Work-Life-Was?! Von Jan Stephan 6 <strong>WIKO</strong> Ausgabe <strong>2024</strong>
Was bedeutet Arbeit heute? Sind die Trends der Zeit auf dem Land angekommen? Und gehen uns jetzt eigentlich die Arbeit oder doch die Arbeiter aus? Eine Reise durch die altmühlfränkische Arbeitswelt mit sehr unterschiedlichen Begegnungen. „Also sonntags“, sagt Andreas Nehmeier und schaut einem mit dem klaren Blick einer Offenbarung in die Augen, „sonntags, da mach' ich wirklich nichts.“ Andreas Nehmeier ist Bauer und diese Sache ist ihm wichtig. „Man ist als Mensch nicht da<strong>für</strong> gebaut, dass man nur arbeitet.“ Da müsse man aufpassen, in der Landwirtschaft würde es mit der Arbeit oft übertrieben, sagt der fünffache Familienvater. „Arbeit <strong>–</strong> es gibt wenig Begriffe, an denen derzeit mit größerem Eifer aus unterschiedlichen Richtungen gezerrt wird„ Arbeit <strong>–</strong> es gibt wenig Begriffe, an denen derzeit mit größerem Eifer aus unterschiedlichen Richtungen gezerrt wird. Volkswirtschaftler sagen, uns gehen die Arbeiter aus. Zukunftsforscher sagen, uns geht die Arbeit aus. Und auch gesellschaftlich ist man sich nicht einig. Ist Arbeit Fluch oder doch ein Segen? <strong>Das</strong>s mehr Menschen arbeiten, gilt als Erfolg <strong>–</strong> sich nur um Familie oder Angehörige zu kümmern, ist verdächtig geworden. Den Sinn im Sozialen-Privaten zu finden? Überholt. Auf der anderen Seite versucht eine junge Generation gerade die Dominanz der Arbeit auf ihr Leben abzuwehren. Den Sinn im Beruflichen zu finden? Überholt. Man ahnt schon: Die Sache ist kompliziert. Also beginnen wir unsere Reise durch die altmühlfränkische Arbeitslandschaft da, wo die Arbeit mehr oder weniger erfunden worden ist. Auf dem Bauernhof. Landwirt ist einer der ältesten Jobs der Menschheit. Also steht man nun an einem frühen Frühlingstag auf dem Bauernhof der Familie Nehmeier im Haundorfer Ortsteil Geislohe. „Ich bin da schon ein bisschen anders“, fährt Andreas Nehmeier mit seinem Exkurs in Sachen Arbeitshaltung fort. „Ich schau' wirklich, dass es auch mal Freizeit gibt.“ Offenbar keine Selbstverständlichkeit in bäuerlichen Kreisen. Nehmeier erzählt, wie er den Hof von seinem Vater übernommen hat. „Da habe ich ihm gesagt, er soll sich jetzt doch öfter mal ein Wochenende freinehmen“, lächelt der Junior. „Da hat er mich dann erst mal gefragt, was er denn da machen soll?“ Offenbar hat man in Andreas Nehmeier den Vertreter einer modernen Landwirtschafts-Work-Life-Balance vor sich. <strong>Das</strong> passt zum Thema, denkt man, und lässt sich die Sache mit der Freizeit und der Arbeit auf dem Hof genauer erklären. Also, wie ist das mit dem freien Sonntag? „Ja, da muss wirklich viel passieren, dass ich da irgendwas arbeite“, erzählt Nehmeier. „Gut, in den Stall muss ich in der Früh natürlich schon.“ Aber ab dann keine Verpflichtungen mehr, oder? „Na ja, abends wollen die Tiere natürlich auch gefüttert werden …“ Es stellt sich heraus, dass Nehmeiers freier Sonntag in den meisten anderen Arbeitswelten ein Arbeitstag plus Feiertagszuschlag wäre. Nirgendwo anders als in der Landwirtschaft wäre er jedenfalls ein Beleg <strong>für</strong> eine achtsame Ausbalancierung von Arbeit und Freizeit. Die meisten modernen Arbeitnehmer würden fünf Stunden wöchentlicher Sonntagsarbeit als Zumutung interpretieren. Sicherheitshalber geht man mit dem Geisloher Landwirt auch den Rest seiner Arbeitswoche durch. „Ich arbeite von 7 bis 12 Uhr, dann zwei Stunden Pause, und dann wieder von 14 bis 19 Uhr, im Sommer schon auch mal 20 Uhr, dann ist aber auch schon Schluss“, sagt er. Diese Arbeitszeit gilt <strong>für</strong> sechs Tage die Woche, plus Nehmeiers „freien Sonntag“. So kommt man auf eine wöchentliche Arbeitszeit von um die 70 Stunden. <strong>Das</strong> ist das Doppelte dessen, was die Lokführer gerade durchgekämpft haben. Und die IG Metall ist schon dabei, die Arbeitszeit weiter zu reduzieren <strong>–</strong> bei vollem Lohnausgleich. Hält man dem Landwirt das vor, zuckt er mit den Schultern. Nicht sein Thema. Er will nicht als Held der Arbeit dastehen, es zwingt ihn ja keiner. „Die Arbeitszeit ist absolut okay, ich will das auch so“, wiegelt er mit Blick auf seine Belastung ab. Seine Arbeit mache ihm Spaß, die ganze Familie sei auf dem Hof beschäftigt, man arbeite gemeinsam, man lebe zusammen. „Wenn wir abends am Esstisch sitzen, dann reden wir über den Hof und was sich da tut.“ Offenbar passt bei der Familie Nehmeier die Work-Life-Balance. Die Rechnung geht aber nur auf, weil bei ihnen so viel Life in ihrer Work steckt. Weil hier also Arbeit mit Familie und Privatem in großen Teilen zusammenfällt. Es ist ein sehr integriertes, ein sehr altes Verständnis von Arbeit. Eines, das heute nur unter außergewöhnlichen Bedingungen möglich ist, das aber eben offenbar auch zu dem führen kann, was alle in der Arbeit suchen: Zufriedenheit. Wobei sich die Frage stellt, ist das auch das Thema einer neuen, einer jungen Generation von Arbeitnehmern? Den Geburtsjahrgängen von 1995 bis 2010, die man unter dem Label Gen Z „Offenbar passt hier die Work-Life-Balance. Aber nur, weil so viel Life in ihrer Work steckt„ zusammenfasst, und die zuletzt wahlweise <strong>für</strong> die Rettung der Welt oder den Untergang der Arbeitsmoral herhalten mussten. Was wollen diese Jungen? „Die persönliche Sinnsuche rückt immer mehr in den Mittelpunkt“, sagt Duygu Bayramoglu, „aber sie findet halt nicht mehr auf der Arbeit statt.“ Die 34-Jährige ist in Weißenburg aufgewachsen, lebt in Augsburg, wo sie ihr eigenes Marketing-Unternehmen leitet. „Ich bin die Älteste in meinem Unternehmen, die Jüngste ist 19.“ Bayramoglu ist viel unterwegs. „Ich pendle zwischen Düsseldorf, Berlin, Mün- <strong>Wirtschaftsmagazin</strong> <strong>WIKO</strong> 7