familie&erziehung Die Entdeckung der Langsamkeit 10 familie&<strong>co</strong> <strong>12</strong>/<strong>2023</strong>
Frühstücken, Anziehen, Einkaufen: Mit Kindern dauert das manchmal eine kleine Ewigkeit. Warum nur? Und wie bringt man kleine Bummler am besten auf Trab? Kaum zu glauben, wie un<strong>co</strong>ol man sich als Mutter anhören kann! Besonders morgens staune ich über mich selbst: Da flitze ich wie ein aufgescheuchtes Huhn halb angezogen zwischen Küche, Bad und Kinderzimmer hin und her und treibe zur Eile an. „Louisa, jetzt ist keine Zeit zum Malen!“ „Louisa, zieh den zweiten Strumpf an!“ Ihre Trödelei macht mich kirre. Muss das so sein? Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Beatrix Palt, selbst Mutter, rät zu Gelassenheit: „Kinder trödeln in den seltensten Fällen absichtlich. Sie haben einfach eine andere Geschwindigkeit als Erwachsene, und das sollten Eltern einplanen.“ Die Ursachen fürs Trödeln sind ganz harmlos, versichert die Expertin: „Kinder lassen sich schnell ablenken. Wenn ihr Blick auf den Malblock fällt, vergessen sie, dass sie eigentlich dabei sind, Socken anzuziehen.“ Kommt mir bekannt vor. Was aber tun? Werfen wir doch mal einen Blick auf einen typischen Familientag. Bummeln beim Aufstehen Im Idealfall beginnt das Guten-Morgen-Programm schon am Vorabend. Indem man mit dem Kind die Sachen zum Anziehen für den nächsten Tag herauslegt. Und den Wecker so früh stellt, dass man sich selbst anziehen kann, ehe man das Kind weckt. Wer auch dies nicht auf den letzten Drücker tut, hat schon viel Zeit gewonnen. Ist das Kind dann aufgestanden, wirken Absprachen Wunder. Zum Beispiel: Erst anziehen, dann frühstücken. Dabei sollten Eltern ihr Kind gelegentlich an die Zeit erinnern. Erst ab etwa acht Jahren haben Kinder genug Zeitgefühl, die Verantwortung für ihre Pünktlichkeit selbst zu übernehmen. Wer ein paar mal zu spät zur Schule kommt und sich deshalb mit dem Lehrer ausein andersetzen muss, wird frühmorgens weniger bummeln. Anders ist es, wenn die Eltern Feuerwehr spielen und es irgendwie immer schaffen, ihr Schulkind mit dem letzten Klingeln ins Klassenzimmer zu schieben: Warum sollte es dann versuchen, selbst auf die Zeit zu achten? Bummeln auf dem Heimweg Daran erinnere ich mich gut: Da kommt man nach einem kleinen Spielplatz-Bummel gut gelaunt von der Schule nach Hause geschlendert und sieht schon von Weitem eine sehr besorgte Mutter Aus schau halten. Dass das Mittagessen kalt wird, war noch ihre geringste Sorge, wie ich inzwischen weiß. Was tun? „Vor allem von Kindern nicht erwarten, dass sie schnurstracks von der Schule nach Hause gehen“, meint Beatrix Palt. „Kinder sind verspielt und brauchen nach dem Schultag eine Pause. Besser: Zeitfenster vereinbaren! Und erklä ren, dass man sich Sorgen macht, wenn der Nachwuchs z. B. eine Stunde nach Schulschluss noch nicht auf der Matte steht.“ Bummeln bei Besorgungen Einkaufen, Arzt, Friseur: Für meine Freundin Anja ist alles eine große Aktion, wenn Söhnchen David (3) sie begleitet. Deshalb „parkt“ sie den Kleinen oft bei uns oder einer Nachbarsfamilie und macht sich allein auf den Weg. Erziehungswissenschaftlerin Beatrix Palt pflichtet ihr darin bei: „Findet die Unternehmung in Hetze statt, dann hat keiner etwas davon. Wenn man Kinder mitnimmt, sollte man es sich zeitlich leisten können und den Rhythmus des Kindes akzeptieren.“ Das heißt zum Beispiel: Das Kind darf sich alleine anziehen, obwohl es länger dauert. Es darf die Münzen selbst in den Fahrschein-Automaten werfen, ohne gehetzt zu werden. „Erwachsene, die Kindern Aufgaben aus der Hand nehmen, weil sie dann schneller erledigt werden, stehlen ihnen Entwick lungschancen“, bekräftigt der Hamburger Psychologe Michael Thiel. „Kinder entwickeln sich durch Versuch und Irrtum. Diese Zeit muss man ihnen lassen. So oft wie möglich.“ Bummeln bei Verabredungen Manche Kinder kommen dauernd zu spät. So wie Marie (8), die Tochter meiner Freun din Ute: Selten schafft sie es pünklich zum Geigenkurs oder zum Sport. „Meist ist die Langsamkeit ein Zeichen von Überforderung“, erklärt Beatrix Palt. „Wenn Kinder einen zu vollen Terminkalender haben oder Hobbys, die nicht gut zu ihnen passen.“ Das kann man tun: Alle wöchentlichen Termine notieren, gemeinsam mit dem Kind nach Wichtigkeit sortieren und die Punkte, die unten auf der Liste stehen, gnadenlos <strong>12</strong>/<strong>2023</strong> familie&<strong>co</strong> 11