Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
te in der Schweiz ausgemacht, die zwischen 1970 bis<br />
2017 bezogen wurden. Mehr als die Hälfte davon richten<br />
sich an Menschen jeglichen Alters, vom Kleinkind<br />
bis zur Grossmutter. Die restlichen widmen sich der<br />
Zielgruppe 50plus – eine Altersspanne, die aufgrund<br />
der gestiegenen Lebenserwartung heute auch mehrere<br />
Generationen umfasst.<br />
Von 2018 bis heute lässt sich mit rund 30 realisierten<br />
und vielen weiteren in der Planung ein Anstieg<br />
an Generationenwohnprojekten beobachten. Waren<br />
es in der Vergangenheit noch mehrheitlich Gruppen<br />
von Gleichgesinnten und junge progressive Genossenschaften,<br />
die mit selbstinitiierten und -verwalteten<br />
Projekten Pionierarbeit leisteten, hat die zunehmende<br />
Nachfrage heute zu einem breiten Spektrum an Finanzierungs-<br />
und Verwaltungsformen geführt. Gerade<br />
in Siedlungen oder Arealüberbauungen finden sich hybride<br />
Modelle, in denen professionelle Liegenschaftsverwaltungen<br />
zusammen mit Haus- und Siedlungsgruppen<br />
sich um den Erhalt und Betrieb kümmern. So<br />
haben längst auch Stiftungen, Gemeinden und Immobilienunternehmen<br />
das innovative Potenzial solcher<br />
durchmischten und gemeinschaftsorientierten Nachbarschaften<br />
erkannt. Durch die Verbreitung solcher<br />
Wohnformen in unterschiedlichen Sozialräumen geht<br />
auch eine Öffnung hin zu weniger idealistisch aufgeladenen,<br />
pragmatischeren Formen einher. Davon können<br />
nun auch Menschen profitieren, ohne den hohen<br />
zeitlichen, wissensspezifischen und finanziellen Einsatz<br />
einer Gründergruppe leisten zu müssen. Dies bedingt,<br />
dass Trägerschaften ihre Projekte auf dem Land<br />
und in Agglomerationsräumen an die Wohnbedürfnisse<br />
und -gewohnheiten der lokalen Bevölkerung anpassen.<br />
Denn Generationenwohnen ist kein ausschliesslich<br />
urbanes Phänomen. So liegen mehr als die Hälfte<br />
der genannten 75 Projekte zu gleichen Teilen auf dem<br />
Land wie auch in der Agglomeration. Während einige<br />
wenige über 300 Wohneinheiten umfassen, liegt die<br />
Mehrheit der Projekte bei einer Grösse zwischen 10<br />
und 50 Wohneinheiten.<br />
MEHR AUF GLEICHEM RAUM<br />
Generationenwohnen beruht auf einer Architektur,<br />
die sich primär nach den Bedürfnissen der Bewohnenden<br />
ausrichtet und häufig nach dem Design für alle konzipiert<br />
ist. Ein abwechslungsreicher Wohnungsmix<br />
mit genügend preiswerten Kleinwohnungen und zumiet-<br />
und erweiterbaren Zimmern erhöht die Chance,<br />
trotz veränderter Haushalts- und Familienformen weiterhin<br />
in der gewohnten Umgebung zu leben. Durchlässige<br />
Gebäudestrukturen und offene Erschliessungsformen<br />
ermöglichen Sichtkontakte und zwanglose<br />
Begegnungsmöglichkeiten. Die Verknappung des privaten<br />
Wohnraums bei einem gleichzeitigen Angebot<br />
an vielfältigen gemeinschaftlichen Flächen und Infrastrukturen<br />
bewirkt nicht nur eine intensivere, sondern<br />
auch eine effizientere und nachhaltigere Nutzung<br />
von Raum und Ressourcen. Trotz dieser Verdichtung<br />
schaffen es die Projekte, Rückzugsmöglichkeiten zu erhalten<br />
und eine insgesamt hohe und langfristige Wohnzufriedenheit<br />
zu erreichen.<br />
Gerade bei grösseren Projekten gehört dazu oftmals<br />
auch ein attraktiver Gewerbe- und Dienstleistungsmix.<br />
Für ein zielgruppenspezifisches Angebot ist es<br />
förderlich, wenn die Wünsche und Vorstellungen aller<br />
zukünftigen Bewohnenden bereits in der Planung<br />
wie im späteren Betrieb einbezogen werden. Unsere<br />
bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass es neben den gemeinschaftsfördernden<br />
baulichen Strukturen vor allem<br />
auch soziale Ansätze braucht, die dafür sorgen,<br />
dass die hohe Diversität der Bewohnerschaft nicht zu<br />
Konflikten führt. Denn so viel Gemeinschaftlichkeit<br />
zu leben, ist anspruchsvoll. Ob nun eine externe Siedlungsmoderation<br />
oder eine von Bewohnenden getragene<br />
interne Ombudsstelle sich um ein gutes Miteinander<br />
kümmern, Tatsache ist, dass neue Wohnformen<br />
viel Begleitung und Pflege brauchen und selten zum<br />
Selbstläufer werden.<br />
DIE ZUKUNFT IST GEMEINSAM<br />
Die 2022 veröffentliche Nachbarschaftsstudie<br />
des Gottlieb Duttweiler Instituts macht mit 44% eine<br />
wachsende Gruppe von Menschen aus, die sich als<br />
«Vorreiter für die Nachbarschaftlichkeit von morgen»<br />
mehr Vielfalt und Gemeinschaftlichkeit im Wohnen<br />
wünschen. Generationenwohnprojekte – die das<br />
menschliche Wohlbefinden ins Zentrum stellen –<br />
sind daher interessante Alternativen zur herkömmlichen<br />
Immobilienentwicklung. Sie können als Modelle<br />
für eine zukunftsweisende Planung dienen, die eine<br />
integrierte Entwicklung von Wohnraum, Infrastrukturen<br />
und sozialen Dienstleistungen vorsieht, um auf<br />
sich verändernde Anforderungen und Bedürfnisse im<br />
Wohnungsmarkt einzugehen. Die Immobilienbranche<br />
kann daraus lernen und nicht zuletzt auch ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />
stärken. <br />
WEITERE INFORMATIONEN<br />
Mehr zum Forschungsprojekt unter:<br />
https://wohnforum.arch.ethz.ch/projekte/ verzeichnis/<br />
generationenwohnen-in- langfristiger-perspektive.html<br />
GENERATIO<br />
NENWOHNPRO<br />
JEKTE STELLEN<br />
DEN MENSCH<br />
UND SEINE BE<br />
DÜRFNISSE INS<br />
ZENTRUM.<br />
*LEONIE POCK<br />
Die Autorin ist Anthropologin<br />
und forscht am<br />
ETH Wohnforum -<br />
ETH Case.<br />
IMMOBILIA / Juni <strong>2023</strong> 21