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Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut

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Erfolgreiche Integration von NS-Tätern<br />

Christina Ullrich<br />

»Ich fühl’ mich nicht als Mörder«.<br />

Die Integration von NS-Tätern in die<br />

Nachkriegsgesellschaft<br />

Darmstadt: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft, 2011, 355 S., € 49,90<br />

Die Kritik am Bericht der Historikerkommission<br />

zur Rolle des Auswärtigen Amts<br />

im »Dritten Reich« hat es noch einmal gezeigt: Seit geraumer Zeit<br />

herrscht in der Publizistik wie in der Historiografi e weitgehend Einigkeit<br />

darüber, dass die alte Bundesrepublik unter anderem deswegen<br />

eine »Erfolgsgeschichte« aufzuweisen habe, weil die soziale<br />

Reintegration nicht nur des Heeres der »Mitläufer«, sondern auch<br />

die Einpassung von großen Teilen der NS-Eliten in die westdeutsche<br />

Gesellschaft effektiv gelungen sei. Problematisch daran ist nicht<br />

die Beschreibung von unstrittigen Fakten, sondern die affi rmative<br />

Wendung des Befunds und damit verbunden die retrospektive<br />

Abschreibung der moralischen Kosten der Integrationspolitik. Die<br />

Rede von der »Erfolgsgeschichte« geht letztlich auf den Philosophen<br />

Hermann Lübbe zurück, der 1983 erstmals die – seinerzeit noch umstrittene<br />

– These vorgetragen hatte, die erfolgreiche Etablierung der<br />

Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg, die vollständige Delegitimierung<br />

der nationalsozialistischen Ideologie und die Verwandlung<br />

der »Volksgemeinschaft« in eine »Bürgergesellschaft« seien nur<br />

geglückt, weil es eine Phase des »kommunikativen Beschweigens«<br />

der NS-Vergangenheit gegeben habe.<br />

Die nun in Buchform veröffentlichte Dissertation von Christina<br />

Ullrich, die sich durchaus an das von der einschlägigen Forschung<br />

vertretene Konzept der »Liberalisierung« der deutschen Nachkriegsgesellschaft<br />

anlehnt, entwirft zugleich ein kritischeres Bild. Die<br />

akribisch aufbereiteten Fallstudien, in denen Ullrich die Lebensläufe<br />

von 19 ehemaligen Angehörigen von SS-Einsatzgruppen bzw.<br />

Sonderkommandos zwischen 1945 und den frühen 1960er Jahren<br />

etappenweise nachzeichnet, lassen die Vorgeschichte und die Restaurationsphase<br />

der Bundesrepublik jedenfalls in einem weitaus<br />

weniger milden Licht erscheinen, als man es inzwischen gewohnt ist.<br />

Es handelt sich durchweg um NS-Täter, die direkt am Massenmord<br />

an den Juden in Osteuropa beteiligt waren und die strafrechtlich<br />

verfolgt und schließlich von deutschen Gerichten verurteilt wurden.<br />

Dazwischen lag eine erfolgreiche Rückkehr in die westdeutsche Gesellschaft,<br />

