Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut
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Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut
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Einen Höhepunkt der Konferenz, wie<br />
sich auch an der Zahl der Zuschauer manifestierte,<br />
bildete zweifelsohne der von Esther<br />
Schapira (Hessischer Rundfunk) moderierte<br />
Round Table, an welchem Daniel Cohn-Bendit<br />
(Co-Vorsitzender der Fraktion Die Grünen/<br />
Europäische Freie Allianz im Europäischen<br />
Parlament, Brüssel), Gudrun Kruip (Stiftung<br />
Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Stuttgart)<br />
Christina von Hodenberg (Queen Mary<br />
University of London) und Thomas Schmied<br />
(Herausgeber der WELT-Gruppe, Axel Springer<br />
AG, Berlin) teilnahmen. Einerseits wurde<br />
hier aus der Sicht von Zeitzeugen und persönlich<br />
Involvierten, andererseits aus der Perspektive<br />
der Geschichtswissenschaft die Frage<br />
»Axel Springer und die Juden. Eine bundesrepublikanische<br />
Geschichte?« diskutiert.<br />
In seinem abschließenden Kommentar<br />
formulierte Norbert Frei (Friedrich-Schiller-<br />
Universität Jena/New School, New York)<br />
durch die Zusammenfassung zentraler, in<br />
den Vorträgen postulierter Thesen mögliche<br />
ausstellungsrelevante Fragestellungen. Dabei<br />
ging er besonders ein auf die Bedeutung der<br />
Springer-Presse der 1950er und frühen 1960er<br />
Jahre und die zentrale Rolle der BILD-Zeitung<br />
in der Konstituierung der Medienlandschaft<br />
und der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik.<br />
Insgesamt bot die Tagung einen umfangreichen<br />
Überblick über viele bisher<br />
unbekannte Facetten des Springer Verlags<br />
und dessen Gründer Axel Springer – ein<br />
Thema, das viele interessiert und bis heute<br />
polarisiert, wovon ein zahlreiches und aktiv<br />
diskutierendes Publikum beredtes Zeugnis<br />
ablegte (über 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
wohnten den Vorträgen an beiden<br />
Konferenzorten bei). Die Konferenz stieß<br />
darüber hinaus auf ein signifi kantes Interesse<br />
bei lokalen und deutschlandweiten Presseorganen<br />
und Radiosendern. Zahlreiche Ideen<br />
und Impulse der internationalen Konferenz<br />
werden sowohl im Katalog zur Ausstellung<br />
als auch bei der weiteren Ausstellungsplanung<br />
eine wichtige Rolle spielen.<br />
Anne Gemeinhardt<br />
<strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong> <strong>Institut</strong><br />
Aus dem <strong>Institut</strong><br />
Doktorandenseminar<br />
Neue Forschungen zu<br />
Geschichte und Wirkung<br />
des Holocaust<br />
Vom 7. bis 9. Juni 2011 fand<br />
in Arnoldshain das dritte<br />
interdisziplinäre Doktorandenseminar des<br />
<strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong> <strong>Institut</strong>s in Kooperation mit<br />
der Evangelischen Akademie Arnoldshain<br />
statt. Andrea Löw (München) eröffnete die<br />
Veranstaltung mit einem öffentlichen Vortrag<br />
zum Thema »Chronisten des Gettos:<br />
Dokumentationstätigkeit in Litzmannstadt,<br />
Warschau und Białystok«. Löw fokussierte<br />
ihre Darstellung auf die Personen, Intentionen,<br />
Quellen und die Arbeitsweisen der<br />
Chronisten. Ihnen war das Ziel gemein, das<br />
Geschehen dokumentieren und den Tätern<br />
nicht das Bild von den Ghettos und ihren<br />
Bewohnern überlassen zu wollen.<br />
An den folgenden beiden Tagen präsentierten<br />
zehn Doktorandinnen und Doktoranden<br />
von deutschen, österreichischen<br />
und niederländischen Universitäten in einer<br />
geschlossenen Veranstaltung ihre geplanten<br />
bzw. laufenden Projekte. Den Auftakt machte<br />
Christof Czech (Innsbruck), der die Funktionäre<br />
der Gauleitungen und die Kreisleiter<br />
