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Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut

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Das Oberkommando der japanischen Nordchina-Armee begann<br />

nun im Kampf gegen die Partisanen deutlich radikaler vorzugehen. 49<br />

Es ist nicht ganz klar, wie es zu dieser Eskalation kam. Offensichtlich<br />

übernahm die Nordchina-Armee aber Konzepte aus dem – aus<br />

ihrer Sicht erfolgreichen – Antipartisanenkampf in Manchou Guo.<br />

Von nun an sollte die Nordchina-Armee große, wellenartige Antipartisanenaktionen<br />

starten und das von ihr kontrollierte Gebiet in<br />

unterschiedliche Zonen einteilen: befriedet, teilweise befriedet und<br />

nicht befriedet. Die nicht befriedeten Zonen sollten isoliert werden,<br />

die Bevölkerung mit Gewalt vertrieben und die Landwirtschaft samt<br />

Infrastruktur zerstört. Die Japaner gingen sogar so weit, den Bau<br />

riesiger Befestigungsanlagen im Stil der chinesischen Mauer in Gang<br />

zu setzen. So ließen sie entlang der zentralen Bahnlinie einen Wall<br />

errichten, der je etwa 5 Meter hoch und breit war. 50<br />

Das zentrale Element der neuen Gewaltpolitik waren jedoch die<br />

»Säuberungsaktionen«, die Anfang 1941 begannen und im Oktober/<br />

November desselben Jahres ihren ersten Höhepunkt erreichten. Ausgehend<br />

von den Stützpunkten der Armeen entlang der Bahnlinien,<br />

drangen die Truppen in die Partisanengebiete vor, zerstörten die<br />

Dörfer und vertrieben oder ermordeten die Einwohner. Auf japanischer<br />

Seite wurde gemutmaßt, dass ein erheblicher Teil der <strong>Bauer</strong>n<br />

mit den Partisanen zusammenarbeiten würde. Glaubt man der chinesischen<br />

Geschichtsschreibung, so verfügte die KP tatsächlich über<br />

eine erhebliche Personalreserve in den Dörfern; Berichte sprechen<br />

von 600.000 Menschen. Partisanenverdächtige wurden ohnehin als<br />

Banditen oder als Kriegsgefangene behandelt, und das bedeutete in<br />

diesem Fall ihre Tötung.<br />

Ein Jahr nach der Hundert-Regimenter-Offensive im Dezember<br />

1941 taucht anscheinend zum ersten Mal in chinesischen Publikationen<br />

der Begriff der »Drei-Alles-Politik« auf, japanisch<br />

sanko sakusen, chinesisch Sānguāng Zhèngcè. 51 Drei Alles meint:<br />

alles töten, alles verbrennen, alles plündern. Dieses Vorgehen<br />

wurde nun maßgeblich vom neuen Oberkommandierenden der<br />

49 Dekun Hu (Universität Wuhan), »The Security War Against the Communist Party<br />

Inside Japanese Occupied Areas from 1937 to 1945«, Vortrag Amsterdam 27. August<br />

2010, der sich weitgehend auf das offi ziöse japanische Kriegsgeschichtswerk<br />

(Senshi Sōsho) stützt: Hokushi no Chiansen [Sicherungsaktionen in Nordchina].<br />

Hrsg. vom Bōeichō Bōei Kenkyusho Senshi-bu, 2 Bde., Tokyo 1968/71.<br />

50 Fujiwara Akira: »›Sankō Sakusen‹ to Kitashina Hōmengun« [»Drei-Alles-Operationen«<br />

und die Nordchina-Armee], in: Kinan Sensō Sekinin Kenkyū 20, 1998,<br />

H. 20, S. 21–29, H. 21, S. 68–75 (Fujiwara war selbst als Offi zier in China eingesetzt);<br />

Japan-China Joint History Research Report [der japanisch-chinesischen<br />

Historikerkommission]. Preliminary translation March 2011, S. 148, online:<br />

www.mofa.go.jp/region/asia-paci/china/pdfs/jcjhrr_mch_en1.pdf [26.7.2011];<br />

Johnson, Peasant China, S. 209.<br />

51 Zweifel an der Existenz einer kohärenten Strategie äußert: Reinhard Zöllner, »Ein<br />

ostasiatischer Holocaust? Japans Aggression in China (1931–1945)«, in: Kolonialkriege.<br />

Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus. Hrsg. von Thoralf<br />

Klein, Frank Schumacher, Hamburg 20<strong>06</strong>, S. 291–328, hier 310.<br />

