Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut
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erstens speiste sich die Legitimität des Tennos weit mehr aus traditionellen<br />
Quellen, und zweitens spielte dieser eine weit weniger<br />
aktive Rolle in der Politik als Hitler – und dies gilt, selbst wenn man<br />
den äußerst kritischen Thesen von Herbert Bix folgen will. 27<br />
Ein zentraler Faktor für unseren Zusammenhang ist die Stellung<br />
des Militärs in der Politik. Diese nahm mit der außenpolitischen<br />
Expansion ab 1931 immer mehr zu, während sich die Wehrmacht<br />
ab 1937/38 ihrem Führer immer mehr unterordnete, der sich wiederum<br />
auf zahlreiche Sonderapparate stützte oder diese neu schuf, um<br />
seine Ziele zu verwirklichen. Spätestens im Frühjahr 1940 hat die<br />
Wehrmacht jede eigenständige Position im NS-System aufgegeben.<br />
Am ehesten trifft also auf Japan die klassische Interpretation als<br />
System des Militarismus zu; den faschistischen Systemen ist es kaum<br />
zuzuordnen, hierzu fehlte auch eine Massenpartei. Der Agrarismus,<br />
der im Nationalsozialismus zwar verbal, aber kaum real eine Rolle<br />
spielte, blieb in der traditionellen Gesellschaft Japans dominant. 28 In<br />
seiner Abgrenzung nach außen ähnelte der japanische Radikalismus<br />
eher schon den spezifi schen völkischen Strömungen, die sich im Europa<br />
der 1930er Jahre ausbreiteten. Freilich fehlte dem japanischen<br />
Militarismus das zentrale Element der europäischen und besonders<br />
der deutschen Völkischen, der Antisemitismus, obwohl dieser auch<br />
in Japan nicht völlig abwesend war. 29<br />
Deutliche Parallelen ergeben sich bei den politischen Konzepten,<br />
vor allem dem Expansionismus. Überspitzt könnte man sagen,<br />
die deutschen kontinentalimperialistischen Ziele hätten 1918 mit<br />
dem Einmarsch in Südrussland ihren Höhepunkt gefunden, seien<br />
dann abgebrochen und 1939/41 in anderer Form wieder aufgenommen<br />
worden.<br />
Neu waren besonders drei Aspekte: die Homogenisierung der<br />
deutschen Gesellschaft zur »Volksgemeinschaft«, die enorme Ressourcenakkumulation<br />
durch die Eroberung halb Europas und die<br />
extreme Aktivierung des Rassismus im Krieg. Während ein hoher<br />
gesellschaftlicher Konsens schon zur japanischen Kultur gehörte,<br />
scheint der Rassismus auch in Japan mit dem Krieg deutlich zugenommen<br />
zu haben. Eine Überlegenheit der Japaner als sogenannte<br />
Yamato-Rasse wurde zwar nicht in der Breite propagiert wie in<br />
Deutschland, traf die unterworfenen Völker aber sofort und mit aller<br />
Härte. Insbesondere die Chinesen galten aus der Sicht vieler Japaner<br />
27 Herbert P. Bix, Hirohito and the Making of Modern Japan, New York 2000; vgl.<br />
dazu Peter Wetzler, »Hirohito: A History Defying Biography and the Pulitzer Prize«,<br />
in: Der Zweite Weltkrieg in Europa und Asien. Grenzen, Grenzräume, Grenzüberschreitungen.<br />
Hrsg. von Susanne Kuß, Heinrich Schwendemann, Freiburg i.<br />
Br. 20<strong>06</strong>, S. 233–244.<br />
28 Vgl. die Interpretation von Ben Kiernan, Erde und Blut. Völkermord und Vernichtung<br />
von der Antike bis heute, München 2009, S. 541–627.<br />
29 Gerhard Krebs, »The ›Jewish Problem‹ in Japanese-German Relations, 1933–<br />
