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Zukunft Forschung 02/2023

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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TITELTHEMA<br />

das massive Artensterben, das wir auch in<br />

Bächen und Flüssen sehen, ist der Habitatsverlust.<br />

Wir nehmen uns einfach zu viel Lebensraum.<br />

Die Folgen der menschgemachten<br />

Klimakrise zeigen sich aber auch zunehmend<br />

als Ursache für Biodiversitätsverlust und<br />

Artensterben. Fließgewässer werden durch<br />

steigende Temperaturen wärmer mit entsprechenden<br />

Folgen für viele Lebewesen, aber<br />

die noch viel wichtigere Konsequenz ist die<br />

damit verbundene Veränderung der Abflussregime.<br />

Wir wissen, dass Extremereignisse<br />

zunehmen werden. Diese Ereignisse nehmen<br />

Einfluss auf die Störungsdynamik, aber auch<br />

auf die Dynamik, mit der ein gerade gestörter<br />

Lebensraum durch Organismen aus der<br />

Umgebung wiederbesiedelt werden kann: In<br />

fragmentierten Gewässernetzwerken können<br />

sich Habitate nach Extremereignissen nur<br />

noch schlecht oder gar nicht mehr erholen.<br />

Das heißt, Lebewesen sterben an einer Stelle<br />

ab, aber durch die fehlende Konnektivität zu<br />

Quellpopulationen – sofern diese nicht ohnehin<br />

auch in Mitleidenschaft gezogen wurden<br />

– kommt kein neues Leben nach.<br />

ZUKUNFT: Welche Folgen haben diese Veränderungen?<br />

SINGER: Wenn das Abflussregime eines Flusses<br />

umgestaltet wird, treten die Auswirkungen<br />

nicht nur an der Stelle des Eingriffs auf,<br />

sondern erstrecken sich über große Bereiche<br />

des Netzwerkes. Das liegt daran, dass der<br />

Austausch von Arten wie auch der Transport<br />

von Ressourcen beeinträchtigt werden.<br />

Die besondere Struktur der Verbindungen<br />

zwischen den verschiedenen Lebensräumen<br />

ist es, die Flussökosysteme zu solch artenreichen<br />

Umgebungen macht. Wir messen in<br />

Fließgewässern, korrekterweise in Binnengewässern<br />

– gemeinsam mit Seen – eine höhere<br />

Artendichte, also mehr Arten pro Fläche, als<br />

in terrestrischen und marinen Lebensräumen.<br />

Wir beobachten in Binnengewässern<br />

aber auch das schnellste Artensterben. Das<br />

liegt einerseits am Lebensraumverlust und<br />

andererseits an der Verringerung der Vielfalt<br />

der Lebensräume in Fließgewässern durch<br />

ihre „Zähmung“. Teilweise vermuten wir,<br />

dass die derzeit bereits bestehende Fragmentierung<br />

von Flussnetzwerken eine sogenannte<br />

Aussterbensschuld bedingt. Das heißt, wir<br />

rechnen auch bei Aufrechterhaltung des Status<br />

quo mit einem weiteren Verlust an Arten<br />

in der nahen <strong>Zukunft</strong>. Biologische Systeme<br />

reagieren zeitverzögert.<br />

ZUKUNFT: Sie sprechen von vielen bereits unumkehrbaren<br />

Konsequenzen. Welche Schutzmöglichkeiten<br />

gibt es dann noch?<br />

SINGER: Die Biodiversitätskrise und damit<br />

verbunden die Klimakrise werden andere<br />

Ökosysteme und Landschaften schaffen, aber<br />

nicht „keine“. Insofern lässt sich daraus keine<br />

Billigung von Naturzerstörung ableiten.<br />

Unsere Abhängigkeit von funktionierenden<br />

Ökosystemen und Biodiversität wird nicht<br />

verschwinden, wenn der Klimawandel seine<br />

Spur der Zerstörung zieht. Wir sind gut beraten,<br />

Ökosysteme so gut es geht in einem natürlichen<br />

Zustand zu bewahren, weil dieser<br />

„Die Bemühungen rund um Renaturierungen von Fließgewässern<br />

sind inzwischen an vielen Orten zu beobachten und natürlich zu<br />

begrüßen. Aber ich glaube dennoch, dass es wichtig wäre zu<br />

verstehen, dass Systeme, die jetzt noch intakt sind, intakt bleiben<br />

müssen. Wenn also an Ort A etwas demoliert wird und dafür an<br />

Ort B renaturiert, gleicht das diese Eingriffe in die Natur nicht aus.“<br />

<br />

Gabriel Singer, Institut für Ökologie<br />

Zustand die größtmögliche Resilienz bedeutet.<br />

Aus einem Gletscherbach wird ein nicht<br />

minder wichtiger Bergbach werden. Anpassungsfähigkeit<br />

ist in Zeiten des Klimawandels<br />

ein sehr hohes Gut. Daher ist es wichtig<br />

die bestehende Restwildnis an Lebensräumen<br />

im Wasser und an Land möglichst zu erhalten.<br />

Der Erhalt der Biodiversität ist unsere<br />

Versicherung, da intakte Systeme mit diesen<br />

Konsequenzen besser umgehen können. Ich<br />

kann als Ökologe nur immer wieder betonen,<br />

dass unser Überleben als Menschen davon abhängt,<br />

die Biodiversität zu erhalten.<br />

ZUKUNFT: Es werden zunehmend Renaturierungsmaßnahmen<br />

im Bereich von Flüssen<br />

und Bächen durchgeführt oder sind geplant,<br />

auch in Tirol. Ist das der richtige Weg?<br />

SINGER: Die Bemühungen rund um Renaturierungen<br />

von Fließgewässern sind inzwischen<br />

an vielen Orten zu beobachten und natürlich<br />

zu begrüßen. Und den Studierenden<br />

sage ich auch gerne, dass wir ohnehin in das<br />

Zeitalter der Renaturierung eintreten müssen,<br />

um dem Artensterben zu begegnen, sie sich<br />

also auch über ihre beruflichen Aussichten keine<br />

Sorgen machen sollten. Aber ich glaube<br />

dennoch, dass es wichtig wäre, zu verstehen,<br />

dass Systeme, die jetzt noch intakt sind, intakt<br />

bleiben müssen. Wenn also an Ort A etwas demoliert<br />

wird und dafür an Ort B renaturiert,<br />

gleicht das diese Eingriffe in die Natur nicht<br />

aus. Das ist aus ökologischer Sicht nicht möglich.<br />

Aus dem Artenschutz wissen wir, dass es<br />

sehr viel einfacher ist, ein intaktes System zu<br />

schützen als ein kaputtes zu reparieren. Der<br />

erste Schritt sollte künftig immer sein, intakte<br />

Systeme in Frieden zu lassen. mb<br />

PODCAST<br />

Gabriel Singer, Universitätsprofessor<br />

für Aquatische<br />

Biogeochemie, war zu Gast im<br />

Podcast der Universität Innsbruck,<br />

„Zeit für Wissenschaft“:<br />

Im ausführlichen Gespräch erzählt<br />

er mehr über seine Arbeit<br />

in der Natur und im Labor, die<br />

Bedeutung von Wissenschaftskommunikation<br />

und Engagement<br />

im Umweltschutz – und<br />

was vom Kajakfahren<br />

für die <strong>Forschung</strong> gelernt<br />

werden kann.<br />

zukunft forschung <strong>02</strong>/23 11

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