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Zukunft Forschung 02/2023

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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RECHTSWISSENSCHAFT<br />

MATTHIAS KETTEMANN: „Wir hinterfragen<br />

demokratische Strukturen auf<br />

produktive Art und Weise.“<br />

REGROUP steht für Rebuilding governance<br />

and resilience out of the pandemic<br />

– übersetzt in etwa „Wiederaufbau von<br />

Regierungsfähigkeit und Resilienz nach<br />

der Pandemie“. Das über das Programm<br />

Horizon Europe geförderte EU-Projekt<br />

vereint unter der Führung der Rijksuniversiteit<br />

Groningen (NL) 13 Partner aus elf<br />

Ländern, darunter das Institut für Theorie<br />

und <strong>Zukunft</strong> des Rechts an der Universität<br />

Inns bruck. Die Projektdauer von<br />

REGROUP beträgt drei Jahre, Projektstart<br />

war im September 2<strong>02</strong>2. Die gesamte<br />

Fördersumme für REGROUP beläuft sich<br />

auf rund drei Millionen Euro.<br />

Kettemann und seine Projektmitarbeiterin<br />

Caroline Böck konzentrieren sich in<br />

ihrem Arbeitspaket auf die Nutzung von<br />

digitalen Tools und Plattformen.<br />

„Der erste Teil von REGROUP war eine<br />

Art Bestandsaufnahme in mehreren Ländern“,<br />

berichtet Caroline Böck. Welche<br />

(verfassungs-)rechtlichen Maßnahmen<br />

wurden getroffen, wie kam es zu Entscheidungen,<br />

gab es Machtverschiebungen<br />

zwischen Regierung und Parlament? Dabei<br />

zeigte sich, so Böck, dass Parlamente<br />

aufgrund von Ausgangs- oder Versammlungsbestimmungen<br />

zeitweise gar nicht<br />

arbeitsfähig waren. „Online-Plenarsitzungen<br />

oder -Ausschüsse sind in den Verfassungen<br />

aber nicht vorgesehen“, erläutert<br />

Böck: „Im Fall einer erneuten Gesundheitskrise<br />

mit Ansteckungsgefahr wäre<br />

daher eine juristisch sattelfeste Adaption<br />

notwendig.“ Ein „digitales Update für bestehendes<br />

Recht“ nennt Kettemann daher<br />

einen ersten Schritt, der sicherstellen soll,<br />

dass zukünftige Rechtsetzungsprozesse<br />

digitaler und somit auch resilienter sind.<br />

In einem nächsten Schritt soll bei Entscheidungsfindungen<br />

die Rückbindung an die<br />

Gesellschaft verbessert werden.<br />

„Zu Beginn der Pandemie<br />

waren viele Parlamente gar<br />

nicht arbeitsfähig. Online-<br />

Plenarsitzungen oder Online-Ausschüsse<br />

sind in den<br />

Verfassungen nicht vorgesehen.“<br />

Caroline Böck, Institut für Theorie und <strong>Zukunft</strong> des Rechts<br />

Innovationspotenziale<br />

Neben der Analyse und dem Vergleich<br />

von konkreten Maßnahmen und Entscheidungsfindungen<br />

setzt man bei<br />

REGROUP daher auch auf sogenannte<br />

Mini-Publics, Versammlungen von 20<br />

bis 100 per Los ausgewählten Menschen,<br />

die, erklärt Kettemann, „über politische<br />

Sachverhalte informiert werden, gemeinsam<br />

darüber diskutieren, entscheiden<br />

und die Ergebnisse der Politik als Handlungsempfehlungen<br />

übergeben“. Im Fall<br />

von REGROUP wurde zum Beispiel in<br />

Mini-Publics in Paris, Hamburg, Utrecht,<br />

Florenz und Krakau sowie in einem<br />

transnationalen „Format“ über die Auswirkungen<br />

der COVID-19-Krise und den<br />

Einfluss von Fake News auf das politische<br />

Vertrauen diskutiert. Ziel waren Empfehlungen,<br />

wie Governance und politisches<br />

Vertrauen nach einer durch Fake News<br />

geprägten Pandemie effektiv und demokratisch<br />

verbessert werden können.<br />

„Mini-Publics – ob im echten oder virtuellen<br />

Raum – sind eine Art Demokratielabor,<br />

die es ermöglichen, spannende<br />

Fragen zu stellen“, sagt Kettemann.<br />

Ähnlich interessant sei das Modell der<br />

Beiräte, mit dem in mehreren Ländern –<br />

in Österreich etwa mit dem Klimabeirat<br />

– experimentiert wird, das aber auch auf<br />

digitalen Plattformen wie z. B. mit dem<br />

Oversight Board bei Facebook Anwendung<br />

findet. „Es gibt unterschiedliche<br />

Innovationswege für demokratische Prozesse“,<br />

sind sich Böck und Kettemann einig.<br />

„Unser heutiges Verständnis von repräsentativer<br />

Demokratie beruht auf Annahmen,<br />

die nicht mehr zutreffen“, sind<br />

die Forscher:innen überzeugt. Im Gegensatz<br />

zu früher, als etwa „Abgeordnete in<br />

der weit entfernten Hauptstadt nur mit<br />

großem Zeitaufwand mit den Wähler:innen<br />

zu Hause kommunizieren konnten,<br />

ist heute eine Kommunikation in Echtzeit<br />

möglich.“ Man müsse nur überlegen,<br />

wie. Demokratie-Apps oder die Möglichkeit,<br />

via Smartphone an Entscheidungen<br />

teilzuhaben, wären Modelle, die geprüft<br />

werden. Die Ergebnisse sollen als Policy<br />

Recommendations der EU und ihren Mitgliedstaaten<br />

helfen, digitale Werkzeuge<br />

und Strategien zu entwickeln, um zukünftige<br />

Risiken zu vermeiden bzw. zu<br />

mindern und die gesellschaftliche und<br />

demokratische Widerstandsfähigkeit im<br />

Post-Pandemie-Europa zu verbessern.<br />

„Wir hinterfragen demokratische<br />

Strukturen auf produktive Art und Weise.<br />

Wir haben heute so viele digitale<br />

Möglichkeiten der Kommunikation, mit<br />

denen die demokratische Rückbindung<br />

optimiert werden könnte“, halten Böck<br />

und Kettemann fest. Als Forscher:innen<br />

am 2019 gegründeten Institut für Theorie<br />

und <strong>Zukunft</strong> des Rechts sehen sie es als<br />

ihre Aufgabe, „heute an der Art und Weise,<br />

wie wir Entscheidungen treffen, zu<br />

arbeiten, damit auch nächste Generationen<br />

gute Entscheidungen treffen können<br />

und sich nicht von der Demokratie abwenden.“<br />

ah<br />

zukunft forschung <strong>02</strong>/23 43

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