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literatur & film - Auslandsösterreicher-Weltbund

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Bauer, Barbara Frischmuth, Gert Jonke,<br />

Peter Turrini, Gerhard Roth. Den heute<br />

Jungen steht keine engherzige Kulturverwaltung<br />

wie in den Wiederaufbaujahren<br />

entgegen, nein, die „Kulturschaffenden“<br />

(so das unhübsche Wort, das ihre Funktionäre<br />

im Mund führen) werden freundlich,<br />

wenn auch nicht reichlich aus der Subventionsgießkanne<br />

bedacht. Sie leiden<br />

mehr an der Interesselosigkeit als unter<br />

ihren materiellen Sorgen. Denn in den<br />

70er, 80er Jahren war das neue Buch<br />

eines bekannteren österreichischen Autors<br />

noch Gesprächsrepertoire bei bürgerlichen<br />

Abendessen. Das Reden über Literatur<br />

hat sich in die Universitätsseminare<br />

und ins Kulturradioprogramm Ö1 zurückgezogen.<br />

Der österreichische Tonfall im Sprechen<br />

verflüchtigt sich mit der Zunahme deutscher<br />

Kanäle im TV-Kabelnetz. Als Österreich<br />

1995 in die Europäische Union aufgenommen<br />

wurde, bekam die österreichische<br />

Sprache im Protokoll Nr. 10 ihre<br />

Eigenheit bestätigt. 23 Begriffe, von Beiried<br />

(Roastbeef) bis Weichseln (Sauerkirschen),<br />

wurden als Beispiele ausdrücklich<br />

„Mein Vaterland ist Österreich.<br />

Meine Muttersprache ist Deutsch.“<br />

Ernst Jandl<br />

festgeschrieben. Und selbstverständlich<br />

„Obers“ statt Sahne. Über die „Sahnefront“,<br />

an der in Touristenparadiesen wie<br />

Kitzbühel oder Salzburg das Obers in die<br />

Speisekarten verordnet wird, machte sich<br />

schon 1985 Michael Scharang in einem<br />

Gedicht lustig: „Ist / wie Sie reden /<br />

deutsch? / Wir jedenfalls / reden anders. /<br />

Statt Erdäpfel pflegen Schlagobers / wir zu<br />

sagen / statt Karotten / Paradeiser nämlich“.<br />

Ernst Jandl (1925–2000) hat dieses<br />

Selbstverständnis auf den Punkt gebracht:<br />

„Mein Vaterland ist Österreich. Meine Muttersprache<br />

ist Deutsch.“<br />

Orientierungspunkte<br />

Inzwischen schlägt das Pendel in die andere<br />

Richtung aus. 2004 kam aus der Literaturszene<br />

(Marlene Streeruwitz, Robert<br />

Schindel, Peter Henisch, Christian Ide<br />

Hintze) die Forderung, dass die in der Verfassung<br />

verankerte Formulierung „Die<br />

Staatssprache ist Deutsch“ ersetzt wird<br />

durch „Die Staatssprache ist Österreichisch<br />

in einem europäischen Kontext“<br />

oder „Die Staatssprache ist Österreichisches<br />

Deutsch ...“ oder „die Staatssprachen<br />

Deutsch und Österreichisch“.<br />

Alle Aktionen zur Bewahrung österreichischer<br />

Sprachbesonderheiten können<br />

nur von Randgruppen kommen.<br />

Für die Sprache im Land Österreich haben<br />

sich kleingeistige Schulinspektoren zuständig<br />

gemacht. Eine Institution mit dem<br />

Ansehen einer Académie française (Paris)<br />

oder einer Accademia della crusca<br />

(Florenz) fehlt – obwohl an der Gründung<br />

der Österreichischen Akademie der<br />

Wissenschaften auch Franz Grillparzer<br />

beteiligt war.<br />

Das Wesen, die differentia specifica der<br />

österreichischen Literatur, wird unentwegt<br />

in Seminaren und Symposien durchgekaut.<br />

Als sich Elias Canetti (geboren 1905<br />

als türkischer Staatsbürger in Bulgarien,<br />

gestorben 1994 als Engländer in der<br />

Schweiz) im Jahr 1981 für den Nobelpreis<br />

bedankte, nannte er das Viergestirn Karl<br />

Kraus, Franz Kafka, Robert Musil und Hermann<br />

Broch als Orientierungspunkte und<br />

ROTWEISSROT www.weltbund.at<br />

© beigestellt<br />

Friederike Mayröcker und Ernst Jandl in Deinzendorf, Niederösterreich.<br />

schwerpunkt-thema<br />

man verstand das als Bekenntnis zur österreichischen<br />

Literatur. 2004 schickte<br />

Elfriede Jelinek nur ein Video zur Nobelpreisfeier<br />

nach Stockholm. Ihre Selbstdarstellung<br />

macht bange: „Wenn man im Abseits<br />

steht, muß man immer bereit sein,<br />

noch ein Stück und noch ein Stück zur Seite<br />

zu springen, ins Nichts, das gleich neben<br />

dem Abseits liegt.“ Über die Sprache<br />

sagte sie, sie sei deren „Gefangene“. Ist<br />

die ganze Literatur in Österreich gefangen<br />

im Abseits? Nein. Doch im Zentrum der<br />

Teilhabe an der Kultur steht sie nicht. �<br />

Zur Person<br />

Prof. Dr. Hans Haider<br />

ist Theater- und Literaturkritiker,langjähriger<br />

Leiter des<br />

Kulturressorts der Tageszeitung<br />

„Die Presse“,<br />

seit 2008 freier<br />

Publizist („Wiener Zeitung“). Herausgeber<br />

zahlreicher Bücher, u. a. von H. C. Artmann,<br />

Barbara Frischmuth, Norbert C.<br />

Kaser und der Autobiographie des Kunst-<br />

sammlers Serge Sabarsky. Geb. 1946 in<br />

Innsbruck, seit 1965 in Wien.<br />

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