1945«, in: Japan in the Fascist Era. Hrsg. von E. Bruce Reynolds, New York<br />
2004, S. 107–132.<br />
als minderwertig, obwohl Japan doch deutlich von der chinesischen<br />
Kultur geprägt war. 30<br />
Der japanische Imperialismus richtete seit Ende des 19. Jahrhunderts<br />
seine Augen auf China. Auch hier lassen sich zunehmend Elemente<br />
einer Lebensraum-Ideologie festmachen: die – im Gegensatz<br />
zu Deutschland – besser präsentierbare Beengtheit der japanischen<br />
Raumverhältnisse, die Programme zur Ansiedlung von Japanern,<br />
die Nutzung Chinas als Ausbeutungsgebiet. 31<br />
Am meisten trafen sich deutsche und japanische Weltanschauung<br />
in einem Feld, das 1941 zentrale Bedeutung erlangte: dem Antibolschewismus.<br />
Zwar zeigten sich sowohl in Deutschland als auch in<br />
Japan seit 1918 deutliche Ambivalenzen gegenüber der Sowjetunion,<br />
zuletzt manifest im Hitler-Stalin-Pakt und im japanisch-sowjetischen<br />
Neutralitätspakt vom April 1941, die Besatzungsstrukturen sahen<br />
jedoch im Kommunismus den zentralen Feind. 32 Von einer globalen<br />
Geschichte des Antikommunismus sind wir aber noch weit entfernt.<br />
Gewalt bis 1941<br />
Damit sind, ganz grob skizziert, einige Rahmenbedingungen für<br />
die Gewaltausübung in der besetzten Sowjetunion und im besetzten<br />
Nordchina ab 1940/41 genannt. Gerade die neuere Forschung zeigt<br />
aber, dass es notwendig ist, die unmittelbare Vorgeschichte und die<br />
Gewaltpraxis genauer unter die Lupe zu nehmen.<br />
Auch hier lässt sich eine größere Kontinuität im japanischen Fall<br />
beobachten. 33 Japan war auf dem ostasiatischen Festland schon seit<br />
Langem präsent, so seit 1905 bzw. 1910 in Korea. Bereits hier wurden<br />
Aufstände gegen die auswärtige Herrschaft blutig unterdrückt,<br />
etwa die Bewegung des 1. März im Jahre 1919. 200.000 Koreaner<br />
wurden verhaftet, über 7.000 erschossen. Die eigentliche Vorgeschichte<br />
der Besatzung in China ist natürlich mit der Besetzung der<br />
Mandschurei und der Inneren Mongolei 1931/33 anzusetzen. Diese<br />
wurde von der Republik zwar weitgehend kampfl os zugelassen, es<br />
entwickelte sich jedoch regional eine Aufstandsbewegung. Gerade<br />
die japanische Guandong-Armee, die schon seit Längerem dazu eingesetzt<br />
war, um japanische Unternehmen in China zu unterstützen,<br />
30 Vgl. John W. Dower, War without Mercy: Race and Power in the Pacifi c War,<br />
New York 1986.<br />
31 Louise Young, Japan’s Total Empire: Manchuria and the Culture of Wartime Imperialism,<br />
Berkeley 1998; die Autorin berücksichtigt allerdings den Aspekt der<br />
Gewalt kaum.<br />
32 Als ersten Ansatz: Eun-Sang Yu, »Der Bürgerkrieg in Ostasien 1917–1945. Der<br />
Bolschewismus und die Reaktionen darauf in China, Korea und Japan«, in: Das<br />
20. Jahrhundert – Zeitalter der tragischen Verkehrungen. Forum zum 80. Geburtstag<br />
von Ernst Nolte. Hrsg. von Helmut Fleischer, Pierluca Azzaro, München<br />
2003, S. 348–372.<br />
33 Vgl. W. G. Beasley, Japanese Imperialism, 1894–1945, Oxford 1987.<br />
22 <strong>Einsicht</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>06</strong> Herbst 2011<br />
entwickelte sich zum zentralen Hort der Radikalisierung. Deren<br />
