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Zukunft Forschung 02/2023

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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TITELTHEMA<br />

GRENZFLUSS: Auf Basis dieser Karte sollten<br />

die Archen- und Territorialkonflikte zwischen<br />

Bayern und Tirol geschlichtet und ein Verbauungsplan<br />

entworfen werden. Der ideale,<br />

begradigte Verlauf des Inns ist mit gelber<br />

Farbe vorweggenommen (Oberarcheninspektor<br />

Franz Anton Rangger, 1746).<br />

ging es in erster Linie um Hochwasserschutz,<br />

weiters um Anbauflächen. Diese<br />

Interessen kollidierten: Die Schifffahrt<br />

benötigte eine „geradlinige“ Verbauung,<br />

die Gemeinden favorisierten sogenannte<br />

„Wurfarchen“. Quer in den Fluss hineingebaute<br />

Dämme, welche die eigene Uferseite<br />

vor Überschwemmung schützten,<br />

weil sie das Flusswasser auf die andere<br />

Uferseite „warfen“. Verständlich, dass<br />

davon betroffene Gemeinden auf der<br />

anderen Flussseite ähnlich agierten. „Archenkriege“<br />

dieser Art gab es nicht nur<br />

zwischen Gemeinden – etwa zwischen<br />

Kolsass, Weer und Terfens – sondern<br />

auch zwischen Tirol und Bayern. „Seit<br />

1504 war ab Kufstein der Inn die Grenze.<br />

Schon wenige Jahre später begannen<br />

Konflikte, da sich der Verlauf des Inns<br />

immer wieder veränderte. Einmal leitete<br />

diese Seite, einmal die andere den Fluss<br />

um“, schildert Nießner. „Der Bau von<br />

Wurfarchen war den Gemeinden zwar<br />

verboten, fand aber statt. Und waren sie<br />

einmal gebaut, hatten sie große Auswirkungen<br />

und waren nicht so leicht rückzubauen“,<br />

erklärt der Historiker. Insofern,<br />

so Nießner, war der Inn schon zu<br />

Ranggers Zeiten nicht mehr durchgehend<br />

naturbelassen: „Wurfarchen trugen zum<br />

Mäandern des Inns bei. Auch bei Brücken<br />

musste das Flussbett verengt werden.“<br />

Stellen hingegen, an denen Wildbäche<br />

in den Inn mündeten und viel Geschiebe<br />

einbrachten, mussten immer wieder verbreitert<br />

werden. „Dort, wo der Vomper<br />

Bach und der Pillbach in den Inn fließen,<br />

halbierte sich die Flussbreite durch das<br />

Geschiebe, was die Fließgeschwindigkeit<br />

erhöhte und für die Schifffahrt problematisch<br />

war“, erzählt Nießner.<br />

Überschwemmungen<br />

Doch Oberarcheninspektor Rangger<br />

hatte nicht nur die Schifffahrt im Auge.<br />

Auf den 120 Flusskilometern zwischen<br />

Pettnau und Bayern wollte er 450 Hektar<br />

„öder Gründe“ in landwirtschaftlich<br />

nutzbare Fläche verwandeln. „Die Steigerung<br />

des Anbaus war ein zentrales Motiv“,<br />

sagt Nießner, war Tirol, das sich aufgrund<br />

klimatischer und geografischer Bedingungen<br />

nicht selbst versorgen konnte,<br />

doch auf Importe angewiesen. Weiters<br />

erhoffte sich die Wasserbaubehörde von<br />

der Eindämmung des Inns einen verbesserten<br />

Schutz gegen Hochwasser. Wobei<br />

ein Blick auf die Hochwasserereignisse<br />

der damaligen Zeit zeigt, dass viele erst<br />

durch die Nutzung des Flusses, durch<br />

gebaute Infrastrukturen und intensiven<br />

Holzschlag zur Katastrophe führten. In<br />

Inns bruck kam es 1749, 1762, 1772, 1776<br />

und 1789 zu schweren Überschwemmungen<br />

mit zahlreichen Toten. Der Inn führte<br />

zu dieser Zeit dermaßen viel Wasser, dass<br />

er den „ärarischen Holzplatz“ (wo sich<br />

heute die Universitätsgebäude am Innrain<br />

befinden) überschwemmte und das<br />

dort gelagerte Bau- und Brennholz mit<br />

sich riss. Das Holz verkeilte sich an der<br />

Innbrücke, als Folge stand die Innenstadt<br />

unter Wasser.<br />

Anteil an Hochwasserereignissen hatten<br />

aber auch Wildbäche. Diese führten,<br />

so der Eindruck der Zeitgenossen, immer<br />

mehr Geschiebe in den Inn, was zu einer<br />

Erhöhung des Flussbetts und daher zu<br />

Überschwemmungen führte. Dass dies<br />

auch mit menschlichen Handlungen zu<br />

tun hatte, wusste bereits Rangger sehr<br />

genau. Wegen des Holzschlags an steilen<br />

Berghängen in den Seitentälern kam<br />

es vermehrt zu Muren und Geschiebe,<br />

PROFIL einer frei im Wasser stehenden<br />

Arche „ohne Rücken“, d. h. ohne Uferböschung<br />

(Oberarcheninspektor Gottlieb<br />

Samuel Besser, 1783).<br />

das über die Wildbäche schließlich im<br />

Inn landete. Als Lösung für dieses Problem<br />

sah Rangger die Begradigung des<br />

Flusses. Denn durch die erhöhte Fließgeschwindigkeit<br />

hätte der Inn mehr Sediment<br />

abtransportieren können.<br />

Franz Anton Rangger sollte die Melioration<br />

des Inns nicht mehr erleben – die<br />

weitgehende Begradigung erfolgte erst<br />

im Laufe des 19. Jahrhunderts. Doch als<br />

der Inn endlich durchgehend schifffahrtstauglich<br />

war, eroberte die Eisenbahn Tirol.<br />

Für ihre Streckenführung waren weitere<br />

Flussregulierungen und -verbauungen<br />

notwendig. So wie für jene der Inntalautobahn<br />

im 20. Jahrhundert. Der heutige<br />

Verlauf des Inns ist folglich ein Abbild<br />

von Infrastruktur- und Transportprojekten<br />

dreier Jahrhunderte. ah<br />

REINHARD NIESSNER (*1988) studierte<br />

Geschichte sowie Kunst- und Kulturgeschichte<br />

an den Universitäten Augsburg,<br />

Salamanca und Montpellier. Seit 2017<br />

ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />

Institut für Geschichtswissenschaften und<br />

Europäische Ethnologie an der Universität<br />

Inns bruck.<br />

zukunft forschung <strong>02</strong>/23 17

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