Einsicht 06 - Fritz Bauer Institut
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gemacht haben, haben wir die Kommissare gleich erschossen.« 34 Die<br />
Aktenberge aus Fort Hunt sind längst nicht vollständig erschlossen.<br />
Die bisher bekannten Fundstellen weisen jedoch eine unverkennbare<br />
Tendenz auf: Niemand nahm für sich und seine Einheit in Anspruch,<br />
den Kommissarbefehl verweigert zu haben. Daneben offenbarte sich<br />
in den Aussagen vieler Soldaten aus Fort Hunt auch die Nachhaltigkeit<br />
der Stereotype über die sowjetischen Politoffi ziere: Das Feindbild,<br />
das durch den Kommissarbefehl und die Feldzeitungen der<br />
Propagandakompanien verbreitet worden war, hatte sich in seinem<br />
Kern selbst durch die reale Erfahrung des Krieges an der Ostfront<br />
nur unwesentlich verändert.<br />
Hierin bestand eine wichtige Voraussetzung für die Vernichtungspolitik:<br />
Denn die Bereitschaft zur Umsetzung des Mordbefehls<br />
beruhte nicht allein auf blindem Gehorsam und kameradschaftlicher<br />
Gruppendynamik, sondern speiste sich maßgeblich aus ebenjenen<br />
dämonisierenden Vorstellungen von den Politoffi zieren, die den<br />
Soldaten die Berechtigung der Erschießungen vorspiegelten. Die<br />
Nationalsozialisten verteufelten die Kommissare als Inbegriff des<br />
»jüdischen Bolschewismus«. In den Augen der Invasoren personifi<br />
zierten sie als »Hetzer«, »Unterdrücker« und »Henker« nicht nur<br />
das kommunistische Gewaltregime, sondern auch den Schrecken<br />
der Ostfront. 35 Die zähe, angeblich heimtückische Kampfweise der<br />
Rotarmisten führte man auf »Verhetzung« und »Terror« durch die<br />
Politoffi ziere zurück. 36 Viele gaben den Kommissaren daher sogar<br />
die Schuld an den beispiellosen deutschen Verlusten. Nicht zuletzt<br />
vermutete man die Kommissare auch bei allen sowjetischen Völkerrechtsverletzungen<br />
als »treibende Elemente«. 37 Die deutschen<br />
Ansichten über die sowjetischen Politoffi ziere gingen wohl nicht<br />
vollständig an der Realität vorbei, von haltlosen Überzeichnungen<br />
wie den antisemitischen Konnotationen einmal abgesehen. 38 Für<br />
die Funktion, die das Feindbild auf deutscher Seite erfüllte, war es<br />
freilich nachrangig, inwieweit es zutraf.<br />
Auf der Grundlage dieser pauschalen Schuldzuweisungen gerieten<br />
die sowjetischen Politoffi ziere zur Zielscheibe der wachsenden<br />
Frustration der Invasoren. Hierzu bedurfte es weder pathologischer<br />
Sadisten noch fanatischer Nationalsozialisten, im Gegenteil. 39 Umso<br />
ungünstiger, unübersichtlicher und negativer sich die Lage entwickelte,<br />
desto mehr benötigten die Soldaten solche Sinnangebote, die<br />
Orientierung gewährten, indem sie die befremdliche Wirklichkeit<br />
34 Room Conversation, Capell – Seeger, 5.10.1944, NARA, RG 165, Entry 179,<br />
Box 457.<br />
35 Vgl. Römer, Kommissarbefehl, S. 275–317.<br />
36 Vgl. exemplarisch den Bericht der Panzerjägerabteilung 112, »Im Osten«,<br />
2.10.1941, BA-MA, RH 39/426.<br />
37 Bericht der 168. Inf.Div., 1.10.1941, BA-MA, RH 26-299/123, Anl. 425.<br />
38 Vgl. Catherine Merridale, Iwans Krieg. Die Rote Armee 1939 bis 1945, 2. Aufl .,<br />
Frankfurt am Main 20<strong>06</strong>, S. 93 ff., 132 f., 144 f.<br />
39 Vgl. Hartmann, Wehrmacht, S. 477 f.<br />
an der Ostfront strukturierten und ihre Komplexität zu eingängigen<br />
Wahrnehmungsmustern reduzierten. Die Kommissarerschießungen<br />
wurden zu Ersatzhandlungen, die zur Kompensation der Fehlentwicklungen<br />
an der Ostfront dienten: Sie ermöglichten die Kanalisierung<br />
der Affekte und verschafften Genugtuung für die enormen<br />
Verluste, die in den von beiden Seiten erbarmungslos geführten<br />
Gefechten entstanden. Und je mehr die Truppen die Kommissarerschießungen<br />
als legitime Vergeltungsaktionen auffassten, desto<br />
weiter schwand das Unrechtsbewusstsein von den Morden. Die Soldaten<br />
wähnten sich im Recht und begingen Kriegsverbrechen, ohne<br />
sich als Verbrecher zu fühlen. 40<br />
Im Juni 1942 gab Hitler schließlich dem wiederholten Drängen<br />
seiner Generäle nach, den Kommissarerlass aufzuheben. Nicht die<br />
Heeresführung, sondern die äußeren Umstände – das endgültige<br />
Scheitern des »Unternehmens Barbarossa« im Winter 1941/42 –<br />
hatten Hitler von der Notwendigkeit der Kurskorrektur überzeugt.<br />
Denn die Kommissarerschießungen hatten den ohnehin heftigen<br />
Widerstand der Roten Armee noch verstärkt und trugen dazu bei,<br />
die deutschen Verlustraten in Rekordhöhen zu treiben. Die Vernichtungspolitik<br />
erwies sich als schwere Hypothek, die den Zielen<br />
der Wehrmacht weit mehr Schaden als Nutzen einbrachte, von den<br />
humanitären und moralischen Kosten ganz abgesehen. Die Kommissarrichtlinien<br />
repräsentierten nicht das schwerste Verbrechen<br />
der Wehrmacht. In kaum einem anderen Bereich aber wirkte sie so<br />
unmittelbar, aktiv und umfassend an der Realisierung der nationalsozialistischen<br />
Vernichtungspolitik mit wie hier. Dabei kennzeichnete<br />
es die Haltung der Frontkommandeure, dass insgesamt nur wenige<br />
von ihnen die vorhandenen Handlungsspielräume dazu nutzten, die<br />
›verbrecherischen Befehle‹ zumindest graduell abzuschwächen.<br />
Der Umgang der deutschen Truppenführer mit den völkerrechtswidrigen<br />
»Führererlassen« belegt damit ein weiteres Mal, dass die<br />
Wehrmachtelite die verbrecherische Kriegführung an der Ostfront<br />
keineswegs nur widerwillig, sondern zu einem guten Teil aus eigener<br />
Überzeugung mittrug.<br />
40 Vgl. Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden,<br />
4. Aufl ., Frankfurt am Main 20<strong>06</strong>, S. 38.<br />
38 <strong>Einsicht</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>06</strong> Herbst 2011<br />
Ein am ersten Tag des<br />
deutschen Überfalls<br />
auf die Sowjetunion<br />
in Gefangenschaft<br />
geratener Politischer<br />
Kommissar im Verhör,<br />
Vestytis, Litauen,<br />
22. Juni 1941.<br />
Foto: ullstein bild<br />
Ein Politischer<br />
Kommissar schaufelt<br />
sein eigenes Grab.<br />
Foto: Deutsch-<br />
Russisches Museum<br />
Berlin-Karlshorst<br />
39