stets mit Rückendeckung durch das soziale Umfeld, das<br />

sich im Kollektiv der Kriegsverlierer mit den Tätern solidarisierte,<br />

ob deren Vergangenheit nun bekannt war oder nicht. Die Phasen der<br />

58 Rezensionen<br />

Wiedereingliederung beschreibt Christina Ullrich überzeugend als<br />

»Transition« (Verhalten bei Kriegsende, Internierung oder Untertauchen,<br />

vorübergehende Annahme falscher Namen), »Integration«<br />

(Entnazifi zierung, Fälschung der Lebensläufe, Spruchkammerverfahren)<br />

und »soziale Reetablierung« (berufl icher Neuanfang, Wiedereintritt<br />

in den Staatsdienst). Abschließend stellt sie die Frage, ob<br />

die justiziellen Ermittlungen, die Ende der 1950er Jahre einsetzten,<br />

als die Täter von ihrer Vergangenheit eingeholt wurden und die<br />

mediale Öffentlichkeit sich für die NS-Prozesse zu interessieren<br />

begann, tatsächlich zu einem »Integrationsbruch« – also zu einer<br />

sozialen Distanzierung von den Tätern – geführt habe. Die Autorin<br />

verneint das nachdrücklich.<br />

Nicht alle Fallgeschichten, die überwiegend auf der Grundlage<br />

von Strafprozessakten zusammengestellt wurden, sind ganz<br />

neu – so etwa der Fall Georg Heuser, der als SS-Obersturmführer<br />

für Massenexekutionen von Juden im Raum Minsk verantwortlich<br />

gewesen war, nach 1945 ein Netzwerk ehemaliger »Kameraden«<br />

aufbaute und es in den 1950er Jahren zum Leiter des Landeskriminalamts<br />

Rheinland-Pfalz brachte. Auch muss der Leser, um die<br />

jeweils dargestellten Bruchstücke der Nachkriegskarrieren einzelner<br />

Protagonisten – deren Namen zumeist anonymisiert wurden – zu<br />

einem Gesamtbild zusammenfügen zu können, immer wieder auf den<br />

ausführlichen prosopografi schen Anhang des Buches zurückgreifen.<br />

Schließlich hätte die gedruckte Fassung der Dissertation nach Meinung<br />

des Rezensenten nicht der zahllosen Verweise auf die zeithistorische<br />

Sekundärliteratur bedurft, denn das recherchierte Material, das<br />

Christina Ullrich ausbreitet, und ihre eigenen, treffl ichen Analysen<br />

sind sprechend genug. Alles in allem liegt hier ein gut geschriebenes<br />

Buch vor, das unser Bild der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft<br />

und ihres Umgangs mit den NS-Verbrechen nur schärfen kann.<br />

Auf einige der Resultate dieser Arbeit möchte ich eigens hinweisen,<br />

weil sie grundlegende Fragen der Täterforschung betreffen<br />

und zugleich die Problematik der justiziellen Ahndung von NS-<br />

Verbrechen beleuchten. Die Autorin stützt sich überwiegend auf<br />

jene Einlassungen, mit denen die Täter sich selbst – während ihrer<br />

Entnazifi zierungsverfahren und später im Zusammenhang von staatsanwaltlichen<br />

