Zukunft Forschung 02/2023
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
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GEOLOGIE<br />
nach wie vor weiter nach Norden. Das<br />
Südalpin, ein bisher kaum an der Gebirgsbildung<br />
beteiligter und deshalb steifer Teil<br />
der Adriatischen Platte, drückt sich dabei<br />
in die relativ weichen nördlichen Alpen.<br />
Vor allem der östliche Teil des Südalpins,<br />
die Dolomiten, übernehmen die Rolle des<br />
Indenters, des „Eindrückers“.<br />
Um diesen jüngsten Teil der Alpengeschichte<br />
zu erforschen, wendet Pomellas<br />
Arbeitsgruppe eine Kombination aus verschiedenen<br />
Methoden an. An erster Stelle<br />
steht, wie in der Geologie üblich, die<br />
Auf Spaltspuren<br />
Die gesammelten Proben werden in aufwendigen<br />
Schritten im Labor aufbereitet,<br />
um darin eingeschlossene Kristalle zu<br />
gewinnen. Vor allem die Kristalle Zirkon<br />
und Apatit sind für die Spaltspurmethode<br />
interessant, an der der Dissertant Thomas<br />
Klotz arbeitet.<br />
Wie in vielen natürlichen Kristallen<br />
ist in Zirkon und Apatit Uran enthalten.<br />
Dieses zerfällt im Laufe der Zeit und bildet<br />
Alphateilchen, die mit hoher Energie<br />
durch den Kristall schießen. Dadurch<br />
wird der Kristall beschädigt und es entsteht<br />
ein winziger Riss, eine sogenannte<br />
Spaltspur. Wenn der Kristall entsprechend<br />
aufbereitet wurde, können diese Risse<br />
unter dem Mikroskop beobachtet und gezählt<br />
werden. Dadurch lässt sich ableiten,<br />
wie viele Uranatome im Kristall seit seiner<br />
Schließtemperatur bereits zerfallen sind.<br />
„Ab einer gewissen Temperatur gilt ein<br />
Kristall als geschlossen. Das heißt, dass<br />
seine Struktur dann fest und der Kristall<br />
nicht mehr in der Lage ist, die Spaltspuren<br />
zu verheilen“, erklärt Pomella. „Mit der<br />
Methode lässt sich bestimmen, vor wie<br />
viel Zeit er seine Schließtemperatur unterschritten<br />
hat. Bei Zirkon liegt diese bei<br />
ungefähr 200 °C, bei Apatit sind es 100 °C.<br />
Anhand einer weiteren Methode messen<br />
wir, wie Helium aus Apatit-Kristallen diffundiert.<br />
Hier liegt die Schließtemperatur<br />
bei 60 °C.“<br />
Durch diese drei Temperaturen lässt<br />
sich nachverfolgen, in welcher Tiefe sich<br />
der jeweilige Kristall zu einer bestimmten<br />
Zeit in der Erdkruste befand – dank<br />
des geothermischen Gradienten. Unter<br />
der Erdoberfläche nimmt die Temperatur<br />
konstant zu, ungefähr 30 °C pro Kilometer.<br />
Für eine im Gebirge gesammelte Gesteinsprobe,<br />
die Zirkon und Apatit enthält, kann<br />
also ein Pfad durch die Erdkruste bis an<br />
die Oberfläche modelliert werden, da<br />
nachverfolgt werden kann, wann die Umgebungstemperatur<br />
200, 100 oder 60 °C<br />
betragen hat. Werden Gesteinsproben von<br />
beiden Seiten einer Verwerfungszone genommen,<br />
also genau dort, wo sich Platten<br />
oder Gesteinspakete übereinander schieben,<br />
so lässt sich die Hebung von Gesteinen<br />
im Verhältnis zueinander beobachten.<br />
IM SPALTSPURLABOR werden die vorbereiteten Kristalle unter dem Mikroskop bei<br />
1.000-facher Vergrößerung begutachtet und die Spaltspuren ausgewertet.<br />
HANNAH POMELLAS wissenschaftlicher<br />
Blick gilt den Alpen.<br />
Exkursion ins Feld und die Suche nach<br />
geeigneten Gesteinsproben in den Bergen.<br />
Dabei geht es oftmals in eher unerforschtes<br />
und abgelegenes Gelände, denn<br />
es wurde lange davon ausgegangen, dass<br />
eine Untersuchung der internen Verformung<br />
des Dolomiten-Indenters nicht viel<br />
zum Verständnis der Alpenbildung beitragen<br />
kann.<br />
Modelle zusammenschieben<br />
Zu den gewonnenen Abkühldaten kommen<br />
Analogmodelle wie der bereits erwähnte<br />
Sandkasten hinzu, an dem die<br />
Dissertantin Anna-Katharina Sieberer arbeitet.<br />
Bei den analogen Experimenten mit<br />
Sand und Silikon stellen verschieden farbige<br />
Sandlagen verschiedene Gesteine der<br />
Erdkruste dar, die, penibel auf den Labormaßstab<br />
skaliert, im offenen Kasten verteilt<br />
werden. Die Verformung der Schichten<br />
modellieren die Forscher:innen durch<br />
mehrere Phasen des Auseinanderziehens<br />
und Zusammenschiebens in unterschiedliche<br />
Richtungen und vergleichen diese<br />
mit tatsächlich in den Alpen beobachteten<br />
tektonischen Prozessen. Daraus können sie<br />
ableiten, wie das Zusammenschieben der<br />
Platten zeitlich und räumlich verlaufen<br />
sein könnte. „Diese zwei Methoden werden<br />
kombiniert“, sagt Pomella. „Was wir<br />
im analogen Experiment modelliert haben,<br />
können wir gemeinsam mit den Abkühldaten<br />
auf die Natur übertragen. Warum,<br />
wo und in welche Richtung sich ein Stein<br />
hebt, das beantworten die Analogmodelle<br />
und die Arbeit im Gelände. Wann, in welcher<br />
Höhe und in welcher Reihenfolge das<br />
geschieht, schließen wir aus unseren Abkühldaten.<br />
Aus den verschiedenen Abkühlpfaden<br />
und den Analogmodellen eine<br />
geologische Geschichte auszulesen – an<br />
dieser Aufgabe sitzen wir gerade. Und sie<br />
erfordert ordentlich Hirnschmalz.“ fo<br />
zukunft forschung <strong>02</strong>/23 31