24.01.2013 Aufrufe

Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut

Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut

Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Digital überholt<br />

Andreas Hedwig, Reinhard Neebe,<br />

Annegret Wenz-Haubfl eisch (Hrsg.)<br />

Die Verfolgung der Juden während der<br />

NS-Zeit. Stand und Perspektiven der<br />

Dokumentation, der Vermittlung und der<br />

Erinnerung<br />

Schriftenreihe des Staatsarchivs, Bd. 24<br />

Marburg: Hessisches Staatsarchiv, 2011,<br />

311 S., € 28,–<br />

Hilfreich ist der Überblick, den der Mitherausgeber Reinhard Neebe<br />

über die Internetressourcen gibt, die zur Geschichte der Juden<br />

in Hessen im Digitalen Archiv Marburg (DigAM) zur Verfügung<br />

stehen. Aber die Veröffentlichung ist ein Beispiel dafür, wie sich<br />

Gedrucktes und online Verfügbares mehr und mehr ergänzen, doch<br />

auch infrage stellen können.<br />

Ein Drittel des Bandes nimmt der umfangreiche Katalog der<br />

Ausstellung ein, mit überwiegend farbigen Abbildungen, chronologisch<br />

gegliedert: Ausgrenzung und Verfolgung 1933–1937/38,<br />

Auftakt in Hessen: die inszenierten Pogrome im November 1938,<br />

die »Judenaktion vom 10.11.1938« und die Pogromverordnungen,<br />

Ghettoisierung, Deportationen und der Weg in den Holocaust 1939–<br />

1942/45, Justizielle Aufarbeitung nach 1945, Erforschen, Dokumentieren,<br />

Erinnern nach 1945.<br />

Viele eindrucksvolle Dokumente werden gezeigt, auch einige,<br />

die den frühen Beginn der Pogrome am 7. November in Nordhessen<br />

belegen. Der Inhalt kann inzwischen weitgehend abgerufen werden<br />

unter http://www.digam.net/. Für alle, die die Ausstellung nicht sehen<br />

konnten, ist das sicher sinnvoller, als das Buch zu beschaffen.<br />

Tagungsbände kranken oft an der Fülle: zu viel – zu divers –<br />

zu knapp. Das hier angebotene Themenspektrum ist so breit, dass<br />

die meisten Leser sich entsprechend ihrer Interessen nur einzelne<br />

Beiträge vornehmen werden. Einige (z. B. die Dokumentation der<br />

hessischen jüdischen Friedhöfe und der Synagogen durch die Historische<br />

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen oder die<br />

Zugänglichkeit der Unterlagen des ITS Arolsen für Forscher) sind<br />

so kurz gehalten, dass man nach umfangreicheren Informationen<br />

suchen wird. Andere stehen exemplarisch für Aktivitäten (Erinnerungsarbeit<br />

vor Ort, Stolpersteine), ohne den Themen umfassend<br />

nachgehen zu können.<br />

Pädagogische Themen werden von Gottfried Kößler (Gegenwartsdimensionen<br />

historischen Lernens über den Holocaust) und<br />

Wolfgang Geiger (Zwischen politischem Anspruch, medialer Überrepräsentanz<br />

und didaktischer Reduktion) behandelt. Sie sprechen<br />

beide die Problematik der Geschichtsbilder an, gerade auch von<br />

Lehrenden, die jüdische Geschichte und Holocaustthemen vermitteln<br />

(müssen). Fortbildung ist unabdingbar und gegenwärtig wohl<br />

keinesfalls ausreichend.<br />

Es hätte nahegelegen, sich bei der Tagung auf die hessische<br />

Perspektive zu beschränken, dann hätte man allerdings auf einige<br />

lesenswerte Beiträge verzichten müssen. Dazu gehört der von Susanne<br />

Heim als Bearbeiterin von Band 2 (Dt. Reich, 1938–August<br />

1939) des Editionsprojekts Die Verfolgung und Ermordung der<br />

europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland<br />

1933–1945. Sie geht auf die komplexe Suche und Auswahl der Dokumente<br />

ein, die alle in der NS-Zeit, also nicht nach dem 8.5.1945<br />

entstanden sein müssen. Auch der Bericht von Nicolai Zimmermann<br />

(Bundesarchiv) über die Entstehung und Weiterentwicklung des<br />

digitalen Gedenkbuchs, vor allem aber über die noch in der Erarbeitung<br />

befi ndliche »Liste der jüdischen Einwohner im Deutschen<br />

Reich« einschließlich der Probleme von Sachverhaltsprüfung und<br />

Datenschutz ist nützlich. Allerdings ist auch hier vieles online schon<br />

verfügbar. Ulrich Baumann gibt einen guten Überblick über die<br />

Geschichte und Weiterentwicklung des »Orts der Information« am<br />

Holocaustdenkmal in Berlin.<br />

Ganz aus dem Rahmen fällt der Vortrag von Peter Steinbach:<br />

»Die Andeutung des Vorstellbaren – Zur Vorbereitung des Sonderrechts<br />

für die Juden durch den NS-Staat als Vorstufe der ›Endlösung‹«.<br />

Dankenswerterweise weist er darin auf einen der furchtbaren<br />

NS-Juristen (G. L. Binz) und dessen Nachkriegsbiografi e hin, vor<br />

allem aber auf seine Texte von 1930–1933, die bisher ebenso wenig<br />

bekannt waren bzw. wahrgenommen wurden. Der weitreichende,<br />

dezidiert antijüdische Ansatz mit durchaus »vernichtender« Perspektive<br />

wurde in den Nationalsozialistischen Monatsheften, später<br />

auch im Völkischen Beobachter veröffentlicht. Mein Interesse war<br />

geweckt, und ich wurde gleich bei DigAM fündig – dies als Anregung.<br />

Dorothee Lottmann-Kaeseler<br />

Wiesbaden<br />

82 Rezensionen<br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>06</strong> Herbst 2011<br />

»Es sollte eine Unterhaltung sein …«<br />

Hannah Arendt, Joachim Fest<br />

Eichmann war von empörender Dummheit.<br />

Gespräche und Briefe<br />

Hrsg. von Ursula Ludz und Thomas Wild<br />

München, Zürich: Piper Verlag, 2011,<br />

2<strong>06</strong> S., € 16,95<br />

Als Hannah Arendt und Joachim Fest sich im<br />

Herbst 1964 begegneten, kam die heiß diskutierte<br />

Philosophin geradewegs von der Konkurrenz: Zwei Tage zuvor<br />

hatte sie mit Günter Gaus die ZDF-Sendung Zur Person aufgenommen,<br />

ein zu Recht ausgezeichnetes und bis heute unvergessenes Medienereignis.<br />

Sogar Karl Jaspers war begeistert: »Es ist bezwingend.<br />

[…] Wer hat diese Unbefangenheit, die Du wagst?« Auch Joachim<br />

Fest sollte Hannah Arendt interviewen. Das Radiogespräch für den<br />

damaligen Südwestfunk (SWF) hatte der Verleger Klaus Piper zur<br />

deutschen Ausgabe von Eichmann in Jerusalem arrangiert. Man wollte<br />

den Skandal, den das Buch in den USA ausgelöst hatte, in Deutschland<br />

nicht wiederholen – es waren auch verlegerisch noch andere Zeiten.<br />

Außerdem hatte ein Konkurrent unmittelbar vor der Veröffentlichung<br />

von Eichmann in Jerusalem einen Diskussionsband herausgegeben,<br />

für den sich offi ziell nicht einmal ein Herausgeber fand: Die Kontroverse<br />

(München: Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, 1964).<br />

Bis vor wenigen Jahren war das Fest-Interview so gut wie vergessen.<br />

Nun haben Ursula Ludz und Thomas Wild nicht nur das<br />

24-seitige Radiogespräch ediert, sondern auch die ebenfalls wieder<br />

aufgetauchten Reste der Korrespondenz zwischen Arendt und Fest,<br />

die aus genau siebzehn Briefen bestehen. Angedickt, wenn auch nicht<br />