Ermittlungen oder vor Gericht – zu rechtfertigen und<br />

zu exkulpieren versuchten, und sie zeigt auf, in welchem Ausmaß<br />

dieses Selbstbild der Täter von deren gesellschaftlichem Umfeld<br />

(Familie, Nachbarn, Kollegen, Arbeitgeber, Rechtsanwälte, Justiz)<br />

geteilt wurde.<br />

Die Rhetorik der Selbstentlastung, für die Ullrichs Darstellung<br />

zahllose Beispiele liefert, bildete sich frühzeitig nach Kriegsende<br />

heraus, wenn sie ihre Wurzeln nicht schon in der nationalsozialistischen<br />

Ideologie wie in der Anlage der Tathandlungen und in der<br />

»Selbstvergewisserung der eigenen Anständigkeit und Menschlichkeit«<br />

der Täter zur Tatzeit hatte (S. 67). Die Nürnberger Prozesse<br />

und die Entnazifi zierungsverfahren waren Laboratorien kollektiver<br />

Selbstexkulpation, und die gängigsten Entlastungs-Topoi blieben<br />

bis in die Phase der NS-Prozesse der 60er Jahre und darüber hinaus<br />

unangefochten in Gebrauch. Was daran Legende oder Lüge, was<br />

verinnerlichte Wahrheit war, lässt sich kaum unterscheiden. Die<br />

Täter waren aus »jugendlichem Idealismus« zu Nationalsozialisten<br />

geworden, später gingen sie auf Distanz zum Regime, von dem<br />

sie sich »irregeführt« und »betrogen« fühlten. Sie waren »keine<br />

Antisemiten« gewesen, sondern hatten gute Kontakte zu jüdischen<br />

Nachbarn gehalten. Der Vernichtungskrieg im Osten wurde vom<br />

Gegner aufgezwungen, der »alliierte Luftterror« gegen die deutsche<br />

Zivilbevölkerung ließ die eigenen Skrupel vergessen. Sie selbst<br />

hatten eine »reine Polizeitätigkeit« ausgeübt, ihr SS-Rang war ein<br />

»Angleichungsdienstgrad« gewesen. Verantwortlich für die Mordaktionen<br />

waren nicht die SS-Einsatzgruppen, denen sie angehört hatten,<br />

sondern vorrangig die Wehrmacht, letztlich eine verbrecherische<br />

Clique an der Spitze. Die Erschießungen, an denen sie beteiligt waren,<br />

hatten sie »innerlich abgelehnt« und ausschließlich »auf Befehl«<br />

ausgeführt, ein subjektiver »Täterwille« wurde bestritten. Nicht<br />

»Juden als solche« waren erschossen worden, sondern »Partisanen«<br />

und »Saboteure« im Zuge einer militärischen »Bandenbekämpfung«.<br />

Bei Massenexekutionen war man »anständig geblieben«, und – um<br />

eine fürchterliche Einlassung des Angeklagten Walter He. zu zitieren<br />

– Kinder wurden aus »humanitären Gründen« erschossen, »weil<br />

sie ja ohne Vater und Mutter nicht existieren konnten« (S. 193).<br />

Dass die eigenen Taten im Zusammenhang eines Genozids standen,<br />

wollte niemand der in diesem Buch vorgestellten Protagonisten gewusst<br />

haben: Werner Schö., der als Führer eines Teilkommandos des<br />

EK 8 an Judenerschießungen in den weißrussischen Ortschaften<br />

Slonim und Borissow teilgenommen hatte, sagte wörtlich aus: »Dass<br />

es mit zu den Aufgaben der Einsatzkommandos gehörte, durch Liquidierungen<br />

der jüdischen Bevölkerung an der Endlösung der Judenfrage<br />

mitzuwirken, habe ich erst nach dem Krieg erfahren, so<br />

unglaubhaft das klingt.« (S. 215)<br />

Die Täter sahen sich als Opfer der Justiz, aber nicht wenige<br />

Gerichte folgten ihren Einlassungen und Rechtfertigungsstrategien.<br />

So kam das Landgericht Stuttgart im Urteil gegen <strong>Fritz</strong> Zi., einem<br />

ehemaligen Angehörigen des bei »Enterdungsaktionen« und Leichenverbrennungen<br />

eingesetzten SK 1005, zu dem Schluss, »hinter<br />

der Erschießung der bei den Enterdungen eingesetzten Häftlingen«<br />

steckten »auch Beweggründe, die menschlicher Wesensart entspringen<br />

und entfernt einfühlbar sind, nämlich das schlechte Gewissen<br />

und die Angst«. Die Beseitigung der Spuren des Massenmords habe<br />

»im Interesse der deutschen Bevölkerung« gelegen, die im Fall der<br />

Entdeckung von Massengräbern durch die gegnerischen Truppen<br />

deren Hass und Verbitterung ausgesetzt gewesen wäre und für das<br />

hätte büßen müssen, »was eine unmenschliche Clique in ihrem Namen,<br />

aber ganz überwiegend ohne ihr Wissen verbrochen hatte«<br />

(S. 215). Dieser haarsträubende Urteilsspruch datiert aus dem Jahr<br />

1969. Das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik mochte<br />

sich damals wandeln, die Verhältnisse mochten sie liberalisieren,<br />

aber offenkundig herrschten in der Justiz die Beharrungskräfte noch<br />

längere Zeit vor.<br />

Was bei all dem auffällt, ist die völlige Abwesenheit von Schuldbewusstsein<br />

– oder, wie die Autorin mit Blick auf die Phase der<br />

Entnazifi zierung schreibt: die »fast trotzig wirkende Selbstsicherheit,<br />

mit der die Täter sich als harmlos und unschuldig präsentierten,<br />

die in einem so krassen Missverhältnis zu den von ihnen begangenen<br />

Taten stand« (S. 52). Alle waren der festen Überzeugung,<br />

keine »Verbrecher«, keine »gewöhnlichen Kriminellen« zu sein.<br />

Und das waren sie in der Tat nicht. Ihre problemlose Integration in<br />

die Nachkriegsgesellschaft – die »Normalität« ihres privaten und<br />

berufl ichen Lebens nach 1945 – wurde geradezu zum Beleg dafür.<br />

Christina Ullrich verweist wiederholt darauf, wie inadäquat ein Täterbild<br />

war, das sich entweder an engen kriminalistischen bzw. kriminalbiologischen<br />

Maßstäben oder – wie in der Nachkriegszeit mit<br />

Bezug auf die NS-Herrschaft üblich – am Bild des »KZ-Schergen«,<br />

des Terror verbreitenden Gestapo-Mannes oder des sadistischen<br />

»Exzesstäters« orientierte. Einerseits erleichterte ein solches Bild<br />

den NS-Tätern die Distanzierung von den Verbrechen, die sie selbst<br />

begangen hatten. Die Aussage eines an Massenerschießungen von<br />

Juden in Litauen und der »Räumung« des Ghettos Minsk beteiligten<br />

Angeklagten vor Gericht, die dem vorliegenden Buch seinen Titel<br />

gab (»Ich fühle mich nicht als Mörder, sondern bin innerlich sauber,<br />

da ich nur Befehle befolgte«, S. 197) zeigt dies beispielhaft. Andererseits<br />

verhinderte das dem staatlich organisierten Massenmord<br />

gänzlich unangemessene kriminalistische Täterbild eine angemessene<br />

Ahndung konkreter Einzeltaten durch die westdeutsche Justiz<br />

– von sonstigen juristischen Hindernissen einmal abgesehen. Die<br />

Tatsache, dass die Angeklagten eben keine »Kriminellen«, sondern<br />

normale Bürger waren, wirkte sich in vielen Fällen strafmildernd<br />

aus. Wer immer die Biedermänner noch in Erinnerung hat, die ab<br />

Ende der 1950er Jahre vor Gericht standen, dem kommt die Rede<br />

von der »Banalität des Bösen« nicht so verharmlosend vor, wie sie<br />

gemeinhin gebraucht wird.<br />

Ahlrich Meyer<br />

Oldenburg<br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>06</strong> Herbst 2011 59

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