26 <strong>Einsicht</strong><br />

Nordchina-Armee, Yasuji Okamura, betrieben und durch den allgemein<br />

gehaltenen Befehl Nr. 575 am 3. Dezember 1941 von Kaiser<br />

Hirohito begünstigt. 52<br />

Ihren Höhepunkt erreichte diese Vernichtungskampagne mit<br />

der sogenannten fünften Säuberungsaktion im Mai/Juni 1942, als<br />

Okamura 50.000 Mann in der Hochebene Hebei und in den Taihang<br />

Shan Bergen, dem zentralen Rückzugsraum der Partisanen,<br />

einsetzte. Ein großer Teil der Dörfer in diesen Gebieten wurde niedergebrannt,<br />

wahrscheinlich eine Vielzahl von Massakern verübt<br />

und ein erheblicher Teil der Landwirtschaft geplündert bzw. zerstört.<br />

Wie schon seit 1938 setzten japanische Truppen dabei wieder<br />

chemische Waffen ein, insbesondere in solchen Dörfern, in denen<br />

sich die Bevölkerung aus Angst vor den Japanern ein Tunnelsystem<br />

erbaut und in dieses zurückgezogen hatte. Genaue Opferzahlen<br />

sind nicht zu ermitteln, aber selbst die KP musste eingestehen, dass<br />

sich die Zahl ihrer Partisanen drastisch vermindert hatte. Weite<br />

Teile Hebeis waren unbewohnbar, die Landwirtschaft völlig zusammengebrochen.<br />

Bevölkerung und Partisanen hungerten. Millionen<br />

Menschen waren auf der Flucht, fast ein Drittel der Bewohner der<br />

Nordprovinzen musste seine Heimat verlassen. Viele der gewaltsam<br />

Vertriebenen wurden von der Besatzungsmacht zur Zwangsarbeit in<br />

die Mandschurei deportiert. Man schätzt, dass in Nordchina etwa<br />

drei Millionen Menschen dieses Schicksal erlitten. Sie stellten den<br />

größten Teil der Zwangsarbeiter in Manchou Guo. Damit waren<br />

schon frühzeitig Dimensionen erreicht, die auch beim deutschen<br />

Zwangsarbeitssystem festzustellen sind. 53<br />

Die Monate Mai und Juni 1942 stellen insofern insgesamt den<br />

Höhepunkt des japanischen Vernichtungskrieges dar, als sich auch<br />

im Süden des besetzten China eine große Militär- und Strafaktion<br />

entwickelte. In der westlichen Forschung kann man darüber wenig<br />

erfahren. Vermutlich strebte die japanische Führung an, parallel<br />

zur sich abzeichnenden Schlacht von Midway aus der festgefahrenen<br />

Situation in China herauszukommen und die neue Hauptstadt<br />

Chongqing zu erobern. Hinzu kam, dass amerikanische Bomber<br />

erstmals vom chinesischen Festland aus starteten und einen kleineren<br />

Angriff auf Tokio fl ogen. Dieser sogenannte Doolittle Raid führte<br />

zum Abschuss zahlreicher Piloten, von denen einige anschließend<br />

hingerichtet wurden. Vor allem aber unternahmen die japanischen<br />

Truppen in China Strafaktionen in der Region, in der die meisten Piloten<br />

bei ihrer Rückkehr notlanden mussten. Wenn auch die Zusammenhänge<br />

unklar bleiben, so erfolgte im Rahmen des sogenannten<br />

52 Bix, Hirohito, S. 366.<br />

53 Ju Zhifen, »Northern Laborers and Manchukuo«, in: Asian Labor in the Wartime<br />

Japanese Empire. Hrsg. von Paul Kratoska, Armonk 2005, S. 61–78, hier S. 66.<br />

Zum Vergleich: Mark Spoerer, »Zwangsarbeitsregimes im Vergleich: Deutschland<br />

und Japan im Ersten und Zweiten Weltkrieg«, in: Zwangsarbeit im Europa<br />

des 20. Jahrhunderts. Vergleichende Aspekte und gesellschaftliche Auseinandersetzung.<br />

Hrsg. von Klaus Tenfelde, Hans-Jürgen Seidel, Essen 2007, S. 187–226.<br />

Erschießung von Chinesen durch die japanische Armee in Nanking, Dezember 1937.<br />

Foto: ullstein bild<br />

Yasuji Okamura (links), 1938/39.<br />

Foto: ullstein bild – Roger Viollet<br />

Japanische Truppen<br />

rücken in Nanking ein,<br />

13. Dezember 1937.<br />

Foto: ullstein bild<br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>06</strong> Herbst 2011 27

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