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WIKO 2024 – Das Wirtschaftsmagazin für Altmühlfranken

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

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zum Nacharbeiten“, erinnert sie sich.<br />

Sie lächelt, und sagt dann: „Ich war natürlich<br />

so schnell, dass ich mir Freizeit<br />

ausgearbeitet hatte, ich hab' nicht mehr<br />

gearbeitet, als ich musste, und die Freizeit<br />

habe ich dann <strong>für</strong> meine Familie<br />

verwendet.“<br />

Johanna Engel verdient damals das<br />

gleiche Gehalt wie die Mitarbeiter, die<br />

regulär in der Firma arbeiten. Für sie<br />

keine Selbstverständlichkeit: „Ich bin<br />

gut über die Runden gekommen. Dabei<br />

wurde Heimarbeit im Allgemeinen<br />

schlechter bezahlt“, erinnert sie sich.<br />

Heute sagen ihr ihre Kinder, dass sie<br />

eine gute Kindheit hatten. Engel ist<br />

das das Wichtigste. „Manchmal war<br />

nur noch Geld <strong>für</strong> einen Liter Milch<br />

im Geldbeutel. Aber ich habe es geschafft“,<br />

sagt sie.<br />

Die 1970er-Jahre sind ein Jahrzehnt<br />

des Aufschwungs. Noch ist kein Seenlandtourismus<br />

in Sicht, stattdessen stehen<br />

die Eingemeindungen einiger umliegenden<br />

Dörfer bevor. An die 11 000<br />

Menschen leben in Gunzenhausen<br />

und es werden stetig mehr. Der Wohlstand<br />

ist auf dem Vormarsch, das Wirtschaftswunder<br />

auch in der fränkischen<br />

Kleinstadt spürbar.<br />

Über 50 Wirtschaften gibt es zu dieser<br />

Zeit im Ort, mehrere Brauereien, und<br />

in den Kneipen wird zu den Beatles<br />

und zu deutschem Schlager getanzt.<br />

Simon & Garfunkel und Howard Cargewerbebesitzer<br />

der Stadt auf ihn aufmerksam.<br />

Haas wird in den Kreis derer<br />

aufgenommen, die seine wichtigsten<br />

Kunden sind. Er frisiert sie fortan alle.<br />

1970 kauft er sich sein erstes eigenes<br />

Auto <strong>–</strong> nach acht Jahren im Geschäft<br />

hat er das Geld beisammen. Es ist ein<br />

Opel Rekord Coupé, rote Sitze, silbermetallic.<br />

Er kennt den Händler und<br />

zahlt ihm 8000 Mark in bar auf die<br />

Hand. Haas ist spätestens jetzt im Geschäftsleben<br />

angekommen. Manchmal<br />

gibt es fortan Ärger, wenn die Geschäftsleute<br />

meinen, sie könnten früher<br />

frisiert werden als andere. Aber<br />

Haas behandelt alle gleich <strong>–</strong> wer zuerst<br />

kommt, wird zuerst geschnitten, egal<br />

ob er der Bürgermeister ist oder nicht.<br />

„Die Leut' haben mich gemocht und<br />

ich hab' die Leut' gemocht“, fasst er<br />

Tag geöffnet. Seine Kunden kommen<br />

nach oder zwischen der Arbeit bei ihm<br />

am Lutherplatz vorbei, setzen sich und<br />

warten, bis sie drangenommen werden.<br />

Haas sorgt da<strong>für</strong>, dass immer ein<br />

Kasten Bier vorrätig ist. Als Friseur,<br />

schmunzelt er, hat er immer alles zuerst<br />

gewusst, was in der Stadt vor sich<br />

ging. „Abends saßen manchmal sechs<br />

bis acht Männer bei mir herum und haben<br />

sich unterhalten. Wie in der Kneipe<br />

hocken, nur, dass das Bier umsonst<br />

war. Es waren andere Zeiten.“<br />

Es sind die 1980er-Jahre in der Stadt.<br />

Dauerwellen und toupiertes Haar<br />