Offi ziere waren besonders antibolschewistisch orientiert und plädierten<br />
für eine weitere Expansion gegen die Sowjetunion. Indes<br />
scheiterte aber eine erste bewaffnete Grenzauseinandersetzung zuletzt<br />
bei Chalchin Gol bzw. Nomonhan, und 1941 entschied sich die<br />
japanische Führung für eine Expansion in Richtung Süden.<br />
Schon frühzeitig verübten Einheiten der Guandong-Armee<br />
Massaker an der einheimischen Bevölkerung. Als 1932 im Dorf<br />
Pingdingshan japanische Soldaten tot aufgefunden wurden, tötete<br />
die Besatzungsmacht etwa 2.700 Einwohner der Gegend. Tatsächlich<br />
gelang es der Guandong-Armee, den kommunistischen Untergrund<br />
in der Mandschurei weitgehend auszuschalten. Nicht selten wurde<br />
dabei der sogenannte »Banditen-Erlass« von 1932 angewandt,<br />
der die umstandslose Tötung gefangener Partisanen vorsah. Dabei<br />
wandten die Japaner Konzepte an, die aus der Unterdrückung der<br />
gigantischen Aufstände des 19. Jahrhunderts stammten, vor allem<br />
die räumliche Trennung zwischen Bevölkerung und Partisanen durch<br />
die Einrichtung sogenannter Wehrdörfer oder die Einkreisung von<br />
Partisanengebieten durch Stützpunkte. Millionen Einwohner sollen<br />
bis Ende 1937, meist unter brutalen Begleiterscheinungen, aus ihren<br />
Dörfern getrieben und in etwa 10.000 dieser Wehrdörfer umgesiedelt<br />
worden sein. Dort herrschte ein hartes Regime, die Einwohner waren<br />
strenger Kontrolle unterworfen. 34<br />
Die Gewalt des NS-Regimes richtete sich noch bis 1938 gegen<br />
die eigene Bevölkerung, dann auch gegen die der kampfl os annektierten<br />
Gebiete. Hunderttausende wurden entweder in Konzentrationslager<br />
eingewiesen oder durch politische Justiz kriminalisiert,<br />
zunächst vor allem die echte oder etwaige Opposition, ab 1937 dann<br />
zusehends »rassische Feinde«, als »Asoziale« Disqualifi zierte, Sinti<br />
bzw. Roma und schließlich immer mehr Juden.<br />
Hier markiert der Kriegsbeginn ebenfalls eine entscheidende<br />
Zäsur der Gewalt. Schon während des Polenfeldzuges und der darauffolgenden<br />
Wochen massakrierten SS, Polizei und Wehrmacht<br />
Zehntausende Polen, vor allem aus der Oberschicht, aber auch Juden<br />
und zusehends Insassen der Psychiatrie. Bereits dies wird von<br />
manchen Historikern als »Vernichtungskrieg« bezeichnet. 35 Im Reich<br />
begann der Massenmord an den Psychiatriepatienten unmittelbar<br />
danach im Januar 1940. Im weiteren Verlauf des Krieges schränkte<br />
die NS-Führung das gewalttätige Vorgehen wieder ein, als es »zivilisierte«<br />
Gebiete in Nord- und Westeuropa betraf.<br />
Die japanische kriegerische Expansion ging dem zeitlich voran:<br />
Mit dem sogenannten Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke<br />
am 7. Juli 1937 war ein Vorwand gegeben, auch das ökonomisch<br />
34 Chong-Sik Lee, Counterinsurgency in Manchuria: The Japanese Experience,<br />
1931–1940, Santa Monica 1967.<br />
35 Jochen Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939,<br />
Frankfurt am Main 20<strong>06</strong>.<br />
attraktive Hinterland Pekings, vor allem die Provinz Hebei zu akquirieren.<br />
Schließlich wurde daraus ein regulärer Krieg auf breiter<br />
Front. Nun trachtete die kaiserlich-japanische Armee danach, weite<br />