der NSDAP in der »Ostmark« untersucht,<br />
die in den neu geschaffenen »Reichsgauen«<br />
Partei- und Staatsfunktionen zugleich<br />
ausübten. Die politische Sammelbiografi e<br />
soll die Lebenswege der NS-Funktionäre<br />
über das Ende des »Dritten Reiches« hinaus<br />
nachzeichnen, um zu überprüfen,<br />
welche Karrieren nach 1945 noch möglich<br />
waren. Mirja Keller (Frankfurt am Main)<br />
befasst sich mit der Entwicklung der religiös-zionistischen<br />
Kibbuzbewegung auf europäischer<br />
Ebene (1933–1945). Sie betont,<br />
dass Fluchthilfe als Teil des jüdischen Widerstands<br />
und der Selbsthilfe bislang nicht<br />
hinreichend erforscht worden ist. Sie nimmt<br />
den transnational organisierten Chaluz-Verband<br />
Bachad in den Blick, der nach 1933<br />
98 Nachrichten und Berichte<br />
Hachschara-Zentren unter anderem in England,<br />
Frankreich, Belgien und den Niederlanden<br />
organisierte, und fragt nach dessen<br />
Ursprung, Organisation sowie ideologischen<br />
Zielen. Dagmar Lieske (Berlin) beschäftigt<br />
sich mit dem Instrument der kriminalpolizeilichen<br />
Vorbeugehaft im Nationalsozialismus<br />
und »Kriminellen« als Häftlingen im<br />
KZ Sachsenhausen. Trotz der großen Zahl<br />
Betroffener – es ist von 70.000 »Kriminellen«<br />
in den KZs auszugehen, von denen die<br />
Hälfte nicht überlebte – spielten »Berufsverbrecher«<br />
in den Gedenkstätten lange Zeit<br />
zumeist eine Nebenrolle. In diesem Kontext<br />
fragt Lieske auch nach den Kontinuitätslinien<br />
der Stigmatisierung nach 1945. Hanna<br />
Schmidt Holländer (Hamburg) setzt sich mit<br />
der Bildung in den »jüdischen« Ghettos im<br />
Zweiten Weltkrieg auseinander. Sie vertritt<br />
die These, dass neben den bislang gängigen<br />
Antworten – Flucht vor dem Alltag, geistiger<br />
Widerstand, Bildung eines jüdischen Nationalbewusstseins<br />
– Bildungsmöglichkeiten<br />
auch geschaffen wurden, um in den Ghettos<br />
die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.<br />
Judith Weißbach (Heidelberg) stellte ihre<br />
Arbeit zur »Transformation jüdischer Identität<br />
– der Erinnerungsdiskurs deutschsprachiger<br />
jüdischer Flüchtlinge über das Exil<br />
in Schanghai 1938–1949« vor. Dort befand<br />
sich eine der größten Exilgemeinden; Weißbach<br />
analysiert auf Basis veröffentlichter<br />
und unveröffentlichter Autobiografi en das<br />
Erleben von Verfolgung, Flucht, Exil und<br />
Nachexil. Sebastian Voigt (Leipzig) präsentierte<br />
sein Vorhaben zur »politischen Erfahrungsgeschichte<br />
jüdischer Intellektueller<br />
im Nachkriegsfrankreich«. Er befasst sich<br />
mit Daniel Cohn-Bendit (Jg. 1945), André<br />
Glucksmann (Jg. 1937) und dem heute<br />
weitgehend unbekannten Pierre Goldman<br />
(1944–1979). Er fragt unter anderem nach<br />
den Zusammenhängen zwischen »Herkunft<br />
und Erkenntnis« und wie die merkliche Präsenz<br />
von Juden in den verschiedenen linken<br />
Gruppen in Frankreich 1968 zu erklären ist.<br />
Zum Abschluss des zweiten Tages skizzierte<br />
Britta C. Jung (Groningen) ihre Arbeit über<br />
die »Transnationalisierung des Nationalen.<br />
Nationalisierung des Transnationalen: Die<br />
Inszenierung des Nationalsozialismus und<br />
Holocausts in der zeitgenössischen Jugendliteratur«.<br />
Sie geht davon aus, dass sich in<br />
keiner anderen Textgattung das Selbstverständnis<br />
einer Gemeinschaft so sehr refl ektiert<br />
wie in den Texten, die Erwachsene speziell<br />
für Kinder und Jugendliche schreiben.<br />
Den dritten Seminartag eröffnete Katharina<br />
Obens (Berlin), die sich mit der Rezeption<br />
von NS-Zeitzeugengesprächen bei<br />
Schülern in Deutschland beschäftigt. Ziel der<br />
sozialpsychologischen Rezeptionsforschung<br />
in der Arbeit von Obens ist es, Kriterien für<br />
