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faktor Herbst 2023

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wissen<br />

Die meisten Inhaber von mittelständischen, eigentümergeführten<br />

Unternehmen gehen wohl davon aus, dass ihre Tätigkeit als<br />

Geschäftsführer ,ihrer‘ Gesellschaft selbstständig und daher von<br />

der Sozialversicherungspflicht befreit ist. Doch lauert nun eine<br />

böse Überraschung durch die Sozialgerichte?<br />

FRÜHER GALT: EINE SELBSTSTÄNDIGE TÄTIGKEIT liegt vor, wenn ein Geschäftsführer<br />

die Ordnung des Betriebes prägte, also ,Kopf und Seele‘ des Unternehmens<br />

war oder er – wirtschaftlich gesehen – seine Tätigkeit nicht wie für ein fremdes, sondern<br />

wie für ein eigenes Unternehmen ausübte.<br />

Diese Rechtsprechung gab das Bundessozialgericht (BSG) im Jahr 2015 schlagartig<br />

auf und verschärft die Anforderungen an die Sozialversicherungsfreiheit seither<br />

stetig. Zunächst hieß es, der Gesellschafter-Geschäftsführer sei nur dann selbstständig,<br />

wenn er aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft oder eines<br />

diesbezüglichen Vetorechts an ihn gerichtete Weisungen verhindern könne.<br />

IN EINER WEITEREN ENTSCHEIDUNG erklärte das BSG sodann, er müsse nicht<br />

nur Weisungen verhindern können, sondern die Rechtsmacht innehaben, „sämtliche<br />

ihm ungenehme Beschlüsse“ zu verhindern. Kurzum: Die Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers,<br />

der weniger als 50 Prozent der Gesellschaftsanteile hält<br />

und dem kein allumfassendes Vetorecht im Gesellschaftsvertrag eingeräumt ist,<br />

wurde „über Nacht“ und ungeachtet der tatsächlichen in der Unternehmung gelebten<br />

Verhältnisse sozialversicherungspflichtig.<br />

ENTSCHEIDUNGEN DES BSG AUS DEM JAHR 2022 legen nun gar nahe, dass<br />

diese Anforderungen weiter zugespitzt werden und die Möglichkeit zur Gestaltung<br />

aller Gesellschaftsangelegenheiten Voraussetzung für die Sozialversicherungsfreiheit<br />

wird. Ob damit dann auch gesetzlich oder gesellschaftsvertraglich vorgesehene<br />

qualifizierte Mehrheitserfordernisse – wie etwa bei einer Satzungsänderung – erfasst<br />

werden, ist bislang vollkommen unklar. Eindeutig ist hingegen, dass hinter<br />

diesem Rechtsprechungswandel der politische Wille zur Stärkung der gesetzlichen<br />

Sozialversicherung steht. Dass diese Rechtsprechung sich dabei in bedenklicher Art<br />

und Weise immer weiter sowohl vom Unternehmerbegriff als auch demjenigen der<br />

abhängigen Beschäftigung im arbeits- und steuerrechtlichen Sinne entfernt, scheint<br />

nicht zu interessieren. Auch die erheblichen finanziellen Auswirkungen auf die inhabergeführten<br />

Mittelständler bleiben unbeachtet.<br />

ZUR PERSON<br />

Paul-Marten Seekamp ist als Rechtsanwalt<br />

bei Lampe legal Anwaltsgesellschaft<br />

und Notare in Göttingen tätig. Seine<br />

Schwerpunkte sind: Handels- und Gesellschaftsrecht,<br />

Compliance sowie Wirtschafts-<br />

und Steuerstrafrecht.<br />

KONTAKT<br />

Lampe legal<br />

Anwaltsgesellschaft und Notare<br />

Recht für Unternehmen und Vermögen<br />

Bahnhofsallee 6<br />

37081 Göttingen<br />

Tel. 0551 5474921<br />

info@lampe-legal.de<br />

www.lampe-legal.de<br />

WAS IST ZU TUN?<br />

Hier sind dringend die Gesellschaftsrechtler unter den Juristen gefordert.<br />

Insbesondere inhabergeführte Unternehmen müssen vorbeugen und den<br />

derzeitigen sozialversicherungsrechtlichen Status ihrer Geschäftsführung<br />

überprüfen lassen, vor allem den Gesellschaftsvertrag anpassen und gegebenenfalls<br />

die Anteilsstruktur ändern.<br />

Gegen Bescheide der Rentenversicherung müssen Rechtsmittel eingelegt<br />

und alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorgetragen werden, die den<br />

Status des Geschäftsführers als Unternehmer stützen können; hier neigen<br />

die Sozialversicherungsträger zu allzu pauschalierenden Annahmen, die<br />

dem Einzelfall nicht mehr gerecht werden.<br />

Dies alles muss sofort geschehen, denn die Bombe tickt.<br />

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