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Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut

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Politik, und denen britischer Militärs über die Ereignisse im Mai<br />

und Juni 1941 vermitteln vor allem Interviews mit Überlebenden<br />

Details des Farhūd, welche den Vernichtungswillen des islamischnationalistischen<br />

Mobs von Bagdad offenbaren. Als einzige arabische<br />

Quelle ist der Bericht der irakischen Untersuchungskommission<br />

abgedruckt, der trotz einer harschen Kritik an den Sicherheitskräften<br />

Bagdads in ein allzu einfaches Erklärungsmuster verfällt: Schuld<br />

seien Einfl uss und Propaganda Deutschlands und der Palästinenser<br />

gewesen. So richtig diese Schuldzuweisung auch ist, so wenig beantwortet<br />

sie die grundlegendere Frage, wieso die politische Kultur des<br />

Irak schon lange vor und noch lange nach dem Putsch Gailanis die<br />

angeblich rein äußerliche, nationalsozialistische und antisemitischpanarabische<br />

Indoktrination integrierte. Diese politische Kultur trug<br />

das Ende nicht nur der jüdischen Gemeinde des Irak, welche durch<br />

den Massenexodus 1950/51 faktisch aufhörte zu existieren, sondern<br />

auch der Freiheit im Irak von Beginn an in sich. Der Militärputsch<br />

1958, die Machtergreifung der Ba’th-Partei 1963 und das massenmörderische<br />

Regime Saddam Husseins standen konsequent in dieser<br />

selbstzerstörerischen Tradition.<br />

Mathias Schütz<br />

Halle (Saale)<br />

Die Eiche meiner Kindheit<br />

Thomas Harlan<br />

VEIT<br />

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag,<br />

2011, 155 S., € 17,95<br />

Thomas Harlans letztes Buch VEIT ist ein<br />

Dokument der Beziehung zu seinem Vater<br />

Veit Harlan, dem Starregisseur des »Dritten Reiches«. Veit Harlan war<br />

der einzige deutsche Künstler, der nach dem Krieg wegen Verbrechen<br />

gegen die Menschlichkeit angeklagt wurde. Er hatte nicht nur, einem<br />

Mitläufer gleich, mit dem Regime Hitlers kooperiert, sondern diesem<br />

mit dem Film JUD SÜSS auch eine propagandistische Wunderwaffe<br />

geliefert. Der Film war ein riesiger Publikumserfolg und hatte allein<br />

in Deutschland über 20 Millionen Zuschauer. Gerade weil er keine<br />

platte Propaganda darstellt, sondern subtil mit künstlerischen Mitteln<br />

arbeitet, vermochte er bei den Zuschauern starke antisemitische Gefühle<br />

zu wecken. JUD SÜSS hat, wie Thomas Harlan es später ausdrückte,<br />

beim Zuschauer »Verständnis für die allerhärtesten Maßnahmen«<br />

geweckt. Der Film kam Ende 1940 in die Kinos, zu einem Zeitpunkt,<br />

als der Völkermord an den Juden in Polen durch die Einsatzkommandos<br />

und die Gettoisierung bereits in vollem Gange war. In welchem<br />

Maße der Film in der Tat ein »Mordwerkzeug« (Thomas Harlan)<br />

war, lässt sich auch aus dem Befehl Heinrich Himmlers ersehen, in<br />

dem dieser sämtlichen SS- und Polizeiangehörigen den Kinobesuch<br />

vorschrieb. Im Auschwitz-Prozess bezeugte der angeklagte Blockführer<br />

Stefan Baretzki später auch, dass der Film seine Wirkung nicht<br />

verfehlt hatte. JUD SÜSS war nicht zufällig eine Herzensangelegenheit<br />

des Propagandaministers Joseph Goebbels. Niemand wusste besser,<br />

dass die simple Propaganda etwa des Films DER EWIGE JUDE für den<br />

Zuschauer als solche erkennbar und somit wirkungslos blieb.<br />

VEIT, dieser verzweifelte Brief an den Vater, beginnt daher auf der<br />

ersten Seite des Buches in der Gaskammer und beschreibt das Sterben<br />

im Gas. Thomas Harlan hat mit dem Ausmaß des Völkermords auch<br />

erkannt, dass vor der Frage, ob der Vater den Film freiwillig gemacht<br />

habe oder nicht, die einfache Tatsache zu sehen war, dass er den Film<br />

gemacht hatte: Die Tat, zu welcher der Film beigetragen hatte, hätte<br />

den Vater doch betroffen machen müssen. Sie betraf fortan den Sohn.<br />

Dass JUD SÜSS eine Kampagne war, ein Aufruf zum Völkermord,<br />

hatte sein Regisseur nie sehen wollen. Zeitlebens verteidigte er sich<br />

mit einer absurden Doppelstrategie: Einerseits sei der Film gar nicht<br />

wirklich antisemitisch gewesen, und andererseits habe er sich mit<br />

Händen und Füßen gegen diesen Auftrag gewehrt und den Film<br />

nie machen wollen. Das erste Argument ist haltlos. Dem zweiten<br />

Argument begegnet Thomas Harlan in VEIT, unmittelbar nach dem<br />

