immobilia 2023/06 - SVIT

BAU & HAUS
HOUSING FIRST
AM ANFANG
STEHT DIE EIGENE
WOHNUNG
Obdachlose Menschen sollen bedingungslos
eine eigene Wohnung und
Beratung erhalten. Vermieter und
Eigentümer sind gefragt und brauchen
Mut für eine Zusammenarbeit
mit der Heilsarmee.
TEXT— THOMAS FROMMHERZ*
Die Heilsarmee sucht geeigneten Wohnraum und bietet Beratung rund um das eigenständige Wohnen nach dem Leben auf der Strasse an. BILD: 123RF.COM
ZUERST EINMAL DIE EIGENE
WOHNUNG
Mit dem Projekt Housing First startete Basel-Stadt
die Massnahme zur konkreten Umsetzung des Rechts
auf Wohnen. Das Recht auf Wohnen wurde in die Verfassung
des Kantons aufgenommen. Im Auftrag der
Sozialhilfe Basel-Stadt entwickelte die Heilsarmee
Wohnbegleitung ein Konzept zur Durchführung von
Housing First. In diesem Projekt erhalten langjährig
obdachlose Menschen als Erstes eine eigene Wohnung,
ohne dass sie irgendwelche Vorleistungen erbringen
müssen. Die Heilsarmee sucht geeigneten
Wohnraum und bietet Beratung rund um das eigenständige
Wohnen nach dem Leben auf der Strasse an.
«Endlich bin ich weg von der Szene», sagt Frau N.,
nachdem sie nach über zehn Jahren auf der Strasse
wieder einen eigenen Mietvertrag hat. Sie kann endlich
ihre Sachen wieder unterstellen, ohne dass sie
Angst haben muss, dass sie gestohlen werden. Sie
kann kommen und gehen, wann sie will und auch einmal
abschliessen und ihre Ruhe haben. Auf der Strasse
geht das nicht. «Fast überall bist du höchstens geduldet,
in Cafés musst du zahlen, Tramfahren geht auch
nicht den ganzen Tag. Mit Essen kannst du dich versorgen,
dafür gibt es genügend Angebote.» Die ersten
drei Monate in der eigenen Wohnung waren hart: Frau
N. schlief auf dem Boden, obwohl sie ein neues Bett bekommen
hatte – Macht der Gewohnheit. Sie kochte
mit ihrem Campingkocher, das kennt sie von früher.
Ein Badezimmer mit WC und Wanne kommt ihr wie
ein Traum vor.
Frau N. hat ihre Hauterkrankung in den Griff bekommen,
ihre Zähne saniert und arbeitet als Verkäuferin
eines Strassenmagazins. Jeden Dienstag
trifft sie sich mit ihrer Bezugsperson der Heilsarmee
und bringt ihre Post vorbei, um sie gemeinsam durchzusehen.
Das Heroin lässt sie nicht los, mittlerweile
bezieht sie es in einer Abgabestelle. Die Stimmen in
ihrem Kopf sind leiser geworden, mit ihren Nachbarn
hat sie sich geeinigt. Frau N. möchte in ihrer Wohnung
bleiben. Als Nächstes möchte sie einen Fernseher, Internet
und eine eigene Rufnummer.
ZAHLEN UND FAKTEN
Im März 2023 nahmen insgesamt 26 Menschen an
unserem Projekt teil. Davon haben 20 Menschen einen
eigenen Mietvertrag erhalten. Zwei Personen konnten
eine Wohnung in einer Alterssiedlung finden. Wir begleiten
und beraten 12 Teilnehmerinnen und 14 männliche
Teilnehmende.
Es gab seit Projektstart vier Kündigungen. In drei
Fällen war Ruhestörung ein Grund, Verwahrlosung
in einem Fall. Andere Gründe waren Betteln im Haus,
Schlüsselverlust, Kündigung anderer Mieter, Schwierigkeiten
mit der Nachbarschaft. Wir bemühen uns,
für diese Personen Anschlusslösungen zu finden (anderes
Quartier, stationäre Einrichtungen). Partner für
die Wohnungsvermittlung waren die Wohngenossenschaft
Nordwest, die Christoph Merian Stiftung und
Immobilien Basel-Stadt.
Die Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Personen
gestaltet sich mehrheitlich gut. Das Gros benötigt
nur gelegentliche Gespräche und ihnen ist eine
Ansprechperson für persönliche Angelegenheiten
wichtig. Gemäss den Rückmeldungen wird das Unterstützungsangebot
sehr gern in Anspruch genommen.
DAS BEDIN-
GUNGSLOSE
GRUNDRECHT
AUF WOHNEN
IST GESAMT-
GESELL-
SCHAFTLICHE
VERANTWOR-
TUNG.
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IMMOBILIA / Juni 2023