bei den Damen, Vokuhila und Oberlippenbärte<br />

bei den Herren. Vor den<br />

Toren der Stadt wird seit 1976 der Altmühlsee<br />

ausgehoben. Bis 1984 dauert<br />

das und kostet den Freistaat 107 Millionen<br />

Mark. Erwin Haas‘ Salon ist<br />

„Sonntagfrüh um<br />

sechs stand eine echte<br />

Lebedame vor meiner<br />

Haustür„<br />

pendale sind in den Top-Charts der<br />

Republik. Es ist eine Zeit, die viele<br />

Menschen als lebensfroh und bunt bezeichnen,<br />

und eine Zeit, die heute gerne<br />

verklärt wird.<br />

Fünf Friseursalons gibt es in Gunzenhausen,<br />

heute sind es 13. Erwin Haas<br />

befolgt eines Abends den Rat seines<br />

ehemaligen Chefs und setzt sich in der<br />

Kneipe an den Stammtisch der Wichtigen.<br />

Der Wirt empfängt ihn und seine<br />

Frau Marga mit offenen Armen, bietet<br />

ihnen das Du an und bringt ihnen<br />

sehr gute Schnitzel an den Tisch. So<br />

werden die Unternehmer und Klein-<br />

Erwin Haas Ende der 1970er-Jahre als junger Friseur. Noch heute hängt genau dieses<br />

Foto im Salon am Lutherplatz, den mittlerweile sein Sohn Michael betreibt.<br />

zusammen, es ist ganz einfach <strong>für</strong><br />

ihn. Für Geschichten sorgen die Geschäftsleute<br />

mit ihren Extrawünschen<br />

allemal. „Einmal wurde ich am Sonntagfrüh<br />

um sechs von der Klingel geweckt<br />

und draußen stand eine Kundin<br />

von mir, eine echte Lebedame war die,<br />

und sagt, sie müsse auf München und<br />

brauche eine Frisur. Da hab' ich schon<br />

sagen müssen, das ist nicht so gut, wir<br />

sind doch spät vom Tanzen heimgekommen,<br />

um drei oder vier Uhr. Aber<br />

dann zieht die auf einmal einen Zwanziger<br />

raus aus ihrer Tasche und sagt,<br />

das stimmt so. Na, dann hab' ich lieber<br />

nichts mehr gesagt.“ Er lacht.<br />

Ein Friseurbesuch sieht zu dieser Zeit<br />

anders aus als heute, erzählt Haas und<br />

dreht dabei seine alte Visitenkarte, die<br />

er in einem Fotoalbum gefunden hat,<br />

in seiner Hand umher. In den 60er-,<br />

70er- und 80er-Jahren ist der Spezialherrensalon<br />

Erwin Haas den ganzen<br />

im Gunzenhäuser Geschäftsleben seit<br />

mehr als zehn Jahren eine Institution.<br />

Ihn nennen alle nur noch den Hoosaboder,<br />

das leitet sich vom Namen seines<br />

Vaters ab.<br />

Der Name blieb und steht noch heute<br />

in unauffälligen, mattweißen Lettern<br />

über dem Schaufenster des Salons geschrieben,<br />

den heute Haas‘ Sohn betreibt.<br />

In dieser Zeit bekommt Erwin<br />

Haas immer mehr Kunden, die er kaum<br />

alle frisieren kann, besonders, als seine<br />

Angestellten das Schwächeln beginnen:<br />

Einer wechselt zur Bahn, ein anderer<br />

trinkt zu viel. Für eine kurze Zeit<br />

steht er allein da und macht sich große<br />

Sorgen. Dann hilft ihm seine Frau<br />

Marga im Herrensalon. Im Geschäft<br />

steht Haas ab acht Uhr morgens, Feierabend<br />

ist nach dem Putzen meist gegen<br />

19 Uhr. Eine Stunde macht er Mittagspause,<br />

aber die langen Arbeitstage sind<br />

gesetzt. „Da hat es keine Diskussion<br />

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<strong>WIKO</strong> Ausgabe <strong>2024</strong>

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