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Prudens Bewohner - Siebenbuerger.de

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Himmelreich. Und <strong>de</strong>r Wechsel war so schnell vonstatten gegangen. Vor kaum zwei<br />

Wochen grub ich noch fieberhaft mit einer Spitzhacke in erstarrtem Bo<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r einst<br />

ein Garten gewesen sein musste, um irgen<strong>de</strong>twas Essbares zu fin<strong>de</strong>n. Nach einer<br />

halben Stun<strong>de</strong> hatte ich eine Handvoll kleiner stinken<strong>de</strong>r Kartoffeln, die ich ohne viel<br />

daran zu putzen verschlang, mit Stumpf und Stiel. Jetzt gab es zu essen, Wärme, Ruhe;<br />

es kam mir vor wie im Traum. Und doch gab es so viele grausame Erinnerungen, die<br />

uns an dieser neuen Realität zweifeln ließen. Mit mir waren einige Überleben<strong>de</strong> aus<br />

meiner eigenen Division, die ursprünglich aus 60.000 Mann bestan<strong>de</strong>n hatte. Nur ganz<br />

wenige haben überlebt. Die an<strong>de</strong>ren fielen, wur<strong>de</strong>n gefangen genommen, waren<br />

vermisst o<strong>de</strong>r, was am schlimmsten war, sie befan<strong>de</strong>n sich noch immer an <strong>de</strong>r Front.<br />

Am 2. Januar 1943 erlebten wir eine große Überraschung, was uns sehr erfreute: es<br />

kam königlicher Besuch. König Michael, seine Mutter, Königin Maria und <strong>de</strong>r<br />

Ministerpräsi<strong>de</strong>nt, General Antonescu, gingen durch einige Krankenstationen und<br />

sprachen kurz mit einigen von uns. Königin Maria fragte mich, woran ich lei<strong>de</strong> und wie<br />

<strong>de</strong>r Heilungsprozess verlaufe. Auch wünschte sie mir viel Glück zum Neuen Jahr. Sie<br />

war eine sehr schöne Frau und ich war sehr stolz, dass ich mit ihr hatte sprechen dürfen.<br />

Danach erhielten wir von <strong>de</strong>r königlichen Familie Päckchen mit Kuchen, Schokola<strong>de</strong><br />

und Zigaretten. Dies war ein <strong>de</strong>nkwürdiger und bewegen<strong>de</strong>r Tag.<br />

Am 9. Januar erhielt ich 1.000 Lei und für drei Monate eine Nachzahlung, was nicht<br />

viel war, <strong>de</strong>nn pro Tag erhielten wir nur zwei Lei, Preis von zehn Zigaretten. Dann<br />

durfte ich für 35 Tage in <strong>de</strong>n Krankenurlaub nach Hause fahren. Ich verließ das<br />

Krankenhaus und ging auf Krücken, meine Füße in schweren Verbän<strong>de</strong>n. Mein Herz<br />

war ernsthaft erweitert und man sagt mir, dass mich die kleinste Anstrengung das<br />

Leben kosten wür<strong>de</strong>. Der Zug verließ Jassy um 10:30 Uhr und ich kam in<br />

Elisabethstadt um 5:30 Uhr am an<strong>de</strong>ren Morgen, <strong>de</strong>m 10. Januar an. Ich wartete eine<br />

Stun<strong>de</strong> am Bahnhof. Dann telefonierte ich mit <strong>de</strong>m Arbeitgeber meines Bru<strong>de</strong>rs, <strong>de</strong>m<br />

Schnei<strong>de</strong>r und ich fragte ihn, ob er von Prudnern was wisse, die heute in die Stadt<br />

kämen und mich mitnehmen könnten. Sofort kam Schnei<strong>de</strong>r selber zum Bahnhof und<br />

brachte mich nach Hause nach Pru<strong>de</strong>n.<br />

Ich hatte meinen Eltern von Jassy eine Postkarte geschickt und ihnen mitgeteilt, dass<br />

ich bald bei ihnen sein wer<strong>de</strong>. Mein Vater erblickte mich als Erster. Er war gera<strong>de</strong> ins<br />

Haus gegangen, nach<strong>de</strong>m er das Vieh gefüttert hatte, als er vor <strong>de</strong>m Tor einen Wagen<br />

hörte. Als er zum Fenster heraus sah, erkannte er mich. Meine Eltern und ein Schwager<br />

stürzten aus <strong>de</strong>m Haus, um mich zu empfangen. Sie weinten vor Freu<strong>de</strong>, dass sie mich<br />

wie<strong>de</strong>r bei sich hatten. Sie waren überwältigt von solchem Glück. Als sie jedoch sahen,<br />

in welchem gesundheitlichen Zustand ich ich mich befand, waren sie bestürzt. Meine<br />

Mutter erzählte, dass mein Vater je<strong>de</strong>n Tag geweint habe, als keine Post mehr von mir<br />

eintraf, <strong>de</strong>nn er vermutete, dass ich umgekommen sei. Die Postkarte, die sie von Jassy<br />

erhalten hatten, war das erste Lebenszeichen seit vielen Wochen gewesen. Vor<br />

Stalingrad fan<strong>de</strong>n wir keine Gelegenheit, Briefe zu schreiben. Und wenn man mal<br />

schrieb, kam <strong>de</strong>r Brief nie an. Im Krankenhaus war ich zu schwach zu schreiben; so<br />

hatten sie vergebens auf Post gewartet. Für sie war dieses Wie<strong>de</strong>rsehen, als wäre ich<br />

aus <strong>de</strong>m Grab auferstan<strong>de</strong>n und sie dankten Gott. Das tat ich auch. Bevor ich ins Haus<br />

trat, kniete ich nie<strong>de</strong>r und küsste die Türschwelle. Seit ich zuletzt darüber geschritten<br />

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