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immobilia 2023/06 - SVIT

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te in der Schweiz ausgemacht, die zwischen 1970 bis<br />

2017 bezogen wurden. Mehr als die Hälfte davon richten<br />

sich an Menschen jeglichen Alters, vom Kleinkind<br />

bis zur Grossmutter. Die restlichen widmen sich der<br />

Zielgruppe 50plus – eine Altersspanne, die aufgrund<br />

der gestiegenen Lebenserwartung heute auch mehrere<br />

Generationen umfasst.<br />

Von 2018 bis heute lässt sich mit rund 30 realisierten<br />

und vielen weiteren in der Planung ein Anstieg<br />

an Generationenwohnprojekten beobachten. Waren<br />

es in der Vergangenheit noch mehrheitlich Gruppen<br />

von Gleichgesinnten und junge progressive Genossenschaften,<br />

die mit selbstinitiierten und -verwalteten<br />

Projekten Pionierarbeit leisteten, hat die zunehmende<br />

Nachfrage heute zu einem breiten Spektrum an Finanzierungs-<br />

und Verwaltungsformen geführt. Gerade<br />

in Siedlungen oder Arealüberbauungen finden sich hybride<br />

Modelle, in denen professionelle Liegenschaftsverwaltungen<br />

zusammen mit Haus- und Siedlungsgruppen<br />

sich um den Erhalt und Betrieb kümmern. So<br />

haben längst auch Stiftungen, Gemeinden und Immobilienunternehmen<br />

das innovative Potenzial solcher<br />

durchmischten und gemeinschaftsorientierten Nachbarschaften<br />

erkannt. Durch die Verbreitung solcher<br />

Wohnformen in unterschiedlichen Sozialräumen geht<br />

auch eine Öffnung hin zu weniger idealistisch aufgeladenen,<br />

pragmatischeren Formen einher. Davon können<br />

nun auch Menschen profitieren, ohne den hohen<br />

zeitlichen, wissensspezifischen und finanziellen Einsatz<br />

einer Gründergruppe leisten zu müssen. Dies bedingt,<br />

dass Trägerschaften ihre Projekte auf dem Land<br />

und in Agglomerationsräumen an die Wohnbedürfnisse<br />

und -gewohnheiten der lokalen Bevölkerung anpassen.<br />

Denn Generationenwohnen ist kein ausschliesslich<br />

urbanes Phänomen. So liegen mehr als die Hälfte<br />

der genannten 75 Projekte zu gleichen Teilen auf dem<br />

Land wie auch in der Agglomeration. Während einige<br />

wenige über 300 Wohneinheiten umfassen, liegt die<br />

Mehrheit der Projekte bei einer Grösse zwischen 10<br />

und 50 Wohneinheiten.<br />

MEHR AUF GLEICHEM RAUM<br />

Generationenwohnen beruht auf einer Architektur,<br />

die sich primär nach den Bedürfnissen der Bewohnenden<br />

ausrichtet und häufig nach dem Design für alle konzipiert<br />

ist. Ein abwechslungsreicher Wohnungsmix<br />

mit genügend preiswerten Kleinwohnungen und zumiet-<br />

und erweiterbaren Zimmern erhöht die Chance,<br />

trotz veränderter Haushalts- und Familienformen weiterhin<br />

in der gewohnten Umgebung zu leben. Durchlässige<br />

Gebäudestrukturen und offene Erschliessungsformen<br />

ermöglichen Sichtkontakte und zwanglose<br />

Begegnungsmöglichkeiten. Die Verknappung des privaten<br />

Wohnraums bei einem gleichzeitigen Angebot<br />

an vielfältigen gemeinschaftlichen Flächen und Infrastrukturen<br />

bewirkt nicht nur eine intensivere, sondern<br />

auch eine effizientere und nachhaltigere Nutzung<br />

von Raum und Ressourcen. Trotz dieser Verdichtung<br />

schaffen es die Projekte, Rückzugsmöglichkeiten zu erhalten<br />

und eine insgesamt hohe und langfristige Wohnzufriedenheit<br />

zu erreichen.<br />

Gerade bei grösseren Projekten gehört dazu oftmals<br />

auch ein attraktiver Gewerbe- und Dienstleistungsmix.<br />

Für ein zielgruppenspezifisches Angebot ist es<br />

förderlich, wenn die Wünsche und Vorstellungen aller<br />

zukünftigen Bewohnenden bereits in der Planung<br />

wie im späteren Betrieb einbezogen werden. Unsere<br />

bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass es neben den gemeinschaftsfördernden<br />

baulichen Strukturen vor allem<br />

auch soziale Ansätze braucht, die dafür sorgen,<br />

dass die hohe Diversität der Bewohnerschaft nicht zu<br />

Konflikten führt. Denn so viel Gemeinschaftlichkeit<br />

zu leben, ist anspruchsvoll. Ob nun eine externe Siedlungsmoderation<br />

oder eine von Bewohnenden getragene<br />

interne Ombudsstelle sich um ein gutes Miteinander<br />

kümmern, Tatsache ist, dass neue Wohnformen<br />

viel Begleitung und Pflege brauchen und selten zum<br />

Selbstläufer werden.<br />

DIE ZUKUNFT IST GEMEINSAM<br />

Die 2022 veröffentliche Nachbarschaftsstudie<br />

des Gottlieb Duttweiler Instituts macht mit 44% eine<br />

wachsende Gruppe von Menschen aus, die sich als<br />

«Vorreiter für die Nachbarschaftlichkeit von morgen»<br />

mehr Vielfalt und Gemeinschaftlichkeit im Wohnen<br />

wünschen. Generationenwohnprojekte – die das<br />

menschliche Wohlbefinden ins Zentrum stellen –<br />

sind daher interessante Alternativen zur herkömmlichen<br />

Immobilienentwicklung. Sie können als Modelle<br />

für eine zukunftsweisende Planung dienen, die eine<br />

integrierte Entwicklung von Wohnraum, Infrastrukturen<br />

und sozialen Dienstleistungen vorsieht, um auf<br />

sich verändernde Anforderungen und Bedürfnisse im<br />

Wohnungsmarkt einzugehen. Die Immobilienbranche<br />

kann daraus lernen und nicht zuletzt auch ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />

stärken. <br />

WEITERE INFORMATIONEN<br />

Mehr zum Forschungsprojekt unter:<br />

https://wohnforum.arch.ethz.ch/projekte/ verzeichnis/<br />

generationenwohnen-in- langfristiger-perspektive.html<br />

GENERATIO­<br />

NENWOHNPRO­<br />

JEKTE STELLEN<br />

DEN MENSCH<br />

UND SEINE BE­<br />

DÜRFNISSE INS<br />

ZENTRUM.<br />

*LEONIE POCK<br />

Die Autorin ist Anthropologin<br />

und forscht am<br />

ETH Wohnforum -<br />

ETH Case.<br />

IMMOBILIA / Juni <strong>2023</strong> 21

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