Prolog und der atemberaubenden Anrufung des Vaters, mit einer<br />

endgültigen Antwort: Niemals hätte der Vater, wenn er den Film<br />

tatsächlich als das Verbrechen erkannt hätte, das er objektiv war, die<br />

weibliche Hauptrolle mit seiner über alles geliebten Frau Kristina<br />

Söderbaum besetzt und sie somit gezwungen, dieses Verbrechen gemeinsam<br />

mit ihm zu begehen. Veit Harlan war nicht insgeheim gegen<br />

das Projekt, sonst hätte er nicht ein solches Meisterwerk abliefern<br />

können. Vielmehr stand er voll hinter dem Film und rechtfertigte<br />

ihn auch nach Kriegsende bis zu seinem Tod.<br />

Thomas Harlan hat sich in VEIT ein letztes Mal an die Stelle des<br />

Vaters gesetzt. Schon ab 1959 hatte er umfangreiche Recherchen in<br />

Polen betrieben mit dem ambitionierten Ziel, ein Buch mit dem Titel<br />

»Das Vierte Reich« zu veröffentlichen, das über 17.000 Personen<br />

benennen sollte, die am Völkermord beteiligt gewesen waren und nun<br />

in der Bundesrepublik lebten, von der Justiz unbehelligt und zu einem<br />

Teil sogar wieder in einfl ussreichen Positionen. Thomas Harlan hatte<br />

seit dieser Zeit ein präzises Bild vom Völkermord, insbesondere auch<br />

von Fakten, die bis heute im Dunkeln liegen, etwa dem Tatbeitrag der<br />

Kanzlei des Führers zur Judenvernichtung. Gleichwohl war sein Verhältnis<br />

zum Vater gespalten. Der Sohn war so erzogen worden, dass er<br />

90 Rezensionen<br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>06</strong> Herbst 2011<br />

»es nie gewagt hätte, bei Tisch den Mund aufzumachen, ohne gefragt<br />

worden zu sein«, und er hat auch in seinem späteren Leben »nie auch<br />

nur die Stimme erhoben« gegenüber dem Vater. Veit Harlan war in<br />

der Familie genauso Herrscher wie am Filmset. Vor dem Prozess<br />

erklärte er seinen Kindern, er werde sich im Falle einer Verurteilung<br />

umbringen – eine emotionale Erpressung der Kinder. Harlan war für<br />

den Sohn »die Eiche meiner Kindheit«, wie es in der Vorbemerkung<br />

zu VEIT heißt. Veit Harlan blieb dem eigenen Selbstverständnis nach<br />

auch nach dem Krieg ein – nun missachteter – Gigant und blendete<br />

seine Schuld einfach aus. Thomas begleitete ihn in den 1950er Jahren<br />

zur Verbrennung der vermeintlich letzten Kopie von JUD SÜSS in der<br />

Schweiz vor ein paar Journalisten, und er ließ sich auch sonst für<br />

die apologetischen Zwecke des Vaters missbrauchen. Die Revolte<br />

gegen den Vater, die Brandstiftung in den Kinos, die Veits Filme<br />

zeigten, die Freundschaft mit den Feinden des Vaters, fand nur in<br />

dessen physischer Abwesenheit statt, und all das muss dem Sohn<br />

selber zwergenhaft vorgekommen sein, sobald er wieder dem Vater<br />

gegenübertrat. Erst Anfang der 1980er Jahre erschien eine in seinem<br />

Film WUNDKANAL eingerückte Abrechnung mit dem Werk des Vaters,<br />

als Thomas Harlan dem Völkermörder Alfred Filbert das Harlan-Werk<br />

OPFERGANG vorführt und dessen gerührte Zustimmung einfängt.<br />

VEIT ist demgegenüber, obwohl inhaltlich schonungslos, voller<br />

Zärtlichkeit. Selbst dem Tode nah, erinnert sich Thomas Harlan an das<br />

Sterben seines Vaters. Veit starb 1964 auf Capri, in Italien also, wo<br />

Thomas später viele Jahre leben sollte, sich der linksradikalen Lotta<br />

Continua anschloss, heiratete und selbst Vater wurde. Thomas Harlan<br />

diktierte mir VEIT in Schönau am Königssee, wo er wenige Monate<br />

später starb, den Obersalzberg in Blickweite, im Spital wie einst der<br />

Vater, »das klägliche Körperchen, das in seinem Bett hauste und sich<br />

streckte, soweit es ging«. Die Begegnung auf Capri, die letzte, hatte<br />

Sohn und Vater einander wieder nähergebracht: Zum ersten Mal hörte<br />

der Vater dem Sohn zu und gab auch eigene Zweifel zu erkennen. So<br />

wie der sterbende Vater den Sohn zu sich rief, hat der sterbende Sohn<br />

noch einmal den toten Vater angerufen. Es ist eine Abrechnung in<br />

Liebe, in der Thomas Harlan des Vaters Schuld auf sich nimmt. Das<br />

Buch endet mit Worten, die an die christliche Erlösung denken lassen:<br />

»Ich habe Dich getragen wie eine Verantwortung. Ich will Dich tragen,<br />

ich will Dich bis ans Ende der Jahre tragen wie eine Schuld. […] Vater,<br />

Du Geliebter, Verstockter, höre doch! Ich habe Deinen Film gemacht.«<br />

Jean-Pierre Stephan<br />

Berlin<br />

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