literatur & film - Auslandsösterreicher-Weltbund
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schwerpunkt-thema<br />
Felder, Musil, Nabl, Stifter, Trakl sowie<br />
weitere große Schriftstellernamen wurden<br />
zu Paten für Literaturpreise erkoren und<br />
damit postum geehrt.<br />
Begehrte Auszeichnungen<br />
In der Konkurrenz um die Mediengunst<br />
führt mit weitem Abstand der Ingeborg-<br />
Bachmann-Preis der Stadt Klagenfurt, der<br />
gemeinsam mit dem ORF in dessen Landesstudio<br />
veranstaltet wird. Ende Juni jedes<br />
Jahres (seit 1977) präsentieren dort<br />
Autorinnen und Autoren aus dem ganzen<br />
deutschen Sprachraum unveröffentlichte<br />
Texte vor einer ebenso internationalen<br />
Jury. Der deutsche Literatur-„Papst“ Marcel<br />
Reich-Ranicki stand lange an der Spitze<br />
dieses Wettlesens, dem er ein Motto<br />
vorgab: „Es wird wieder erzählt.“<br />
Die Österreichische Industrie vergibt jährlich<br />
einen Anton-Wildgans-Preis. Thomas<br />
Bernhard war einer der Gewinner. Die<br />
Kunstförderungsabteilung der Bundesregierung<br />
finanziert einen Erich-Fried-Preis,<br />
einen Ernst-Jandl-Preis für Lyrik, einen<br />
Manès-Sperber-Preis sowie einen Reinhard-Priessnitz-Preis<br />
für experimentelle<br />
Schreibformen. Die Stadt Wien ehrt Lyriker<br />
mit einem H. C. Artmann-Preis. Das<br />
Land Oberösterreich hat seinen Adalbert-<br />
Stifter-Preis, Salzburg seinen Trakl-Preis,<br />
die Steiermark ihren Elias-Canetti-Preis,<br />
Graz seinen Nabl-Preis und Klosterneu-<br />
© beigestellt<br />
Gert Jonke, 1979: Im gleichen Jahr erschien<br />
„Der ferne Klang“ im Residenz Verlag.<br />
burg seinen Kafka-Preis. Die meisten dieser<br />
Ehrungen finden mit den üblichen<br />
Festredner-Ritualen statt. Zu den Preisfeiern<br />
im Namen Frieds und Jandls aber werden<br />
mehrtägige Treffen von Dichtern und<br />
Interpreten veranstaltet, in Wien beziehungsweise<br />
Neuberg an der Mürz. Ebenfalls<br />
ins Gebirge wie die Jandl-Tage lädt<br />
der ORF Salzburg nach Rauris zu alljährlichen<br />
Literaturtagen und zum Rauriser<br />
Literaturpreis. Den weitaus prestigeträchtigsten<br />
Literaturlorbeer vergibt die Deutsche<br />
Akademie für Sprache und Dichtung<br />
in Darmstadt, der auch angesehene österreichische<br />
Autoren angehören: den Georg-Büchner-Preis.<br />
Gewinner waren seit<br />
1970: Thomas Bernhard, Elias Canetti,<br />
Peter Handke, Manès Sperber, Ernst<br />
Jandl, Erich Fried, Albert Drach, H. C. Artmann,<br />
Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker,<br />
Josef Winkler und – heuer – der Salzburger<br />
Erzähler Walter Kappacher.<br />
Der österreichische Weg<br />
An den Berühmtheiten lässt sich leichter<br />
darstellen, dass Österreichs Literatur eigene<br />
Wege geht, denn keines der Lebenswerke<br />
dieser Büchnerpreisträger wäre im<br />
deutschen oder schweizerischen kulturellen<br />
Milieu vorstellbar. Mit gebotener Unschärfe<br />
lässt sich sagen: „Österreichisch“<br />
ist die unverstellte oder ironisch gebrochene<br />
Radikalität und die skeptisch mitgeschriebene<br />
Reflexion über die Sprache,<br />
Wirklichkeitserfahrung und Historie, es ist<br />
der Umgang mit dem Material Sprache wie<br />