die zukünftige pädagogische Arbeit mit lebensgeschichtlichen<br />
Interviews zu erarbeiten.<br />
Sarah Kleinmann (Tübingen) nimmt<br />
in ihrer Arbeit die museale Repräsentation<br />
von NS-Täterschaft, Täterinnen und Tätern<br />
in den Blick. Mahnmale und Gedenkstätten<br />
für die Opfer spielen im gesellschaftlichen<br />
Umgang mit der NS-Vergangenheit eine<br />
zentrale Rolle; sie stehen, so Kleinmann,<br />
aber auch für eine Auseinandersetzung mit<br />
den Tätern. Geplant ist die Untersuchung<br />
von etwa zehn Dauerausstellungen. Fabian<br />
Schwanzar (Jena) untersucht in seinem Projekt<br />
das Verhältnis von Gedenkstättenbewegung,<br />
Erinnerungskultur und Geschichtspolitik<br />
von 1979 bis 1990 und fragt nach den<br />
sozialen und politischen Bedingungen für<br />
das Entstehen von Gedenkstätten.<br />
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
diskutierten sehr intensiv über die vorgestellten<br />
Projekte; im Fokus standen hierbei<br />
die Quellengrundlagen, die methodischen<br />
Zugriffe und vor allem auch die inhaltlichen<br />
Abgrenzungen der einzelnen Themen. Das<br />
nächste Doktorandenseminar wird voraussichtlich<br />
vom 10. bis 12. Oktober 2012 in<br />
der Evangelischen Akademie Arnoldshain<br />
stattfi nden.<br />
Kontakt<br />
Auskünfte zu den vergangenen und den zukünftigen<br />
Doktorandenseminaren gibt Dr. Jörg Osterloh:<br />
j.osterloh@fritz-bauer-institut.de<br />
Jörg Osterloh<br />
<strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong> <strong>Institut</strong><br />
Siegmund Freund (Rat der Überlebenden) gratuliert Trude Simonsohn zu ihrem 90. Geburtstag. Foto: Werner Lott<br />
Aus dem <strong>Institut</strong><br />
Trude Simonsohn<br />
Empfang und Feierstunde<br />
zum 90. Geburtstag<br />
Am 25. März 2011 vollendete<br />
Trude Simonsohn ihr<br />
neuntes Lebensjahrzehnt. Anlässlich dieses<br />
besonderen Geburtstages luden das Land<br />
Hessen, das <strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong> <strong>Institut</strong>, das Jüdische<br />
Museum Frankfurt und die Jugendbegegnungsstätte<br />
Anne Frank e.V. zahlreiche<br />
Gäste und Gratulanten zu einem Empfang<br />
für die Jubilarin in die Ausstellungsräume<br />
der Jugendbegegnungsstätte ein.<br />
Trude Simonsohn ist Mitglied des Beirats<br />
der Jugendbegegnungsstätte und Vorsitzende<br />
des Rats der Überlebenden des Holocaust am<br />
<strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong> <strong>Institut</strong>. Mit der Jugendbegegnungsstätte<br />
Anne Frank ist Trude Simonsohn<br />
seit deren Gründung eng verbunden.<br />
Die Oberbürgermeisterin der Stadt<br />
Frankfurt am Main, Petra Roth, lud am 30.<br />
März 2011 zu einer Feierstunde für Trude<br />
Simonsohn in den Limpurgsaal im Rathaus<br />
Römer. Sie würdigte die Jubilarin als engagierte<br />
Frankfurterin und sprach ihr die<br />
Glückwünsche der Stadt aus, mit deren<br />
Ignatz Bubis-Preis sie im vergangenen Jahr<br />
ausgezeichnet wurde.<br />
Simonsohn lebt seit Mitte der 1950er<br />
Jahre in Frankfurt am Main. Den größten<br />
Teil ihres Berufslebens widmete sie sich<br />
der Sozialarbeit in der Jüdischen Gemeinde.<br />
Als Überlebende des Holocaust berichtet<br />
sie seit mehr als einem Vierteljahrhundert<br />
regelmäßig Jugendlichen in Schulen und<br />
anderen Einrichtungen von den Schrecken<br />
der Judenverfolgung während des Zweiten<br />
Weltkrieges.<br />
Kontakt<br />
Jugendbegegnungsstätte Anne Frank e.V.<br />
Hansaallee 150<br />
60320 Frankfurt am Main<br />
Tel.: <strong>06</strong>9.56 000-20<br />
info@jbs-anne-frank.de<br />
www.jbs-anne-frank.de<br />
Werner Lott<br />
<strong>Fritz</strong> <strong>Bauer</strong> <strong>Institut</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>06</strong> Herbst 2011 99