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immobilia 2023/06 - SVIT

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ILLEGALE HECKENHÖHE – WEL-<br />

CHES SIND DIE RECHTSFOLGEN?<br />

Jahrelang habe man A im Gemeindeblatt<br />

zum Heckenrückschnitt aufgefordert, so<br />

die Gemeinde. Dieser Pflicht sei A nie nachgekommen.<br />

Anfänglich seien Hecken klein,<br />

dünn und kein Sichthindernis, mit der Zeit<br />

aber würden sie zum Sicherheitsrisiko. Hecken<br />

genössen keine Bestandesgarantie, da<br />

sie sich verändern und nicht bewilligungspflichtig<br />

seien. Wie wäre eine Pflichtverletzung<br />

sonst feststellbar? Keine Gemeinde<br />

könnte noch Sichtbehinderungen ahnden<br />

ohne Expertengutachten zur Frage, ob Eiche,<br />

Ulme oder Hecke bereits 50-jährig seien<br />

und eine Bestandesgarantie geniessen.<br />

A’s Hecke hielt den Sichtbereich zur<br />

Strasse nicht ein und überschritt die gesetzlich<br />

erlaubte Höhe von 0,8 m um ein Vielfaches<br />

– dies die Fakten. Die Verantwortung<br />

für die Herstellung des rechtmässigen Zustands<br />

trägt A, wobei der Gemeinderat befugt<br />

ist, bei Rechtsverletzungen den Rückschnitt<br />

der Hecke zu verfügen. Die Krux ist,<br />

dass die umstrittene 37-jährige Hecke seit<br />

über 30 Jahren zu hoch ist, was die Richterschaft<br />

mit Akribie feststellte. Diese durchforstete<br />

das Bildarchiv der ETH, analysierte<br />

den Schattenwurf auf alten Luftbildern,<br />

wertete Dokumente und Grundbuchangaben<br />

aus und schloss, «dass (die Hecke) seit<br />

über 30 Jahren in einer dauerhaft rechtswidrigen<br />

Höhe besteht, weshalb die Vorinstanz<br />

durch die jahrelange Untätigkeit ihre<br />

Befugnis grundsätzlich verwirkt hat, die<br />

Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes<br />

zu verlangen».<br />

JAHRELANGE UNTÄTIGKEIT DER<br />

GEMEINDE<br />

Problematisch war also, dass die Gemeinde<br />

die Rechtswidrigkeit der Hecke<br />

seit Jahrzehnten tolerierte und der rechtmässige<br />

Zustand aus Gründen der Rechtssicherheit<br />

nicht unendlich lange angeordnet<br />

werden kann. Kein Gemeinwesen darf<br />

jahrelang eine Rechtswidrigkeit billigen<br />

und plötzlich hart durchgreifen. Die Wiederaufforstung<br />

illegal gerodeter Wälder 1<br />

ist so tabu wie der Abbruch rechtswidriger<br />

Bauten innerhalb der Bauzone nach 30 Jahren<br />

2 . Diese Rechtsprechung schützt grundsätzlich<br />

auch unsere Hecke.<br />

Doch keine Ausnahme ohne Regel. Stehen<br />

zentrale Polizeigüter auf dem Spiel,<br />

schwindet auch der Bestandesschutz. Man<br />

stelle sich verwahrloste Bauten, elektrische<br />

Installationen oder drohende Felsstürze<br />

vor. Gehen von einem baugesetzwidrigen<br />

Zustand Gefahren für Leib und Leben<br />

von Personen aus, sind Abbruch oder Stutzung<br />

trotz Verwirkungsfrist zulässig. 3 Wiederherstellungsbefehle<br />

müssen dann zum<br />

Schutz der Eigentumsfreiheit einer strengen<br />

Verhältnismässigkeitsprüfung standhalten.<br />

Staatliche Massnahmen müssen<br />

zwecktauglich und notwendig sein und<br />

ausbleiben, wenn ein milderes Mittel ausreicht.<br />

Jeder Eingriff benötigt ein überwiegendes<br />

öffentliches Interesse. Hierauf<br />

kann sich selbst der bösgläubige A, dieser<br />

wusste schliesslich vom Wildwuchs seiner<br />

Hecke, berufen.<br />

BAUPOLIZEILICHE GRÜNDE UND<br />

VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT<br />

Die jährliche Gemeindemitteilung an<br />

Pflanzenliebhaber, Gewächse auf 0,8 m<br />

«unter Schere» zu halten und im Sichtbereich<br />

zurückzuschneiden, genüge nicht<br />

zur Geltendmachung eines Anspruchs auf<br />

Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes,<br />

so das Gericht. Weshalb sich die<br />

Frage stellte, ob die Kappung trotz Verwir-<br />

kungsfrist aus baupolizeilichen Gründen<br />

dennoch befohlen werden durfte. Obwohl<br />

sich an der fraglichen Verzweigung seit<br />

30 Jahren keine Unfälle ereigneten, nannte<br />

das Gericht die Verkehrssicherheit ein<br />

wichtiges öffentliches Interesse. Nicht zu<br />

beanstanden war also die Tauglichkeit des<br />

Heckenschnitts. Doch, wie steht es um dessen<br />

Notwendigkeit?<br />

Die Gemeinde argumentierte, die Polizei<br />

habe Verkehrssicherungsmassnahmen<br />

untersucht, aber weder Alternativen gefunden<br />

noch Unterlagen angefertigt. Dieses<br />

Vorgehen duldete das Baurekursgericht<br />

nicht. Offensichtlich habe man keine Alternativen<br />

zur Heckenschere, etwa Stoppsignal,<br />

Verkehrsspiegel oder Tempo-30-Zone,<br />

ernsthaft geprüft. Es stellte eine Verletzung<br />

der Verhältnismässigkeitsgrundsatzes<br />

sowie die Rechtswidrigkeit des Kappbefehls<br />

fest und begnadete die Hecke<br />

(vorerst), solange keine milderen Mittel seriös<br />

geprüft wurden. Die Befürchtung der<br />

Gemeinde, man müsse also fortan das Alter<br />

aller Hecken eingehend prüfen, um Rückschnitte<br />

anzuordnen, teile das Gericht<br />

nicht: Für Recht und Ordnung verantwortlich<br />

zu sein, bedeute auch, Kontrollen und<br />

Rundgänge durch die Gemeinde durchzuführen.<br />

30 Jahre hierfür sollten ausreichen.<br />

<br />

1<br />

BGE 105 IB 265<br />

2<br />

BGE 136 II 359; BGE 107 IA 121<br />

3<br />

BGE 107 IA 121, E. 1B<br />

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