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Katem<strong>in</strong><br />
<strong>Himmel</strong> <strong>und</strong> <strong>Hölle</strong> am Ofen<br />
<strong>Er<strong>in</strong>nerungen</strong> <strong>der</strong> Bäckerstochter Ingeborg Harms – Erstabdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> ZEIT Nr. 52/2015<br />
Als Bäckerstochter ahnt man früh, dass man an e<strong>in</strong>em<br />
w<strong>und</strong>erbar archaischen Ort aufwächst. <strong>Er<strong>in</strong>nerungen</strong><br />
an e<strong>in</strong>e Stimmung, die es so nirgends mehr gibt.<br />
Ich habe me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> Katem<strong>in</strong> an <strong>der</strong> Elbe verbracht,<br />
zwischen uns <strong>und</strong> dem Strom gab es nur noch<br />
Fel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Teiche. Wenn die Vopos nachts <strong>in</strong> ihren<br />
Jeeps patrouillierten, huschten Sche<strong>in</strong>werfer über den<br />
Deich auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Diese Dramatik <strong>der</strong> Grenze<br />
fiel bei uns K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht schwer <strong>in</strong>s Gewicht. Dass<br />
uns nur e<strong>in</strong> paar h<strong>und</strong>ert Meter von e<strong>in</strong>em fe<strong>in</strong>dlich ges<strong>in</strong>nten<br />
Weltsystem trennten, wurde höchstens <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Stille spürbar, die so absolut wie <strong>in</strong> den frühen Ingmar-<br />
Bergman-Filmen war. Wenn wir zum Ste<strong>in</strong>eflippen an<br />
die Elbe g<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>teressierten uns mehr die Kähne, die<br />
<strong>in</strong> Richtung Hamburg fuhren. Dort war me<strong>in</strong>e Großtante<br />
ausgebombt worden. Dass man das Feuer damals<br />
am Horizont sehen konnte, bee<strong>in</strong>druckte uns sehr.<br />
Gewöhnlich war das Dorf eher mit sich selbst beschäftigt<br />
<strong>und</strong> mental weit entfernt von <strong>der</strong> nächsten<br />
Stadt. Neben dem Telefon, das man sehr spärlich<br />
nutzte, waren die medialen Höhepunkte Diashows, die<br />
auf das Stubenrollo projiziert wurden. Unsere Nachbarn<br />
schauten seitenverkehrt von <strong>der</strong> Straße aus mit.<br />
Im Sommer gab es Pfadf<strong>in</strong><strong>der</strong>, die abends Schlager s<strong>in</strong>gend<br />
durchs Dorf marschierten <strong>und</strong> den Mädchen die<br />
Ehe versprachen. E<strong>in</strong> Hamburger Junge, <strong>der</strong> oft se<strong>in</strong>e<br />
Oma besuchte, spielte für uns auf <strong>der</strong> Bodentreppe mit<br />
schrillen Action-Tönen aktuelle K<strong>in</strong>ofilme nach.<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter Inge mit Norbert <strong>und</strong> mir im Garten des<br />
alten Hauses<br />
Der Duft <strong>der</strong> Backstube weckte mich <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e Brü<strong>der</strong>.<br />
Im Nachthemd stiegen wir drei Stufen h<strong>in</strong>unter,<br />
suchten uns e<strong>in</strong>e warme Streuselschnecke aus o<strong>der</strong><br />
fischten Brötchen aus e<strong>in</strong>em Weidenkorb. Sie waren<br />
kross, rochen süßlich nach Hefe, <strong>und</strong> wenn man sie<br />
aufschnitt, stieg Dampf daraus auf. Sie enthielten wenig<br />
Teig, waren nur goldbraune Schale. Es ergab e<strong>in</strong>en<br />
satten Klang, wenn sie vom Ofen <strong>in</strong> die Körbe prasselten.<br />
Doch im Mittelpunkt stand das Brot. Es wurde auf<br />
Vorrat gekauft, an die großen Bauernfamilien lieferten<br />
wir jede Woche acht Laibe.<br />
Unser Haus hatte im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert dem Gasthof<br />
Sandkrug gehört. Er war nach e<strong>in</strong>er Schenke benannt,<br />
die bereits zur Zeit <strong>der</strong> Französischen Revolution<br />
dort gestanden hatte. Direkt vor dem Haus stieß<br />
<strong>der</strong> über die Elbhöhen kommende Postweg auf die<br />
Uferstraße. Es lag an <strong>der</strong> großen Verkehrsa<strong>der</strong>, auf die<br />
schon Schabbach, das Hunsrück-Dorf <strong>in</strong> Edgar Reitz‘<br />
Me<strong>in</strong> Vater Robert Harms jr. im Jahre 1960 vor dem neu<br />
erbauten Haus se<strong>in</strong>es Bru<strong>der</strong>s Gerhard<br />
Unser Weihnachtsbaum stand fast <strong>in</strong> <strong>der</strong> Backstube,<br />
dazwischen lag nur e<strong>in</strong>e Tür. Me<strong>in</strong>e früheste Er<strong>in</strong>nerung<br />
ist e<strong>in</strong> Traum, <strong>in</strong> dem ich diese Tür öffne <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>em schwarzen Mann begegne, <strong>der</strong> me<strong>in</strong>e Mutter<br />
entführt. Me<strong>in</strong> Unterbewusstes muss die Farben vertauscht<br />
haben, denn jenseits <strong>der</strong> Tür trugen alle Weiß.<br />
Die alte <strong>Bäckerei</strong> im ehemaligen Gasthof Sandkrug, 1930<br />
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