Teile Chinas zu besetzen. Tatsächlich traf sie aber auf erbitterten<br />
Widerstand der Guomindang-Truppen. Dies enthemmte die militärischen<br />
Führer offensichtlich in erheblichem Maße. Schon in den<br />
ersten Kriegsmonaten, etwa auf dem Marsch von Schanghai nach<br />
Nanking, verübten japanische Truppen massenhaft Kriegsverbrechen.<br />
Nach der Besetzung der damaligen chinesischen Hauptstadt<br />
Nanking mündete dieses Vorgehen in eine mehrwöchige Orgie der<br />
Gewalt, den »Rape of Nanking«, bei dem vermutlich Zehntausende<br />
Menschen ermordet wurden, vor allem Kriegsgefangene, aber auch<br />
Zivilisten. 36 Diese Zahlen sind bis heute heftig umstritten, Nanking<br />
ist der emblematische Erinnerungsort der japanisch-chinesischen<br />
Geschichte. Wichtig erscheint, dass das Nanking-Massaker erstens<br />
in eine Serie von zahlreichen Kriegsverbrechen einzuordnen ist und<br />
sich zweitens anscheinend in erster Linie gegen Kriegsgefangene<br />
bzw. untergetauchte chinesische Soldaten richtete.<br />
Die japanische Armee betrachtete chinesische Kriegsgefangene<br />
als rechtlos und stellte offensichtlich keine oder nur ganz wenige<br />
Unterkünfte für sie bereit. Da der chinesische »Zwischenfall« absichtsvoll<br />
nicht als Krieg deklariert war, sollten auch völkerrechtliche<br />
Bestimmungen nicht gelten. Offensichtlich bestimmte das Kriegsministerium,<br />
dass es in der Gewalt der einzelnen Kommandeure liege,<br />
was sie mit den Kriegsgefangenen machten. Und das hieß: entweder<br />
freilassen oder töten. Nur ein kleiner Teil der Gefangenen wurde als<br />
Arbeitskräfte behalten. 37<br />
In der westlichen Forschung sind bis jetzt keine größeren Analysen<br />
über die Behandlung der chinesischen Kriegsgefangenen erstellt<br />
worden; doch muss man aufgrund von Einzelfällen davon ausgehen,<br />
dass ein erheblicher Teil von ihnen binnen Kurzem umgebracht wurde,<br />
erschossen oder auf andere grausame Weise getötet. Nimmt man<br />
die offi ziellen Zahlen der Republik China zum Ausgangspunkt, so<br />
gelten etwa 1,5 Millionen chinesische Soldaten als vermisst. 38 Von<br />
diesen ist ein erheblicher Teil, vermutlich die Mehrheit, in japanische<br />
Kriegsgefangenschaft geraten. Jedoch wurden weder in der ersten<br />
36 Ich stütze mich hier v.a. auf Masahiro Yamamoto, Nanking: Anatomy of an Atrocity,<br />
Westport 2000, der den Thesen von Iris Chang sehr kritisch gegenübersteht.<br />
Vgl. auch The Nanking Atrocity, 1937–38: Complicating the Picture. Hrsg. von<br />
Bob Tadashi Wakabayashi, New York, Oxford 2007.<br />
37 Hayashi Hirofumi, »Japanese Treatment of Chinese Prisoners, 1931–1945«, in:<br />
Nature-People-Society: Science and the Humanities, 26, January 1999 (japanisch,<br />
engl. Übersetzung: www32.ocn.ne.jp/~modernh/eng01.htm [25.7.2011]); Akira<br />
Fujiwara, »Nitchū Sensō ni Okeru Horyo Gyakusatsu« [Massaker an Kriegsgefangenen<br />
im Japanisch-Chinesischen Krieg], in: Kikan Sensō Sekinin Kenkyū 9,<br />
1995, S. 18–24. Wichtig v.a.: Utsumi Aiko: Nihongun no horyo seisaku [Japanische<br />
Politik gegenüber Kriegsgefangenen], Tōkyō 2005.<br />
38 Hsu Long-hsuen, Chang Ming-kai, History of The Sino-Japanese War (1937–<br />
1945), 2. Aufl ., Taibei 1971.<br />
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