mit Musik. Kleinmütige Leser regen sich<br />
über „Österreich-Beschimpfungen“ auf<br />
und verbannen Thomas Bernhard oder<br />
Elfriede Jelinek aus dem Bücherschrank.<br />
Auf die Frage „Gibt es eine österreichische<br />
Literatur?“ antwortete der Lyriker und Erzähler<br />
Julian Schutting mit einem verhaltenen<br />
Ja. Neben der Lyrik sei die psychologische<br />
Erzählung „eine unserer Stärken“,<br />
sagt Schutting. Und die Schwächen? „Das<br />
Selbstverliebte, die Verspieltheit, manch<br />
ästhetisch fauler Zauber, etwa pseudopoetische<br />
Arrangements aus heruntergekommenem<br />
Surrealismus; die Frivolität,<br />
mit der man mit Todernstem Scherz treibt;<br />
die oft angemaßte Ironie; der Zug ins<br />
Feuilletonistische, die vor Selbstkoketterie<br />
penetrante Verwendung von Austriazis-<br />
men, auch die Virtuosität mit wenig Substanz,<br />
ja und die Wichtigmacherei mit Wittgenstein,<br />
den dort, wo es ernst wird, kaum<br />
einer von uns lesen kann.“<br />
Österreichische Literatur will nicht nur in<br />
ihrer Heimat gehört werden. Sie könnte<br />
hundert Millionen deutschsprechende Leser<br />
erreichen. Aber schon Karl Kraus<br />
meinte, dass sich Deutschland und Österreich<br />
durch nichts so unterscheiden wie<br />
die gemeinsame Sprache. Bei der Suche<br />
nach dem Österreichischen in der Literatur<br />
marschiert die Wissenschaft, Spezialfach<br />
Neugermanistik, Hand in Hand mit der Literaturkritik.<br />
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten<br />
war die Idealisierung alles speziell<br />
Österreichischen verständliches und notwendiges<br />
Patriotenwerk.<br />
Österreichisches Deutsch<br />
Hans Weigel (1908–1991) hat im Exil in<br />
Basel die nationalsozialistische Menschenjagd<br />
und die Auslöschung Österreichs<br />
auf der politischen Landkarte überlebt.<br />
Kein anderer hat so beharrlich und<br />
charmant den Ungetreuen unter den<br />
Landsleuten ihr Österreich wieder beigebracht<br />
wie Weigel in seiner skeptischen<br />
Verklärung „Das tausendjährige Kind“<br />
(1965). Dabei war Weigel – wir verdanken<br />
ihm eine Nestroy-Renaissance und eine<br />
Übertragung der Molière-Lustspiele – kein<br />
rotweißroter Chauvinist. Das beweisen<br />
seine Bücher „Das Land der Deutschen<br />
mit der Seele suchend“ und „Lernt dieses<br />
Volk der Hirten kennen“.<br />
Der 1984 mit 40 verstorbene radikale<br />
Dichter Reinhard Priessnitz, ein Kleinschreiber,<br />
ätzte über die rückwärtsgewandten<br />
Selbstbespiegelungen: „die jeweils<br />
unbewältigte gegenwart führte zu<br />
einer glorifizierung des nicht-mehr-vorhandenen;<br />
der eskapismus aus der zeit mündete<br />
in repräsentationsproblemen, hohlem<br />
pathos und in jedem falle in informationsbeschränkung<br />
über alles als subversiv<br />
verdächtigte.“ Die damals üblichen Verdächtigen<br />
setzten sich mit Kämpfen und<br />
Krämpfen als neue Avantgarde durch: die<br />
„Wiener Gruppe“ (H. C. Artmann, Konrad<br />
Bayer, Gerhard Rühm, Friedrich Achleitner),<br />
Thomas Bernhard, Ernst Jandl, Friederike<br />
Mayröcker und bald auch die zehn<br />
Jahre Jüngeren – Peter Handke, Wolfgang<br />
14 www.weltbund.at ROTWEISSROT