10.01.2013 Aufrufe

Prudens Bewohner - Siebenbuerger.de

Prudens Bewohner - Siebenbuerger.de

Prudens Bewohner - Siebenbuerger.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

An einem Abend veranstalteten wir ein beson<strong>de</strong>res Konzert, das bis zum Morgen um<br />

drei Uhr dauerte. Einige <strong>de</strong>r Krankenschwestern und an<strong>de</strong>res Personal waren aus <strong>de</strong>m<br />

Krankenhaus herunter gekommen, einige hohe Offiziere hatten ihre Frauen<br />

mitgebracht. Die Band spielte mehrere Stücke, wir führten Sketche auf und trugen<br />

Gedichte vor, und alle sangen wir "Lilli Marlen". Mein Marsch war zum Schlager<br />

gewor<strong>de</strong>n. Mein Großvater wäre auf mich stolz gewesen. Ich wur<strong>de</strong> berühmt: von nun<br />

an waren meine Band und ich bei Geburtstagen, bei Partys und an<strong>de</strong>ren Feierlichkeiten<br />

sehr gefragt .<br />

Im Oktober erhielten mehrere von uns fünf Tage Urlaub. Josef Reitz, ein Kamerad, <strong>de</strong>r<br />

aus einem Nachbardorf stammte und unter mir in einer Koje schlief, lud mich zu sich<br />

ein. Dieser hatte eine reizen<strong>de</strong> Schwägerin, mit <strong>de</strong>r ich die meiste Zeit diese fünf Tage<br />

verbrachte. Josef sah ich nur am Morgen und erst am Abend wie<strong>de</strong>r.<br />

Die Zeit verging schnell. Die örtliche Banater Bevölkerung war <strong>de</strong>utschfreunlich<br />

gesinnt; es gab keinerlei Zwischenfälle. Weihnachten 1943 verbrachten wir in<br />

Wehrschetz und im Großen und Ganzen war es schön. Es gab je<strong>de</strong> Menge zu essen und<br />

zu trinken, und Stalingrad lag nur ein Jahr zurück. Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Band und ich<br />

waren in <strong>de</strong>r Vorweihnachtswoche von allen Diensten befreit, so dass wir das<br />

Programm für das große Fest am Weihnachtsabend vorbereiten konnten. Je<strong>de</strong>n Tag<br />

trafen wir uns im Keller zu Beratungen und zu Proben. Auf <strong>de</strong>m Programm stan<strong>de</strong>n alle<br />

beliebten Weihnachtslie<strong>de</strong>r und einige Lesungen. Ich wusste, was die Jungs wünschten<br />

und erwarteten.<br />

Endlich war die wun<strong>de</strong>rvolle Nacht da. Der Abend begann mit <strong>de</strong>m Singen <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Hymne nach <strong>de</strong>r berühmten Melodie von Haydn. Danach setzten wir uns<br />

alle hin und genossen die vorzüglichen Speisen. Dann verlas unser Kapitän einen<br />

ermuntern<strong>de</strong>n Bericht über die Lage auf <strong>de</strong>n Kriegsschauplätzen. Man munkelte, dass<br />

Hauptsturmführer Nürenhaus ein Major bei <strong>de</strong>r Wehrmacht gewesen sei, bevor er<br />

einige Straftaten begangen hätte. Dafür sei er zunächst verhaftet und dann zur<br />

E<strong>de</strong>lweißdivision versetzt wor<strong>de</strong>n. Nach<strong>de</strong>m er gesprochen und <strong>de</strong>r Oberst, <strong>de</strong>r<br />

Ehrengast war, auch eine kurze Ansprache gehalten hatte, Getränke und Kuchen<br />

gereicht wor<strong>de</strong>n waren, übernahm die Band das Regiment. Wir begannen mit "Stille<br />

Nacht, heilige Nacht"; die Band spielte und ich sang. Kaum hatte ich das Lied been<strong>de</strong>t,<br />

winkte mich Nürenhaus zu sich und flüsterte mir leicht verärgert zu, ich solle die<br />

"heiligen" Punkte <strong>de</strong>s Programmes streichen und sie durch soldatische Nummern<br />

ersetzen. Ich protestierte und sagte, die Jungs wür<strong>de</strong>n jedoch dies erwarten. Darauf<br />

ergänzte er barsch: "Nur noch eins, dann ist Schluss." So spielten wir noch “Oh<br />

Tannenbaum" steckten unser Programm weg und spielten die üblichen Lie<strong>de</strong>r. Viele<br />

<strong>de</strong>r Jungen waren enttäuscht.<br />

Ich war nicht wirklich überrascht. Ich wusste nun, daß viele dieser Offiziere für die<br />

Religion nichts übrig hatten, dass sie lasterhaft und prinzipienlos waren. Aber ich war<br />

glücklich, dass ich es versucht hatte. Mit Nürenhaus war nicht zu spaßen, aber er<br />

mochte unsere Musik. Deshalb begünstigte er mich. Zumin<strong>de</strong>st hatte ich <strong>de</strong>n Versuch<br />

unternommen. An jenem Abend jedoch verspürte ich Gewissensbisse in meinem<br />

170

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!