müttern in Deutschland hinsichtlich der Verteilung
der Betreuungsarbeit sowie damit einhergehender Sorgen und
sozio-emotionaler Belastungen. So ergab die Befragung, dass
zwar die Aufteilung der Sorgearbeit aufgrund von Kurzarbeit
und Home-Office während der Pandemie ein wenig in Richtung
Gleichgewicht gerutscht ist, sich nun aber wieder ein anderes
Bild zeigt. In heterosexuellen Beziehungen ist die Verteilung der
Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern in etwa wieder auf
dem Niveau vor Beginn der Corona-Pandemie. 63 Prozent der
Mütter gaben an, den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung zu
leisten, während es bei den Vätern lediglich sechs Prozent waren.
Eine mögliche Erklärung für diese rückschrittliche Entwicklung
ist die Aufhebung der Home-Office-Regelungen. Noch immer sind
mehr Väter als Mütter Vollzeit beschäftigt – nicht zuletzt wegen
der vorherrschenden Gender-Pay-Gap. Der finanzstärkere Job
gewinnt und so sind es oft die Väter, die tagsüber zurück an ihre
Arbeitsplätze gekehrt sind. Die Mütter stecken im Job zurück und
melden sich „Kind-krank“, wenn es die Kleinen erwischt.
WENN ANDERE DIE CARE-
ARBEIT ÜBERNEHMEN
Doch gibt es auch Haushalte mit minderjährigen Kindern, in denen
sowohl Väter als auch Mütter Vollzeit arbeiten. Alarmierend ist,
dass auch bei Paaren mit gleichen Lohnarbeitszeiten ein erheblicher
Unterschied in Bezug auf die Verteilung unbezahlter Arbeit
vorhanden ist: In einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung des
Deutschen Gewerkschaftsbundes (2017) verbrachten Frauen hier
im Schnitt drei Stunden pro Tag mit Hausarbeit, Männer zwei.
Auch in der Care-Arbeit, die noch einmal extra erfasst wurde,
übernahmen die Mütter mehr Aufgaben als die Väter. Zwar fand
das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung heraus, dass
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Das Kemptener Stadtmagazin Ausgabe März/April 2023
seit den Neunzigerjahren der Anteil der unbezahlten Arbeit, die
Männer übernehmen, größer geworden ist, die Erklärung für die
Annäherung ist jedoch ernüchternd. So resultiert der wachsende
Anteil der Männer an unbezahlter Arbeit im heterosexuellen
Paarkontext nicht etwa aus mehr Engagement, sondern ist darauf
zurückzuführen, dass Frauen immer weniger Zeit für Hausarbeit
und Kinderbetreuung aufwenden. Heißt: Care- und Hausarbeit
werden ausgelagert. Ob Babysitter:in, Haushaltshilfe oder Lieferdienst
vom Supermarkt, es stehen eine Reihe von Dienstleister:innen
zur Verfügung, die an die Stelle der traditionellen Hausfrau
treten.
NUR SO GELINGT EINE
GERECHTERE VERTEILUNG
Ist dies eine Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung? Wohl
kaum. Lediglich ein privilegierter Teil der Gesellschaft kann sich
diese Art der Entlastung leisten. Und seien wir ehrlich: Unbezahlte
Care-Aufgaben an andere abzugeben, ist nicht mehr als die Fortführung
des Patriarchats. Solange Care-Arbeit nur delegiert wird,
müssen Männer sich nicht verändern. Vielmehr ermöglichen sie
einem kleinen Teil der Frauen, die „männlichen“ Privilegien ebenso
zu nutzen und deren Lebensweise nachzuahmen. Um einen
ganzheitlichen Wandel in Bezug auf eine gerechte Verteilung der
Care-Arbeit in unserer Gesellschaft voranzutreiben, sind deshalb
die Männer gefragt. Es geht darum, sich der eigenen Privilegien
bewusst zu werden und „Einbußen“ in Kauf zu nehmen, die von
Frauen oftmals ganz selbstverständlich erwartet werden. Sicherlich
haben nicht alle Väter die Wahl, aber es gibt sie, die Väter,
die sich für eine gerechtere Verteilung unbezahlter Arbeit entscheiden
könnten, aber nicht wollen. Denn so viel ist sicher: Eine
gerechte Verteilung von Care-Arbeit ist nicht ohne Entbehrungen
in anderen Bereichen möglich und fordert einen freiwilligen Verzicht
auf Teile der beruflichen Karriere und andere Freiheiten, den
aufgrund der vorherrschenden Strukturen bislang überwiegend
Frauen leisten müssen.
Für wirksame Veränderungen
sind deshalb Männer unabdingbar,
die den Wandel aktiv leben
und damit vorantreiben – nicht
nur während ein paar Monaten
Elternzeit, sondern mindestens
so lange, bis die Politik für Umstände
gesorgt hat, die beiden
Elternteilen die Vereinbarkeit von
Familien- und Berufsleben ohne
Abstriche ermöglichen.
„Care-Arbeit“ bezieht
sich auf die Arbeit, die
erforderlich ist, um die
Bedürfnisse und das Wohl
anderer zu unterstützen, wie
zum Beispiel Kinderbetreuung,
Pflege alter und kranker
Menschen oder Haushaltsführung.
Es handelt sich
hierbei um unbezahlte oder
unterbezahlte Arbeit.