Zukunft Forschung 02/2023
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
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SOZIALWISSENSCHAFT<br />
FELIX HOLZMEISTER ist Assistenzprofessor<br />
für Experimentelle Verhaltensökonomik<br />
am Institut für Wirtschaftstheorie,<br />
-politik und -geschichte der Universität<br />
Inns bruck. Nach seiner Promotion 2018<br />
in Inns bruck war er für zwei Jahre als<br />
Postdoc am Spezialforschungsbereich<br />
Credence Goods, Incentives and Behavior<br />
tätig. Im Zentrum seiner <strong>Forschung</strong> stehen<br />
zum einen die Entscheidungsfindung<br />
unter Risiko sowie Märkte für Vertrauensgüter<br />
und zum anderen die Replizierbarkeit<br />
wissenschaftlicher Ergebnisse in den<br />
Verhaltenswissenschaften, Erkenntnistheorie<br />
und Open Science.<br />
ZUKUNFT: Woran liegt das?<br />
HOLZMEISTER: Die Ursachen sind sehr<br />
vielfältig. Einerseits liegt es an statistischen<br />
Grundkonzepten, die verwendet<br />
werden – die frequentistische Statistik<br />
definiert Fehlerraten, die toleriert werden<br />
müssen. Ein weiterer Aspekt ist<br />
Heterogenität: Die Variation über Stichproben,<br />
Studiendesigns und analytische<br />
Methoden hinweg bringt Unsicherheit<br />
mit sich, die häufig ignoriert wird. Diese<br />
Faktoren wirken sich unmittelbar auf<br />
Replikationsraten aus. Ein mindestens<br />
ebenso großes Problem sind aber alle<br />
Arten von fragwürdigen wissenschaftlichen<br />
Praktiken bis hin zu Betrug. Erst<br />
kürzlich war Francesca Gino, eine Professorin<br />
der Harvard Business School,<br />
breit in den Medien: Gino wird vorgeworfen,<br />
systematisch Daten manipuliert<br />
zu haben, um die Ergebnisse zu erzielen,<br />
die man eben gerne hätte und die entsprechend<br />
leichter zu publizieren sind.<br />
Alldem zugrunde liegt das Anreizsystem<br />
in der Wissenschaft: Wir haben es mit einem<br />
sehr stark wettbewerbsgetriebenen<br />
System zu tun, in dem sich alles um Impactfaktoren,<br />
Journalrankings, Zitationszahlen<br />
etc. dreht. Wissenschaftler:innen<br />
arbeiten unter dem Druck, immer das<br />
„Bestmögliche“ aus Studien herauszuholen,<br />
um <strong>Forschung</strong>sgelder zu lukrieren,<br />
auf eine Professur berufen zu werden<br />
etc. Das Problem dabei ist: Es gibt viele,<br />
viele Möglichkeiten, den Prozess vom<br />
Studiendesign bis zum letztendlichen Ergebnis<br />
zu schönen und zu beeinflussen.<br />
Zum Beispiel, indem man 100 verschiedene<br />
Tests durchführt, aber nur den Vorteilhaftesten<br />
publiziert und die anderen<br />
99 Ergebnisse unerwähnt lässt. Die Literatur<br />
besteht zu rund 90 Prozent aus signifikanten<br />
Ergebnissen. Nullergebnisse<br />
werden kaum publiziert. Daraus ergibt<br />
sich ein verzerrtes Bild in der Literatur<br />
und das wirkt sich auch unmittelbar auf<br />
die Replizierbarkeit aus. Das Bestmögliche<br />
ist vor dem Hintergrund des Anreizsystems<br />
leider nicht immer das richtige,<br />
sondern viel mehr das überzeugendste,<br />
überraschendste oder signifikanteste Ergebnis.<br />
ZUKUNFT: Wie lässt sich das beheben? Das<br />
klingt danach, als wäre ein Systemwandel<br />
nötig.<br />
HOLZMEISTER: Ja, und der ist zu einem<br />
großen Teil schon angestoßen. In den<br />
vergangenen Jahren hat sich eine große<br />
Community im Bereich Open Science<br />
etabliert, die stark für Transparenz und<br />
Offenheit plädiert, um den gesamten <strong>Forschung</strong>sprozess<br />
für andere nachvollziehbar<br />
zu machen. Dabei werden alle Daten<br />
und Materialien offen zur Verfügung<br />
gestellt und damit auch nachnutzbar<br />
