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Prudens Bewohner - Siebenbuerger.de

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war dann zwei und ein halb Jahre unbeschäftigt wegen meiner Nerven und <strong>de</strong>r<br />

Bronchitis. Diese verursachte mir Muskel-Rheumatismus in <strong>de</strong>r Brust und <strong>de</strong>n<br />

Schultern. Erst im Herbst 1961 kehrte ich zur Arbeit in die Zuckerrübenfabrik von Ely<br />

zurück, wo ich die Maschinen wartete. Danach war ich eine Zeit lang Vorarbeiter bei<br />

einer an<strong>de</strong>ren Baufirma.<br />

Drei o<strong>de</strong>r viermal im Jahr treffen sich die in England leben<strong>de</strong>n Siebenbürger zu einem<br />

Fest. Ich glaube, es war im Jahre 1961, als ich zu einem dieser Treffen nach Cambridge<br />

fuhr. Auch dabei waren Lisi Botschner, meine unmittelbare Nachbarin in Pru<strong>de</strong>n und<br />

ihr Mann, mein zweiter Vetter, Hans Botschner. Sie lebten nahe Stretham, das sich wie<br />

Littleport in <strong>de</strong>r Nähe von Ely befin<strong>de</strong>t. Meine Frau war mitgekommen und wir<br />

erfreuten uns <strong>de</strong>r Musik, <strong>de</strong>s Tanzes und <strong>de</strong>r angebotenen Erfrischungen. Plötzlich<br />

traten Hans und Lisi vor mich, lächelten und stellten mir eine Frau vor, die ich nicht<br />

erkennen konnte. "Darf ich Bekanntschaft machen?" sagte Hans. Ich sah sie mehrere<br />

Minuten lang an und versuchte mich zu erinnern. Schließlich sagte ich auf Deutsch:<br />

"Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?" In ihrer Stimme lag ein Ton von Traurigkeit:<br />

"Erkennst du mich nicht?" Ich strengte mich noch stärker an. Dann sagte sie: "Kennst<br />

du <strong>de</strong>in kleines E<strong>de</strong>lweiß nicht mehr?" Es war, als hätte man mich mit <strong>de</strong>m Hammer<br />

auf <strong>de</strong>n Kopf geschlagen. Mir schwin<strong>de</strong>lte. Cambridge und Pru<strong>de</strong>n vermischten sich.<br />

Stalingrad, das uns getrennt hatte, war auch da und meine Frau ebenfalls. Plötzlich hob<br />

sich <strong>de</strong>r Nebel von 18 Jahren und ich erkannte sie: Es war in <strong>de</strong>r Tat mein kleines<br />

E<strong>de</strong>lweiß, meine erste Liebe, meine liebliche kleine Gebirgsblume. Es war<br />

unbestritten E<strong>de</strong>lweiß, die ich vor <strong>de</strong>m Ertrinken aus <strong>de</strong>r Kokel gerettet und mit <strong>de</strong>r ich<br />

am Fasching getanzt hatte. Ich muss bedauerlicherweise gestehen, dass meine liebe<br />

Frau mich in <strong>de</strong>r Nacht kaum mehr sah, <strong>de</strong>nn ich tanzte die ganze Zeit mit Rebekka. Sie<br />

lebte nach <strong>de</strong>n Jahren ihrer Zwangsarbeit in Russland nun in Deutschland und besuchte<br />

Bekannte in England. Michael Ged<strong>de</strong>rt war gefallen, Rebekka war zur harten Arbeit<br />

nach Russland verschleppt und wegen Krankheit nach Deutschland entlassen wor<strong>de</strong>n.<br />

Sie hatte nie mehr geheiratet. Auf geheimnisvolle Weise scheint das Wort "E<strong>de</strong>lweiß"<br />

meine Geschichte zu symbolisieren - das Leben eines Menschen, von <strong>de</strong>r Weltgeschichte<br />

erfasst und verunstaltet, ein Leben <strong>de</strong>r dörflichen Idylle in Siebenbürgen<br />

und <strong>de</strong>r unbeschreiblichen Hölle von Stalingrad.<br />

Heute bin ich staatenlos. Ich gehöre keiner Nation an. Ich nehme an keiner Wahl teil.<br />

Ich habe die Britische Staatsangehörigkeit nie beantragt, weil ich immer gehofft habe,<br />

dass sich im politischen System meiner Heimat etwas än<strong>de</strong>rte, so dass ich<br />

zurückkehren könnte und sei es auch nur eine relative Selbsständigkeit gegenüber<br />

Russland, so wie sie Jugoslawien erreicht hatte. Ich vermisse so viele Dinge aus meiner<br />

alten Heimat; ich befürchte, dass diese unwie<strong>de</strong>rbringlich verloren sind. Vor allem<br />

vermisse ich die Vertrautheit <strong>de</strong>s Dorflebens in Pru<strong>de</strong>n. Sollte es vorkommen, dass<br />

man zufälligerweise in ein Haus kam, wo gera<strong>de</strong> gegessen wur<strong>de</strong>, so brachte man <strong>de</strong>m<br />

Gast sofort einen zusätzlichen Stuhl und nötigte ihn, sich mit zu Tisch zu setzen.<br />

Mussten größere Arbeiten verrichtet wer<strong>de</strong>n, kamen die Nachbarn und die Verwandten<br />

und halfen, sie zu vollen<strong>de</strong>n, ohne dass man erwartet hätte, dafür bezahlt zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Wenn man etwas zu trinken und zu essen bekam, war man restlos zufrie<strong>de</strong>n und<br />

glücklich.<br />

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