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Materialsammlung - Theater Marburg

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dieses Regimes: Er wurde vom Dienst als Dozent der Philosophie suspendiert und sass jahrelang, von 1959 bis 1964, im Gefängnis. Ein<br />

Prototyp also der arabischen Liebhaber Kafkas, die selbst zu Inkarnationen K.s wurden. Während Kafka in den sechziger Jahren diese<br />

besondere Bedeutung unter arabischen Intellektuellen erlangte, verschärfte sich die osteuropäische Polemik gegen ihn im Kontext des<br />

Kalten Krieges. Man bezeichnete ihn als dekadenten Autor, dessen Literatur im Dienste imperialistischer und zionistischer Zwecke<br />

stand. Angeregt durch diese Polemik und im Zuge des aufsteigenden arabischen Antizionismus nach 1967, stellte sich auch in der<br />

arabischen Welt plötzlich die Frage nach Kafkas Haltung zum Zionismus. Seine Rezeption als jüdischer Schriftsteller, der sich<br />

überwiegend in Kreisen des Prager Zionismus bewegt hatte, wurde nach der Verschärfung des Nahostkonfliktes entscheidend<br />

erschwert; und die Frage nach seiner Einordnung stellte sich angesichts seiner Bedeutung und Beliebtheit nur umso dringlicher.<br />

Die arabischen Intellektuellen fanden sich in einem eigentlichen Dilemma: Einerseits war Kafka eine zentrale Identifikationsfigur im<br />

Zusammenhang mit der arabischen Krise, anderseits erschien er nun auch als «Sohn des Zionismus» – der Ideologie, die letztlich als<br />

Hauptursache dieser arabischen Krise betrachtet wurde. Diese gespaltene Wahrnehmung führte zu Verwerfungen, lenkte von<br />

literarischen Interessen ab und brachte Kafka unter die Lupe politisch interessierter Kritiker, die vor allem die Kafka-Rezeption im<br />

Rahmen der marxistischen Kritik des Kalten Krieges aufgriffen und sie in den Kontext des arabisch-israelischen Konfliktes<br />

transformierten. Daraufhin kam es zu einer Polarisierung zwischen Gegnern und Fürsprechern, die durch biografische<br />

(Re-)Konstruktion oder literaturkritische Auslegung versuchten, Kafka eine politische Identität als Zionist oder Antizionist<br />

zuzuschreiben. Beide Gruppen nutzten diese Debatte als Schaubühne der politischen Auseinandersetzung mit dem Zionismus. Andere<br />

Kommentatoren hingegen distanzierten sich davon und behaupteten, die Zugehörigkeit Kafkas zum Judentum sei für das Verständnis<br />

seines Werkes gänzlich irrelevant.<br />

Ein Koffer in Palästina<br />

Mahmud Galal, ein Autor der auf Nagib Machfus folgenden Schriftstellergeneration, schrieb im Oktober 1985: «Unsere ganze Generation<br />

schlüpfte aus Nagib Machfus' Gewand [. . .] Aber was die westlichen Autoren betrifft, war es Kafka, der mir den Schlaf raubte. Von ihm<br />

bezaubert, streifte ich fassungslos die Strassen entlang.» Die Söhne Josef K.s machen in der arabischen Welt Geschichte. Vielleicht auch<br />

deshalb, weil einst Kafkas Freund Max Brod die Manuskripte des Verstorbenen in letzter Hast vor dem deutschen Einmarsch in Prag in<br />

einen Koffer packte und nach Palästina floh. Sind dort die K.s dem Koffer entronnen und haben sich unkontrolliert im Nahen Osten und<br />

in der gesamten arabischen Welt zerstreut? Sie sind heute ägyptisch, algerisch und irakisch. Sie sind sicherlich sehr jüdisch, aber<br />

vielleicht nicht minder palästinensisch. So palästinensisch, dass der grosse palästinensische Dichter Mahmud Darwish in einem seiner<br />

Gedichte schrieb: «Unter meiner Haut fand ich Kafka schlafend / heimisch in unserem Alptraumgewand, vertraut mit der Polizei in uns.»<br />

2010, http://mobile.nzz.ch/kultur/literatur/josef_k_und_seine_arabischen_soehne_1.5914579

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