gemacht. Ein weiterer zentraler Aspekt<br />
des Systemwandels ist der Weg hin zu<br />
Confirmatory Research Practices: Die Idee<br />
dahinter ist, dass man den gesamten <strong>Forschung</strong>sprozess<br />
– von Hypothesen und<br />
dem Studiendesign bis hin zu Datenerhebung<br />
und Analyse – festhält und vor<br />
der Durchführung der Studie in einem<br />
öffentlich zugänglichen Repositorium<br />
ablegt. Diese Präregistrierung wird mit<br />
einem Zeitstempel versehen und ist ab<br />
dem Zeitpunkt der Ablage unveränderbar.<br />
So ist nachvollziehbar, was im Vorfeld<br />
geplant war und was im Nachgang<br />
tatsächlich passiert ist. Einen Schritt<br />
weiter gehen sogenannte Registered Reports:<br />
Dabei wird eine Präregistrierung<br />
bei einem Journal eingereicht und begutachtet.<br />
Bei einem positiven Ergebnis des<br />
Reviewprozesses erfolgt dann eine vorläufige<br />
Publikationszusage. Erst im Anschluss<br />
werden die Daten erhoben und<br />
wie geplant analysiert. Abschließend<br />
erfolgt eine Prüfung, ob die Präregistrierung<br />
eingehalten wurde bzw. Abweichungen<br />
transparent dargestellt werden.<br />
Damit entfernt man auch den Anreiz, signifikante<br />
Ergebnisse zu generieren, weil<br />
man den Publikationserfolg schon in der<br />
Tasche hat, unabhängig davon, was die<br />
Daten dann tatsächlich aufzeigen. Die<br />
Qualität von <strong>Forschung</strong> wird also anhand<br />
der Methodik gemessen und nicht<br />
an den Ergebnissen.<br />
ZUKUNFT: Wird dieses Format schon breiter<br />
angewandt?<br />
HOLZMEISTER: Es wird immer mehr. Die<br />
Präregistrierung hat sich mittlerweile in<br />
weiten Teilen der Sozialwissenschaften<br />
schon als Standard etabliert, da es kein<br />
unmittelbares Mitwirken von Journalen<br />
erfordert. Das ist ein beeindruckender<br />
Wandel, weil es innerhalb von sehr kurzer<br />
Zeit passiert ist – in weniger als zehn<br />
Jahren hat es einen deutlichen Umbruch<br />
in den Standards und in der Publikationskultur<br />
gegeben. Das Format der Registered<br />
Reports gibt es auch immer häufiger,<br />
aber das Angebot ist noch sehr stark<br />
von der Disziplin abhängig. Im Bereich<br />
der Psychologie gibt es mittlerweile zum<br />
Beispiel viele Journale, die Registered-Report-Tracks<br />
anbieten, in den Wirtschaftswissenschaften<br />
ist die Nachfrage klar gewachsen<br />
– vieles ist im Entstehen.<br />
ZUKUNFT: Sie tragen auch selbst zu diesem<br />
Kulturwandel bei und schulen junge<br />
Wissenschaftler:innen im Rahmen einer<br />
Summer School.<br />
HOLZMEISTER: Ich versuche meinen Teil<br />
dazu beizutragen, weil ich der Überzeugung<br />
bin, dass es ein Umdenken braucht.<br />
Leider ist Open Science bislang noch in relativ<br />
wenigen Studienplänen vertreten.<br />
Eine Summer School, die sich mit diesem<br />
Thema beschäftigt, erschien daher ein<br />
wünschenswertes Format zu sein. In erster<br />
Linie geht es darum, ein Bewusstsein<br />
für die Problematik und eine Akzeptanz<br />
von Lösungsansätzen zu schaffen. Das<br />
Format richtet sich primär an Nachwuchswissenschaftler:innen<br />
am Anfang ihrer<br />
Karriere. Bei der jungen Generation anzusetzen,<br />
ist der erfolgversprechendste Weg,<br />
um systematisch und nachhaltig ein Umdenken<br />
zu bewirken. Die Summer School<br />
wurde im vergangenen Sommer erstmals<br />
angeboten und war ausgebucht. Die<br />
Nachfrage für das Format zeigt eine Bereitschaft<br />
für einen Systemwandel – das<br />
ist eine erfreuliche Grundlage. Im Sommer<br />
2<strong>02</strong>4 startet die zweite Auflage. sh<br />
zukunft forschung <strong>02</strong>/23 37