unbedingt bereichert wird der Band mit einer zusammenfassenden<br />

Einleitung und bekannten Texten: »Zur Kontroverse um Hannah<br />

Arendts Eichmann in Jerusalem«.<br />

Joachim Fest erfuhr bereits vor ihrer persönlichen Begegnung,<br />

dass Arendt von der Marketing-Strategie ihres Verlegers keineswegs<br />

begeistert war. Auf seine seitenlange Aufl istung möglicher Fragen<br />

bekam er nämlich eine deutliche Abfuhr. Arendt lobte zwar diese<br />

»nahezu vollständige Aufzählung der gegen das Buch erhobenen<br />

Einwände«, verweigerte aber gleichzeitig ein derart abgesprochenes<br />

Interview zum Buch. Fest müsse, schreibt Arendt, etwas gründlich<br />

missverstanden haben, denn »ich hatte niemals die Absicht, mich zu<br />

rechtfertigen«. Man solle also überlegen, »ob wir die Sache abblasen<br />

wollen«. Arendt wollte kein Interview, sondern ein Gespräch über<br />

Probleme, »zu denen wir beide was zu sagen haben«. Dennoch: »Es<br />

sollte eine Unterhaltung sein.« Dass sie und der zwanzig Jahre jüngere<br />

Fest sich etwas zu sagen haben könnten, hatte Arendt aus Fests Buch<br />

Das Gesicht des Dritten Reiches (1963) geschlossen. Folgt man den<br />

jetzt herausgegebenen Dokumenten, kam zwar ein Interview zustande,<br />

aber nicht die Art Unterhaltung, die sich Arendt erhofft hatte.<br />

Das in diesem Band Zusammengetragene spiegelt weder eine<br />

große Kontroverse wie in dem Briefwechsel mit Gershom Scholem<br />

oder Leni Yahil noch ein lebendig-lichtvolles Gemeinsamdenken wie<br />

mit Karl Jaspers oder Mary McCarthy und naturgemäß auch kein<br />

Drama der Sprachlosigkeit wie im Fall Martin Heideggers. Die Korrespondenz<br />

zwischen Fest und Arendt ist nicht umfangreich, sie ist<br />

förmlich und pragmatisch. Der Höhepunkt der dokumentierten Begegnung<br />

ist zweifellos das Rundfunkgespräch, das sich ganz um den<br />

Fall Adolf Eichmann dreht und Argumente zusammenfasst, die man<br />

sich bisher zusammensuchen musste. Arendt beschreibt noch einmal<br />

ihre Wahrnehmung Adolf Eichmanns, die sie als »Banalität des Bösen«<br />

in den Begriff zu bekommen versucht hatte. Eichmann habe aus<br />

»Lust am reinen Funktionieren« gehandelt. »Er wollte mitmachen.«<br />

Die Ideologie hingegen »hat keine sehr große Rolle dabei gespielt«.<br />

Dass Hannah Arendt sich in diesem Fall irrte, ist schon lange kein<br />

Geheimnis mehr. Umso unverständlicher ist es, dass die Herausgeber<br />

(wie leider so oft in der deutschen Arendt-Rezeption) den Stand der<br />

Christlich-jüdischer Dialog<br />

Medien - Materialien - Informationen<br />

ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis<br />

für das christlich-jüdische Gespräch<br />

in Hessen und Nassau www.ImDialog.org<br />

BlickPunkt.e<br />

MATERIALIEN ZU CHRISTENTUM, JUDENTUM, ISRAEL UND NAHOST<br />

Gottesdienst in Israels Gegenwart<br />

MATERIALHEFTE ZUR GOTTESDIENSTGESTALTUNG<br />

Schriftenreihe<br />

THEMEN ZU THEOLOGIE, GESCHICHTE UND POLITIK<br />

Ausstellungen zu verleihen<br />

JÜDISCHE FESTE UND RITEN • ANTIJUDAISMUS •<br />

HOLOCAUST UND RASSISMUS • DIE BIBEL<br />

ImDialog • Robert-Schneider-Str. 13a • 64289 Darmstadt<br />

Tel. <strong>06</strong>151- 423900 • Fax <strong>06</strong>151 - 424111<br />

Email info@imdialog.org • Internet www.imdialog.org<br />

83

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!