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ILLEGALE HECKENHÖHE – WEL-<br />
CHES SIND DIE RECHTSFOLGEN?<br />
Jahrelang habe man A im Gemeindeblatt<br />
zum Heckenrückschnitt aufgefordert, so<br />
die Gemeinde. Dieser Pflicht sei A nie nachgekommen.<br />
Anfänglich seien Hecken klein,<br />
dünn und kein Sichthindernis, mit der Zeit<br />
aber würden sie zum Sicherheitsrisiko. Hecken<br />
genössen keine Bestandesgarantie, da<br />
sie sich verändern und nicht bewilligungspflichtig<br />
seien. Wie wäre eine Pflichtverletzung<br />
sonst feststellbar? Keine Gemeinde<br />
könnte noch Sichtbehinderungen ahnden<br />
ohne Expertengutachten zur Frage, ob Eiche,<br />
Ulme oder Hecke bereits 50-jährig seien<br />
und eine Bestandesgarantie geniessen.<br />
A’s Hecke hielt den Sichtbereich zur<br />
Strasse nicht ein und überschritt die gesetzlich<br />
erlaubte Höhe von 0,8 m um ein Vielfaches<br />
– dies die Fakten. Die Verantwortung<br />
für die Herstellung des rechtmässigen Zustands<br />
trägt A, wobei der Gemeinderat befugt<br />
ist, bei Rechtsverletzungen den Rückschnitt<br />
der Hecke zu verfügen. Die Krux ist,<br />
dass die umstrittene 37-jährige Hecke seit<br />
über 30 Jahren zu hoch ist, was die Richterschaft<br />
mit Akribie feststellte. Diese durchforstete<br />
das Bildarchiv der ETH, analysierte<br />
den Schattenwurf auf alten Luftbildern,<br />
wertete Dokumente und Grundbuchangaben<br />
aus und schloss, «dass (die Hecke) seit<br />
über 30 Jahren in einer dauerhaft rechtswidrigen<br />
Höhe besteht, weshalb die Vorinstanz<br />
durch die jahrelange Untätigkeit ihre<br />
Befugnis grundsätzlich verwirkt hat, die<br />
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes<br />
zu verlangen».<br />
JAHRELANGE UNTÄTIGKEIT DER<br />
GEMEINDE<br />
Problematisch war also, dass die Gemeinde<br />
die Rechtswidrigkeit der Hecke<br />
seit Jahrzehnten tolerierte und der rechtmässige<br />
Zustand aus Gründen der Rechtssicherheit<br />
nicht unendlich lange angeordnet<br />
werden kann. Kein Gemeinwesen darf<br />
jahrelang eine Rechtswidrigkeit billigen<br />
und plötzlich hart durchgreifen. Die Wiederaufforstung<br />
illegal gerodeter Wälder 1<br />
ist so tabu wie der Abbruch rechtswidriger<br />
Bauten innerhalb der Bauzone nach 30 Jahren<br />
2 . Diese Rechtsprechung schützt grundsätzlich<br />
auch unsere Hecke.<br />
Doch keine Ausnahme ohne Regel. Stehen<br />
zentrale Polizeigüter auf dem Spiel,<br />
schwindet auch der Bestandesschutz. Man<br />
stelle sich verwahrloste Bauten, elektrische<br />
Installationen oder drohende Felsstürze<br />
vor. Gehen von einem baugesetzwidrigen<br />
Zustand Gefahren für Leib und Leben<br />
von Personen aus, sind Abbruch oder Stutzung<br />
trotz Verwirkungsfrist zulässig. 3 Wiederherstellungsbefehle<br />
müssen dann zum<br />
Schutz der Eigentumsfreiheit einer strengen<br />
Verhältnismässigkeitsprüfung standhalten.<br />
Staatliche Massnahmen müssen<br />
zwecktauglich und notwendig sein und<br />
ausbleiben, wenn ein milderes Mittel ausreicht.<br />
Jeder Eingriff benötigt ein überwiegendes<br />
öffentliches Interesse. Hierauf<br />
kann sich selbst der bösgläubige A, dieser<br />
wusste schliesslich vom Wildwuchs seiner<br />
Hecke, berufen.<br />
BAUPOLIZEILICHE GRÜNDE UND<br />
VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT<br />
Die jährliche Gemeindemitteilung an<br />
Pflanzenliebhaber, Gewächse auf 0,8 m<br />
«unter Schere» zu halten und im Sichtbereich<br />
zurückzuschneiden, genüge nicht<br />
zur Geltendmachung eines Anspruchs auf<br />
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes,<br />
so das Gericht. Weshalb sich die<br />
Frage stellte, ob die Kappung trotz Verwir-<br />
kungsfrist aus baupolizeilichen Gründen<br />
dennoch befohlen werden durfte. Obwohl<br />
sich an der fraglichen Verzweigung seit<br />
30 Jahren keine Unfälle ereigneten, nannte<br />
das Gericht die Verkehrssicherheit ein<br />
wichtiges öffentliches Interesse. Nicht zu<br />
beanstanden war also die Tauglichkeit des<br />
Heckenschnitts. Doch, wie steht es um dessen<br />
Notwendigkeit?<br />
Die Gemeinde argumentierte, die Polizei<br />
habe Verkehrssicherungsmassnahmen<br />
untersucht, aber weder Alternativen gefunden<br />
noch Unterlagen angefertigt. Dieses<br />
Vorgehen duldete das Baurekursgericht<br />
nicht. Offensichtlich habe man keine Alternativen<br />
zur Heckenschere, etwa Stoppsignal,<br />
Verkehrsspiegel oder Tempo-30-Zone,<br />
ernsthaft geprüft. Es stellte eine Verletzung<br />
der Verhältnismässigkeitsgrundsatzes<br />
sowie die Rechtswidrigkeit des Kappbefehls<br />
fest und begnadete die Hecke<br />
(vorerst), solange keine milderen Mittel seriös<br />
geprüft wurden. Die Befürchtung der<br />
Gemeinde, man müsse also fortan das Alter<br />
aller Hecken eingehend prüfen, um Rückschnitte<br />
anzuordnen, teile das Gericht<br />
nicht: Für Recht und Ordnung verantwortlich<br />
zu sein, bedeute auch, Kontrollen und<br />
Rundgänge durch die Gemeinde durchzuführen.<br />
30 Jahre hierfür sollten ausreichen.<br />
<br />
1<br />
BGE 105 IB 265<br />
2<br />
BGE 136 II 359; BGE 107 IA 121<br />
3<br />
BGE 107 IA 121, E. 1B<br />
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